DOMRADIO.DE: Karl der Große hat um das Jahr 800 vier Reliquien aus Jerusalem als Geschenk bekommen. Einerseits das Kleid Mariens aus der Nacht, in der Jesus geboren wurde, die sogenannten Windeln Jesu, das Tuch, in das man den Kopf des Heiligen Johannes des Täufers gelegt hatte und das Lendentuch Jesu, das er am Kreuz getragen hat. Die Frage nach der Echtheit kommt unweigerlich bei solchen kostbaren Reliquien. Sie werden vermutlich sagen, dass es gar nicht so wichtig ist, oder?
Rolf-Peter Cremer (Aachener Domprobst): Genau. Zunächst mal hat Karl der Große sogar noch viel mehr Sachen bekommen. Aber nur diese vier sind übrig geblieben. Drei weitere große Reliquien sind nach Kornelimünster gegangen, zur damaligen Reichsabtei, die parallel mit uns die Heiligtumsfahrt feiert.
Die Frage der Echtheit steht nicht mehr im Vordergrund. Wir können nachweisen, dass Karl der Große diese Tücher geschenkt bekommen hat. Sie sind zwischen dem dritten und fünften Jahrhundert entstanden und haben von daher auch schon eine lange Tradition.
Sie sind wahrscheinlich Berührungsreliquien, das heißt zur damaligen Zeit hat man an die Originale andere Tücher dran gehalten, um das, was diese Tücher ausdrücken, zu übertragen.
DOMRADIO.DE: Ab nächster Woche Freitag können Pilger diese sehr alten Reliquien zehn Tage lang sehen. In welchem Rahmen, denn Prozessionen durch Aachen gibt es ja keine mehr?
Cremer: Es gibt im Grunde zwei Formen. An jedem Morgen um 11 Uhr und auch zur Komplet werden alle vier Heiligtümer in den Gottesdiensten gezeigt.
Dann besteht die Möglichkeit, dass man am Nachmittag die Heiligtümer selbst im Dom verehren kann. Dabei werden die Besucher an den Heiligtümern vorbeigeführt. Man kommt ihnen also sehr nahe. Das Kleid Mariens ist das einzige Heiligtum, das auch richtig ausgepackt wird. Die anderen bleiben zum Schutz in ihren Reliquienbehältern.
DOMRADIO.DE: Auf dem Katschhof in Aachen gibt es eine große Altar-Insel. Dort finden Messen und Andachten statt, aber auch einiges an Kulturprogramm.
Cremer: Wir haben in diesem Jahr erstmalig ein ganz großes Kulturprogramm. Früher haben wir das nur vereinzelt angeboten. Dieses Jahr ist es so, dass wir jeden Abend auf dem Katschhof etwas machen.
Aber auch nachmittags und abends etwa 300 Meter weiter, auf der sogenannten Hofbühne, gibt es ein Programm, das ganz unterschiedliche Zielgruppen anspricht. Götz Alsmann wird kommen, Guildo Horn ebenso, es spielt ein Sinfonieorchester, aber auch kleinere regionale Gruppen.
Das Motto heißt "Entdecke mich!". Ein Themenabend steht unter diesem Motto. Es wird aber auch einen Abend für Aachener mit ein bisschen Lokalkolorit geben.
DOMRADIO.DE: "Für wen haltet ihr mich?" Das ist das Leitwort aus dem Matthäusevangelium. Jesus fragt das seine Jünger. Warum steht es über dieser Heiligtumsfahrt?
Cremer: Die Frage Jesu an die Jünger ist auch die Frage an uns: Was ist eigentlich die Identität von uns Menschen? Turnusgemäß wäre die Heiligtumsfahrt eigentlich im Jahr 2021 gewesen. Aber dadurch, dass sie wegen der Pandemie verschoben wurde, haben wir gemerkt, wie aktuell sie im Moment ist.
Wir wollen schauen, was das identitätsstiftende Moment für die Menschen vor dem Hintergrund der Erfahrungen von der Pandemie, hier in der Gegend auch der Flutkatastrophen und nicht zuletzt des Ukraine-Kriegs ist.
Gläubige Menschen sind eingeladen, auch eine Identität in der Person Jesu Christi zu finden. Damit sind wir dann bei dem zweiten Leitwort "Entdecke mich!" Es geht darum, dass sich Menschen entdecken, selbst neu entdecken und letztendlich die Verantwortung in der Welt und Gott entdecken.
DOMRADIO.DE: Sie erwarten rund 100.000 Besucherinnen und Besucher zur Heiligtumsfahrt in Aachen und Sie appellieren, möglichst nicht mit dem Auto anzureisen. Warum?
Cremer: Wir stellen uns auch den gesellschaftlichen Herausforderungen. Das heißt, wir müssen auch Antworten auf die Klimafrage geben. Wir haben ein eigenes kleines Programm, das "HeiFa pro Klima", also Heiligtumfahrt pro Klima, heißt.
Auch deswegen laden wir alle ein, den Pilgerweg zu Fuß oder mit dem Fahrrad anzutreten. Wer das nicht kann, kann gut mit dem öffentlichen Personennahverkehr anreisen. Zum einen, um eine Pilgererfahrung zu machen und auf der anderen Seite, um etwas fürs Klima zu tun.
Das Interview führte Tobias Fricke.