DOMRADIO.DE: Warum ist das Gänseblümchen eine Marienblume?
Antje Peters-Reimann (Gartenhistorikerin und Buchautorin): Das beruht auf einer Legende. Als Maria mit dem Jesuskind auf der Flucht nach Ägypten war, um das Jesuskind vor seinen Verfolgern zu schützen, war sie traurig und voller Kummer.
An der Stelle, wo ihre Tränen auf den Boden fielen, wuchsen Gänseblümchen. Das Gänseblümchen schließt sich nachts, dann schließen sich die weißen Blütenblätter um den gelben Blütenkorb. Am Morgen, wenn das Licht wiederkommt, gehen sie wieder auf. Das ist ein Zeichen der Mütterlichkeit.
Das passt gut zur Mutter Maria, die sich um ihr Kind kümmert.
DOMRADIO.DE: Auch das Veilchen ist eine Marienblume. Warum ist das so?
Peters-Reimann: Auf allen Paradiesszenen, die man in der sakralen Malerei des Mittelalters kennt, sieht man sowohl das Gänseblümchen als auch das Veilchen. Das Veilchen hat diese herzförmigen dunkelgrünen Blätter und sehr stark duftenden Blüten. Aber es blüht im Schutz von Gehölzen, häufig gar nicht mal so prominent.
Sie kennen vielleicht das Bild von Stefan Lochner, Muttergottes mit dem Veilchen. Das hängt im Kolumba, dem Kunstmuseum des Erzbistums Köln. Darauf hält Maria ein Veilchen in der Hand.
Das Veilchen stand im Mittelalter für die Tugend der Demut. Heute denken wir, Demut bedeutet Unterwürfigkeit und sklavisches Verhalten. Im Mittelalter wurde Demut als völlige Hingabe an den Glauben oder als Vertrauen auf Gott verstanden. Bei Szenen, wo es um Gottvertrauen und Hingabe geht, sieht man ein Veilchen bei der Muttergottes blühen, entweder in der Hand so prominent wie bei Stefan Lochner oder zumindest auf der Wiese, auf der Maria steht.
DOMRADIO.DE: Auf der Wiese, auf der Maria steht, sind auch häufig Erdbeeren zu sehen. Was haben die denn mit Maria zu tun?
Peters-Reimann: Im Mittelalter war die Kindersterblichkeit sehr hoch. Man hatte die Vorstellung, wenn ein Kind gestorben ist, kommt es direkt zu Maria und darf zu Marias Füßen sitzen. Auf den Bildern sind oft kleine Walderdbeeren in großer Fülle zu sehen, die dort üppig wachsen. So konnte sich das kleine, verstorbene Kind dann im Schutze von Maria zumindest an der Frucht der Walderdbeeren erfreuen.
Außerdem ist die Erdbeere auch eine Pflanze des Paradieses. Die ganze Pflanze ist für den Menschen des Mittelalters von ganz hoher Symbolkraft. Die dreigeteilten Blätter der Erdbeere sind ein Hinweis auf die Dreifaltigkeit Gottes. Die weiße Farbe der Blüten steht symbolisch für die Jungfräulichkeit Marias und die roten Früchte waren ein Symbol für vollkommene Rechtschaffenheit.
DOMRADIO.DE: Das sind nicht mal alle Blumen, die mit ihrer Symbolik der Maria zugeordnet wurden. Warum gab es diese Blumensymbolik im Mittelalter?
Peters-Reimann: Das Mittelalter war für den Menschen eine Zeit großer Unsicherheit. Es gab Kriege, Dürren, Hungersnöte und es gab eine zweite Eiszeit. Es war also eine gefährliche Zeit, in der die Menschen Schutz und Hilfe suchten. Die fanden sie bei Maria, die sie als Mittlerin zwischen Himmel und Erde verstanden. Maria hat ja nicht nur die eine Funktion als Mutter Gottes, sie hat viele verschiedene Funktionen im Christentum.
Für jede dieser unterschiedlichen Funktionen stand symbolisch eine oder mehrere Pflanzen. Wenn man so viele Funktionen ausfüllen muss wie Maria im christlichen Glauben, zum Beispiel als gute Mutter, Himmelskönigin oder demütige Jungfrau, dann reicht eben eine einzelne heilige Blume nicht.
Das Interview führt Dagmar Peters.