DOMRADIO.DE: Das Motto des Kirchentags lautet "Jetzt ist die Zeit." Wäre es angesichts der Skandale der katholischen Kirche nicht an der Zeit, dass die Katholiken lieber mal zu Hause bleiben? Sind sie überhaupt noch willkommen?
Dr. Karl-Hinrich Manzke (Landesbischof von Schaumburg-Lippe, als Catholica-Bischof Ansprechpartner für die Katholische Kirche): Das Motto weist ja sehr viel weiter als auf kirchliche Institutionen. Es ist aus dem Markusevangelium entnommen und steht am Anfang der Beschreibung der Wirksamkeit Jesu. Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen.
Das zeigt die Dimension, in die das Wort zu stellen ist, das das Motto für den Kirchentag in Nürnberg abgibt. Es geht nämlich um den Beitrag der Christenmenschen für eine hoffnungsstarke und auch im Glauben entschiedene Gesellschaft.
Daher ist das Motiv viel weiter gefasst als die institutionelle Dimension, in der die Kirchen in Deutschland unterwegs und angefochten sind - auch durch ihr eigenes Verhalten.
Ich fahre selbstverständlich zu jedem Katholikentag, nicht erst seit ich Bischof bin. Und natürlich sind katholische Christenmenschen, denen ihre Kirche am Herzen liegt, die sich um sie bemühen und die auch das Zeugnis der Christen in unserer Gesellschaft befördern wollen, herzlich willkommen in Nürnberg.
DOMRADIO.DE: Dennoch ist so ein Glaubensfest auch immer eine Art Selbstvergewisserung. Auch die evangelischen Christen werden weniger. Es ist heutzutage nicht mehr selbstverständlich, Christ zu sein ist. Ist es dann nicht wichtig, dass man auf so einem Kirchentag innerevangelische Themen besprechen kann, ohne dass ständig die katholischen Negativschlagzeilen reinkommen?
Manzke: Ein Kirchentag ist eine Vergewisserung des Glaubens, gewiss, und weist auch weit über den Kreis der verfassten Kirchen hinaus. Das ist die Grundidee eines Kirchentags wie die Katholikentage auch.
Es geht darum, das Zeugnis des christlichen Glaubens in unsere Gesellschaft hineinzutragen. Diese Aufgabe haben gerade die Christenmenschen, die auch kritisch mit ihrer Kirche im Gespräch sind und mit dieser Kritik nicht hinterm Berg halten.
Dafür haben sie beim Kirchentag eine gute Plattform. Es wird ja auch Veranstaltungen geben, wo die kirchliche Situation thematisiert wird, ohne dass das zu einseitig auf die Konfessionen geht. Auch die evangelische Kirche hat große Schwächen in vielen Bereichen, die es zu bearbeiten und auch erst mal zu benennen gilt.
Es ist kein Treffen der Evangelischen Kirche ohne Gäste. Es kommen aus der internationalen Ökumene eine Fülle von Gästen und auch dadurch, dass es in die Öffentlichkeit hineinwirken soll, ist es als gemeinsames Glaubenszeugnis über die Grenzen von Konfessionen und Kirchen hinweg ein wichtiges Signal.
DOMRADIO.DE: Seit die Corona-Pandemie im Großen und Ganzen vorbei ist, gab es schon einen Katholikentag, der deutlich schlechter besucht war. Gründe waren zum einen die Corona-Nachwirkungen, aber auch die Situation der Katholischen Kirche insgesamt. Haben Sie konkret die Befürchtung, dass weniger katholische Christen kommen?
Manzke: Mein letzter Kenntnisstand geht dahin. Sonst waren bei den Evangelischen Kirchentages ja weit über 100.000 Dauerteilnehmende, in diesem Jahr liegt die Zahl wohl etwas darunter.
Ich bin im vergangenen Jahr in Stuttgart gewesen. Das war in der Tat ein Katholikentag, der sehr deutlich vor Augen geführt hat, dass viele, die selbstverständlich immer zum Katholikentag gefahren sind, skeptisch geworden sind gegenüber ihrer Kirche und neu oder zurückgewonnen werden wollen. Das war sehr deutlich.
Der Evangelische Kirchentag ist glücklicher- und dankenswerterweise sehr viel besser besucht. Aber die Zahl liegt wie gesagt wohl etwas unter 100.000.
Aber das soll uns nicht anfechten. Es wird hoffentlich auch Tagesgäste geben, die noch kommen. Auf jeden Fall wird es nicht nur Platz für kritische Nachfragen geben. Es gibt vielmehr die ganze Bandbreite der christlichen Äußerungsformen mit vielen Gottesdiensten, Gesprächsforen und Bibelarbeiten. Es wird eine evangelische Messe und Gottesdienste geben, die eher pfingstlich organisiert sind.
Ich rechne nicht damit, dass der gleiche Eindruck entstehen wird wie in Stuttgart, dass hier eigentlich für eine zu große Veranstaltung geplant wurde und viel weniger kamen als gedacht.
Wir freuen uns über jeden Tagesbesucher. Aber wir werden auch als evangelische Kirche sehr genau und aufmerksam hinschauen, wo wir die Menschen neu gewinnen müssen.
DOMRADIO.DE: So ein Kirchentag oder Katholikentag kann eine ganz eigene "Magie" entwickeln, wenn das Wetter toll ist, wenn die Menschen gute Laune haben. Welchen Impuls erhoffen Sie sich denn ganz persönlich von dem Kirchentag in Nürnberg?
Manzke: Ich erhoffe mir zunächst, dass es für die, die da sind, auch eine Vergewisserung ist, dass der Glaube und der christliche Glaube eine wichtige Grundhaltung für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft ist.
Der Historiker Heinrich August Winkler hat mal gesagt: "Das Abendland kennzeichnet sich in seiner Geschichte des Westens dadurch, dass der Glaube einen Platz hat, der über uns selbst hinaus weist und der auch hilft, Probleme zu lösen und gesellschaftliche Entwicklung zu ertragen und zu gestalten." Das erhoffe ich mir, dass es neben dem Fest-Charakter auch eine Stärkung des Glaubens ist, der nicht von gestern oder von vorgestern ist, sondern für die Gegenwart und für die Zukunft Hilfe gibt - persönlich und gesellschaftlich.
Dann erhoffe ich mir auch, dass die Fragen, mit denen es unsere Gesellschaft zu tun hat, von der Ukraine und der Frage, wie der Frieden neu gefunden werden kann, bis hin zu entwicklungspolitischen Fragen, wieder in den Mittelpunkt unserer gesellschaftlichen Debatten gerückt werden, auch durch den Kirchentag.
Das Interview führte Mathias Peter.