In Berlin-Plötzensee erinnern Ordensfrauen an Hitler-Gegner

Wie neun Karmelitinnen eine Gedenkkirche prägen

Die Kirche Maria Regina Martyrum in Berlin-Plötzensee ist der Erinnerung an die Gegnerinnen und Gegner der Nationalsozialisten gewidmet. Schwestern des Karmelitinnenordens bestimmen das Gedenken seit 40 Jahren maßgeblich mit.

Autor/in:
Gregor Krumpholz
Gedenkkirche Maria Regina Martyrum  / © Rabanus Flavus (KNA)
Gedenkkirche Maria Regina Martyrum / © Rabanus Flavus ( KNA )

In dieser Kirche gibt es immer wieder diese Momente, in denen auch eine gestandene Ordensfrau sprachlos wird. "Da war ein Junge", erinnert sich Schwester Mirjam Fuchs an eine ihrer Führungen durch Maria Regina Martyrum (Maria Königin der Märtyrer) in Berlin-Plötzensee.

"Das sind die Tränen meiner Familie", sagte er und wies auf das berühmte Wandgemälde von Georg Meistermann (1911-1990) hinter dem Altar, in dem ihn die Augen in der Abbildung eines Lammes daran denken ließen: "Alle außer mir sind auf der Flucht übers Mittelmeer ertrunken."

Schwester Mirjam Fuchs (l.) und Schwester Maria Teresia Weiner, Karmelitinnen an der Kirche Maria Regina Martyrum / © Gregor Krumpholz (KNA)
Schwester Mirjam Fuchs (l.) und Schwester Maria Teresia Weiner, Karmelitinnen an der Kirche Maria Regina Martyrum / © Gregor Krumpholz ( KNA )

Momente wie diese bestätigen Schwester Mirjam in ihrer Entscheidung, vor rund 40 Jahren an diesen Ort gekommen zu sein, in dem die Erinnerung an den Terror der Nationalsozialisten so präsent ist, dass sie auch dazu mahnt, heutiges Leid nicht zu vergessen. Sie kam mit zehn weiteren Schwestern der "Unbeschuhten Karmelitinnen", dem Reformzweig eines Ordens mit über 700-jähriger Tradition, an diese ungewöhnliche Erinnerungsstätte.

Ort zu Ehren der Zeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit

Unbeschuhte Karmelitinnen

Der Karmelitenorden entstand zu Beginn des 13. Jahrhunderts auf dem Berg Karmel bei der Stadt Haifa auf dem Gebiet des heutigen Israel. Im 16. Jahrhundert gründeten die spanischen Heiligen Teresia von Avila (1515-1582) und Johannes vom Kreuz (1542-1591) Reformzweige des Ordens, die unbeschuhten Karmelitinnen und Karmeliten. "Unbeschuht" steht für die Bereitschaft, für das klösterliche Leben auch Entbehrungen in Kauf zu nehmen.

Zu Gast bei den Karmelitinnen sein (Maria Frieden)

Es ist die "Gedenkkirche der deutschen Katholiken zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit in den Jahren 1933-1945", die vor 60 Jahren geweiht und damit eröffnet wurde. Der Standort war mit Bedacht gewählt: nur wenige hundert Meter entfernt befindet sich der Gefängnisschuppen, in dem die Nationalsozialisten an die 3.000 ihrer Gegnerinnen und Gegner hinrichteten, heute eine staatliche Gedenkstätte.

Eine Ordensniederlassung in solcher Umgebung ist nicht einmalig in Deutschland. Bereits 1964 hatten Karmelitinnen beim früheren Konzentrationslager Dachau ein Kloster gegründet, um an diesem Ort der Erniedrigung und Ermordung von Menschen für Frieden und Versöhnung zu beten. Von dort aus gründete der Orden ein Kloster bei der neuen Gedenkkirche, die 20 Jahre zuvor als Projekt aller katholischer Bistümer der damaligen Bundesrepublik entstanden war. Ein Gästehaus und ein Klosterladen tragen seither zu ihrem Unterhalt bei.

Der neue "Karmel", wie Niederlassungen des Ordens genannt werden, ist nicht einfach ein Duplikat des Dachauer Klosters, wie Schwester Mirjam betont. "Während dort vor allem der Opfer gedacht wird, sind es hier Menschen wie der Jesuitenpater Alfred Delp, die im Widerstand gegen Hitler aktiv waren", betont sie. Im gleichen Atemzug nennt sie
auch den Protestanten Helmuth James Graf von Moltke. Die Karmelitinnen waren die ersten Mitglieder der katholischen Kirche, die gemeinsam mit Jesuiten eng mit dem benachbarten Evangelischen Gemeindezentrum Plötzensee kooperierten und ein Ökumenisches Gedenkzentrum aufbauten.

"Bitte um Frieden aktuell wie lange nicht"

Über Leben und Vorstellungen von Katholiken und Protestanten gleichermaßen für ein friedliches und menschenfreundliches Deutschland informiert Schwester Mirjam, wenn sie - wie andere Mitglieder ihres Konvents - Besucherinnen und Besucher durch die Gedenkkirche führt. Längst sind es nicht mehr nur solche, die der Kirche und ihren "Blutzeugen" eng verbunden sind. "Oft kommen auch Menschen, die sich vor allem für das künstlerische Konzept des Baus interessieren", sagt Schwester Teresia Benedicta Weiner, die Vorsteherin des Klosters.

Gedenkkirche Maria Regina Martyrum / © Hans Knapp  (KNA)
Gedenkkirche Maria Regina Martyrum / © Hans Knapp ( KNA )

So erinnert der große Vorhof des kubischen Kirchenbaus an den Appellplatz einer Haftanstalt, der für Open-Air Gottesdienste angelegt wurde. In der Unterkirche des Gotteshauses lädt besonders die Pieta von Fritz Koenig (1924-2017), die den vom Kreuz abgenommenen Jesus auf dem Schoß seiner Mutter Maria darstellt, zu meditativer Einkehr ein.

Dort versammeln sich mehrfach am Tag die heute neun Plötzenseer Karmelitinnen, im Alter von 44 bis 95 Jahren, zum klösterlichen Stundengebet. "Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist unsere regelmäßige Bitte um Frieden aktuell wie lange nicht", betont Schwester Teresia Benedicta. Wie zu ihrer Bestätigung ist ein Korb in der Oberkirche randvoll mit vielen kleinen Zetteln, auf denen Besucher ihre Fürbitten für den Gottesdienst aufgeschrieben haben.

Quelle:
KNA