Laurie Santos fühlt sich in ihrer Forschung bestätigt: Einsamkeit sei "schlimmer als Fettleibigkeit, schlimmer als Diabetes", sagt die Psychologieprofessorin an der Yale University zu den kürzlich veröffentlichten Befunden der US-Regierung über das Ausmaß des Alleinseins in der US-amerikanischen Bevölkerung.
Laut der Studie mit dem Titel "Unsere Epidemie der Einsamkeit und Isolation" fühlen sich 60 Prozent der Amerikaner dauerhaft einsam.
Zum Vergleich: In Deutschland gaben laut der Langzeitstudie "Sozio-Oekonomischer Panel" 2021, auf dem Höhepunkt der Pandemie, rund 42 Prozent der Menschen an, sich einsam zu fühlen.
Einsamkeitsreport in den USA
Der Einsamkeitsreport in den USA stammt aus dem Haus des obersten US-Mediziners, dem "US Surgeon General", Vivek H. Murthy. Erstmals nahm eine Behörde der Regierung damit ein Thema in den Fokus, das vor der COVID-19-Pandemie kaum beachtet worden war.
Dabei existierte das Problem schon vor den Abstandsregeln und Einschränkungen im öffentlichen Leben während Corona. Exzessives Fernsehen seit den 1970er-Jahren, das Internet und die sozialen Medien hatten die Grundlage für das Problem geschaffen, das während der Pandemie dann voll aufbrach.
Erheblicher Risikofaktor für die Gesundheit
Murthy bewertet Einsamkeit als erheblichen Risikofaktor für die Gesundheit. Im Extremfall mit tödlichen Folgen, einschließlich Selbstmord. Fehlende Kontakte erhöhten das Todesrisiko und seien vergleichbar mit dem Rauchen von 15 Zigaretten pro Tag, heißt es in dem Bericht.
Der einsame Amerikaner habe ein um 30 Prozent höheres Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle, die Wahrscheinlichkeit für Demenz liege sogar bei 50 Prozent. Letzteres legte bereits eine Studie der "Johns Hopkins University" aus dem vergangenen Jahr nahe.
Verblüffend auch der Befund der Untersuchung unter jüngeren Amerikanern. Sechs von zehn College-Studierenden sagen, sie litten unter dem Gefühl, einsam zu sein. Zwar sind davon alle Altersgruppen betroffen, 15- bis 24-Jährige aber ganz besonders. Im Vergleich zur Jahrtausendwende gibt diese Altersgruppe zu 70 Prozent häufiger an, nur wenige Freundschaftskontakte zu haben.
Schwund des sozialen Engagements
Die private Isolierung, so der Bericht, geht mit einem rapiden Schwund des sozialen Engagements in Organisationen einher. Bereits 2018 erklärten gerade mal 16 Prozent der Amerikaner, sie fühlten sich mit ihrer lokalen Gemeinschaft verbunden. Ein drastischer Verlust an "Sozialkapital". Das betrifft politische Parteien, Gewerkschaften und auch Kirchengemeinden.
Gerade Religionsgemeinschaften komme eine große Verantwortung bei der Förderung menschlicher Bindungen zu, so Murthy. Insbesondere, weil Heiraten seltener und die Familien kleiner werden. Kirchengemeinden seien eine "Quelle sozialer Kontakte, die durch gemeinsame Werte Sinn stiften", so der Surgeon General. Tatsächlich aber geht die Zahl der Gläubigen drastisch zurück. 2020 lag die Zahl der Kirchen-, Moschee- und Synagogen-Mitglieder erstmals unter der 50-Prozent-Marke.
Gemeinschaft um jeden Preis berge allerdings auch Gefahren, heißt es in dem Bericht. Banden, extremistische Organisationen und sektiererische Gruppen verursachten enormen Konformitätsdruck.
Menschen in Gemeinschaften mit starkem Zusammenhalt könnten manchmal "Misstrauen und Ablehnung gegenüber Außenstehenden und destruktive Bevorzugung von Gruppenmitgliedern zeigen", warnt Murthy.
Das direkte Gespräch suchen
Die Empfehlungen der Regierung, Einsamkeit zu begegnen, sind so einfach wie eindeutig. Das direkte Gespräch suchen, Kontakte bei Facebook, TikTok & Co reduzieren und Alltagsroutinen entwickeln. 15 Minuten Zeit für ein Gespräch mit einem Freund, Kollegen oder Verwandten sollte jeder täglich einplanen. Jemanden anzurufen und ans Telefon zu gehen, wenn es klingelt, sei ebenfalls eine gute Sache.
Das "echte Leben leben", nennt das die Yale-Psychologin Santos. Dies sei nur möglich, wenn die Gesellschaft den richtigen Umgang mit der digitalen Kommunikation lerne.