DOMRADIO.DE: Deutschland gehört zu den Ländern, die am übermäßigen Verbrauch von irdischen Ressourcen eine große Mitverantwortung tragen. Woran liegt das konkret?
Pirmin Spiegel (Hauptgeschäftsführer des katholischen Hilfswerks Misereor): Zentrale Gründe für den frühen Termin in Deutschland sind unter anderem ein viel zu hoher Energieverbrauch. Dazu zählt ein zu hoher CO2-Ausstoß besonders im Verkehr und in der Art der Tierhaltung.
Und wir verbrauchen zu viele Rohstoffe. Wir müssten den Rohstoffverbrauch minimieren, beziehungsweise die Effizienz steigern.
DOMRADIO.DE: Deutschland gehört zu den besonders verschwenderischen Nationen. Länder wie Jemen, Bangladesch oder die Philippinen sind da sparsamer, aber zählen auch zu den ärmeren Nationen. Ist es überhaupt möglich, sich ressourcenschonend zu verhalten und trotzdem wirtschaftlich erfolgreich zu sein?
Spiegel: Wirtschaftlich erfolgreich zu sein, bringen wir mit Wachstum zusammen. Die erste Frage ist dann: Was verstehen wir unter Wachstum? Verstehen wir unter Wachstum alleine, das Bruttoinlandsprodukt zu steigern?
Wir meinen bei Misereor, dass das als Maßstab nicht ausreicht, weil auch in die Umweltzerstörung Ursachen hineingehen, die das Bruttoinlandsprodukt steigern und damit die Umweltzerstörung steigern.
Das ist eine Frage der Entkopplung zwischen Wirtschaftswachstum und Ressourcen über die Effizienz. Dafür haben wir historisch noch keine Grundlagen. Wir sind aber in Deutschland dabei, das zusammen mit anderen Ländern auszuprobieren. Wir sagen, wir sind eher für ein Wachstum an Zufriedenheit von menschlichen Freiheiten und Zufriedenheit von Solidarität und wir sind dabei, mit anderen die Art von Wachstum anders zu definieren.
DOMRADIO.DE: Können Sie es denn nachvollziehen, dass aktuelle Krisen wie der Krieg gegen die Ukraine und seine Folgen es auch manchmal ziemlich schwierig machen, im sozialökologischen Sinne optimal zu handeln?
Spiegel: Ja, das sehen wir auch so. Wir spüren, dass der Krieg in der Ukraine und das Coronavirus die Abhängigkeit, in der wir bisher unterwegs sind, verstetigt. Das heißt, es bleibt eine Beharrlichkeit im Bisherigen. Das Bisherige wird optimiert, es werden aber keine Paradigmenwechsel eingeläutet. Die immer neuen Krisen verschieben jeweils die notwendige sozialökologische Transformation.
DOMRADIO.DE: Die Folgen spüren wir alle. Dürren und extreme Temperaturen kennen wir auch in Deutschland. Dazu kommt ein massiver Rückgang der biologischen Vielfalt. Die Hauptleidtragenden sind die kommenden Generationen und aber auch die Menschen im globalen Süden. Wie ist die Situation schon jetzt dort?
Spiegel: Zwei Beispiele von Reisen, die ich im letzten Jahr und diesem Jahr unternommen habe: In Bangladesch verlassen jeden Tag Tausende von Menschen die Regionen am Meer und ziehen nach Dhaka in die Hauptstadt und in andere Städte. Da hat die Klimaveränderung einen Meeresspiegelanstieg und eine Versalzung der Böden und Migration innerhalb des Landes zur Folge.
Ein anderes Beispiel: Ich war im Februar auf Suva in den Fidschi-Inseln. Dort habe ich zum ersten Mal gesehen, wie der Meeresspiegelanstieg Friedhöfe mit Salzwasser untergräbt und damit der indigenen Bevölkerung, die eine sehr starke Verbindung mit ihren Ahnen hat, unheimlich viel Leid zufügt.
Das heißt, diejenigen, die am wenigsten zum Klimawandel beitragen, sind die, die am stärksten darunter leiden.
DOMRADIO.DE: Die Lebensmittelerzeugung von uns ist Ursache für 70 Prozent des Verlustes an Biodiversität und ein Drittel der globalen Treibhausgasemissionen. Was muss in diesem Sektor passieren?
Spiegel: Wir wissen eigentlich, dass wir die Art des Konsums ändern müssen. Wir bringen immer wieder ein, dass die Produktion von Fleisch geändert werden sollte oder müsste. Wir setzen uns dafür ein, dass die wahren Kosten von Lebensmitteln deutlich werden. Wir setzen uns dafür ein, dass der Einsatz von Kunstdünger reduziert werden muss, weil zwei Prozent der globalen Treibhausgasemissionen vom Einsatz von Kunstdünger her kommen.
Von daher ist der Einsatz um der armen Leute wegen und um der folgenden Generationen wegen, die auf unserem Planeten in Zufriedenheit und Würde leben wollen, wichtig.
Das Interview führte Tobias Fricke.