Autorin stellt Dokumentarfilm über queere Muslime vor

"Bedroht und beschimpft"

Die katholische Kirche tut sich schwer mit Querness. Noch viel schwerer haben es queere Muslime, auch hier in Deutschland. Die ARD-Sendung Report Mainz hat einen Dokumentarfilm über genau diese Menschen und ihre Schicksale gemacht.

Symbolbild Eine Frau mit Kopftuch und einem Ballon in Regenbogenfarben / © yurakrasil (shutterstock)
Symbolbild Eine Frau mit Kopftuch und einem Ballon in Regenbogenfarben / © yurakrasil ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Sie haben diesen Film zusammen mit ihrem Kollegen Eric Beres gedreht. Der Titel ist "Verbotene Liebe? Queere Muslime, bedroht und beschimpft". Was es schwierig, Protagonisten zu bekommen?

Claudia Kaffanke (SWR-Autorin): Das war in der Tat nicht so einfach. Aber mein Kollege Eric Beres und ich haben mit sehr vielen Betroffenen sprechen können und so einen guten Einblick in die Probleme bekommen, mit denen sie zu kämpfen haben. Da waren schwule und lesbische Muslime dabei, Transfrauen und Transmänner.

Mann mit einer Regenbogenfahne / © 10incheslab (shutterstock)
Mann mit einer Regenbogenfahne / © 10incheslab ( shutterstock )

Am Telefon waren die auch sehr offen und gesprächsbereit. Das hat für die Recherche schon mal sehr geholfen. Es war aber eine andere Herausforderung, jemanden zu finden, der auch den Mut hatte, den Weg vor die Kamera zu gehen.

Wir haben einen schwulen jungen Mann treffen können, der mittlerweile offen zu seiner Homosexualität steht und dementsprechend auch offen vor die Kamera gegangen ist.

Eine junge Muslimin mit alevitischen Hintergrund hat anonymisiert mit uns gesprochen. Sie befürchtet vor allen Dingen, aus der Gemeinde ausgeschlossen zu werden, sollte sie offen zu ihrer Queerness stehen.

Ein Mann, der von seiner Familie bedroht wird, hat ebenfalls mit uns gedreht. Aber auch er wollte nur anonym sprechen, verständlicherweise.

DOMRADIO.DE: Was für eine Orientierung haben queere Menschen?

Kaffanke: Unter "queer" fällt alles, was nicht der Heteronormativität entspricht. Also Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans und intergeschlechtliche Menschen.

DOMRADIO.DE: Warum ist das vor allem im Islam so ein großes Problem?

Kaffanke: Viele sehen in der Religion des Islam eine Unvereinbarkeit mit Homosexualität, Transgeschlechtlichkeit und Queerness. Belegt wird das gängigerweise mit einer Geschichte des Propheten Lot im Koran, der es verurteilte, dass Männer mit anderen Männern sexuell verkehrten anstatt mit ihren Frauen.

Die Geschichte kennen Sie als Katholiken auch als die Geschichte von Sodom und Gomorra. Die Zerstörung der Stadt Sodom durch Gott soll dann in der konservativen Korandeutung belegen, dass Homosexualität ein bestrafenswertes Verhalten ist.

Die weniger konservative Auslegung dieser Koranstellen ist allerdings, dass es vielmehr um die Verurteilung, beziehungsweise Bestrafung von sexuellen Übergriffen geht.

DOMRADIO.DE: Im Islam gibt es insgesamt ein sehr traditionelles Familienbild. Was passiert, wenn in solchen konservativen Strukturen dann plötzlich in der eigenen Familie jemand dabei ist, von dem bekannt wird, dass er zum Beispiel homosexuell ist?

Kaffanke: Die Konsequenzen können ganz unterschiedlich ausfallen. In den Gesprächen mit den Betroffenen ist es schon zu uns durchgedrungen, dass es teilweise innerhalb der Kernfamilie nach einigem Ringen akzeptiert, besser gesagt toleriert wird.

Zu einem allumfassenden Outing kommt es aber trotzdem häufig nicht. Das hängt zum einen damit zusammen, dass man das größere Umfeld einfach schonen möchte.

Claudia Kaffanke

"Wir haben von Zwangsheiraten erfahren, um die "Krankheit zu heilen", so was wie Exorzismen soll es auch geben."

Zum anderen spart man das Thema Sexualität im Allgemeinen in muslimischen Communities eher aus. Es kann aber zweifellos auch zu stärkeren Reaktionen kommen. Wir haben von Zwangsheiraten erfahren, um die "Krankheit zu heilen", so etwas wie Exorzismen soll es auch geben. Völlige Ausgrenzung aus der Familie bis hin zu Bedrohungen psychischer und physischer Natur kommen ebenfalls vor.

Ganz schwierig ist es für diejenigen, die in der Gemeinde und der Religion stark verwurzelt sind und Angst haben, diese zu verlieren. Manche wenden sich schließlich auch von der Religion ab, weil sie sich dort nicht mehr abgeholt und akzeptiert fühlen.

DOMRADIO.DE: Es gibt in den sozialen Medien muslimische Influencer, die mit ihren religiösen Botschaften eine enorme Reichweite haben. Die hetzen mitunter gegen sexuelle Vielfalt. Welche Rolle spielen diese Influencer?

Kaffanke: Mein Kollege Eric Beres und ich haben einige Influencer und YouTuber gefunden, die für ihre Zwecke zunehmend queer-politische Themen propagandistisch instrumentalisieren. Das hat uns auch das Bundesamt für Verfassungsschutz auf Anfrage bestätigt.

Das dient dann zur Abgrenzung vom sogenannten "verkommenen Westen". Da werden Verschwörungsnarrative genutzt, die wir auch bei Rechtsextremen finden.

Influencer mit ihren Handys / © DisobeyArt (shutterstock)
Influencer mit ihren Handys / © DisobeyArt ( shutterstock )

Beispielsweise die Behauptung, dass Homosexualität ein Angriff auf die Familien bedeutet. Das ist insofern natürlich bedenklich, da sich diese Influencer gezielt an junge Menschen richten.

DOMRADIO.DE: Welche Botschaft geben Sie queeren Muslimen mit Ihrem Beitrag mit?

Kaffanke: Es gibt mittlerweile durchaus Anlaufstellen für queere Muslime. Was die Religion angeht, gibt es zum Beispiel den Liberal-Islamischen Bund. Und es gibt auch die eine oder andere Moscheegemeinde, die sich mit dem Thema offen auseinandersetzt.

Aber auch was die queere Community angeht, fand ich es während der Recherche bemerkenswert, dass queere Muslime oft in der allgemeinen queeren Community aufgrund ihres Glaubens oder ihres Migrationshintergrunds diskriminiert werden.

In Großstädten gibt es einige Anlaufstellen und Vereine, die speziell für diese Menschen da sind. Und es gibt auch Anlaufstellen, an die man sich wenden kann, wenn Gewalt oder Zwangsheirat droht.

Das Interview führte Verena Tröster.

Muslime in Deutschland

Von den etwa vier Millionen hier lebenden Muslimen ist nur ein Teil in religiösen Gemeinden oder Vereinen organisiert. Religiöse Gemeinschaften müssen keine Mitgliederzahlen nennen - eine exakte Übersicht gibt es nicht.

Fast drei Viertel sind Sunniten, gefolgt von Aleviten mit 13 und Schiiten mit 7 Prozent. Der Rest fällt auf kleine Glaubensgemeinschaften wie Ahmadiyya, Ibaditen und Anhänger der islamischen Mystik (Sufis). Die Zahl der zur sunnitischen Glaubensrichtung gehörenden Salafisten, die einen besonders strengen Islam vertreten, beträgt nach Schätzungen rund 7.000.

Muslime in Deutschland (dpa)
Muslime in Deutschland / ( dpa )
Quelle:
DR