Papst Franziskus liebt bisweilen die drastischen Worte: Etwa als er in seinem Schreiben "Evangelii Gaudium" formulierte: "Diese Wirtschaft tötet". Dabei hatte er sicher nicht die Mehrheit der Unternehmern und Unternehmen im Sinn, die oft in enger Gemeinschaft mit ihren Angestellten Produkte und Dienstleistungen anbieten, von denen wir alle einen Mehrwert haben.
Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden
Vielmehr dachte er an jene Unternehmen, die unter Verletzung der Menschenwürde mit Kinder- und Zwangsarbeit, mit Ausbeutung und Unterdrückung, mit Umweltverschmutzung und systematischer Gewalt ihre Waren produzieren – und davon gibt es weltweit leider doch eine ganze Menge, wenn man auf die Zahlen der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf (ILO) oder die prominenten Beispiele schaut, wie etwa eingestürzte Industriegebäude in Bangladesh oder der kollabierte Staudamm in Brasilien. Menschenrechtsverletzungen bei der Arbeit und Umweltschäden sind leider keine Ausnahme in Ländern mit schwachen Institutionen und einem großen Arbeitskräfteüberangebot.
Doch was hat das mit uns zu tun? Mit Deutschland, dem Land der sozialen Marktwirtschaft und weitreichenden Regelungen für Beschäftigung und Umweltschutz? Aufgrund der Internationalität der Lieferketten ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass jeder von uns tagtäglich Produkte verwendet, bei deren Herstellung vom Rohstoff über die verschiedenen Schritte der Weiterverarbeitung Menschenrechte missachtet wurden. Um dem entgegenzuwirken, wurde nach erheblichem öffentlichem Druck auch durch Kirchen, Hilfswerke und Verbände – wie Kolping – 2021 vom Bundestag ein Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz beschlossen, das deutsche Unternehmen in die Pflicht nimmt, sorgfältig Hinweisen nachzugehen, ob in ihrer Lieferkette Verstöße vorkommen.
Christdemokraten bremsen
Nun wurde am Donnerstag nach langem Ringen auch auf europäischer Ebene mit der "Corporate Sustainability Due Diligence Directive" (CSDDD) eine Richtlinie mit gleicher Zielrichtung auf den Weg gebracht – gegen den Widerstand der EVP, also der konservativen Fraktion im EU-Parlament und darin besonders den Mitgliedern der CDU/CSU-Gruppe. Schon der Entwurf der Kommission und die Positionierung des Ministerrats ging den Christdemokraten und Christsozialen zu weit.
Und die Argumente, mit denen die Ablehnung und Verwässerung der Richtlinie betrieben wurde, wurden am Morgen nach der Abstimmung bei der Tagung "Wirtschaft und Entwicklung" des Bunds katholischer Unternehmer und der Adenauer Stiftung in Köln weiter ventiliert: zu bürokratisch, bevormundend und vor allem schlicht nicht Aufgabe der Unternehmen, sich um die Durchsetzung von Menschenrechten entlang ihrer Lieferkette zu kümmern.
Mehrkosten sind überschaubar
In der Tat sind in erster Linie die Staaten selbst in der Pflicht, Arbeitsrechte im Inland durchzusetzen. Doch wo diese dazu nicht willens oder in der Lage sind, bleiben die Rechte der Menschen bestehen und richten sich dann an die nächstmögliche Instanz – eben die Unternehmen selbst. Und die Kosten, die den Unternehmen dadurch entstehen, sind minimal, wenngleich für kleinere Unternehmen natürlich höher, so rechnen Studien vor.
Kein Unternehmen wird aufgrund der Nachweispflichten im internationalen Wettbewerb untergehen. Und bevormundend gegenüber dem Globen Süden ist eine europäische Richtlinie gleich gar nicht, denn sie fordert nichts, was die Staaten nicht schon selbst in internationalen Vereinbarungen wie den Kernarbeitsnormen der ILO und den UN-Leitsätzen für multinationale Unternehmen seit Jahrzehnten unterzeichnet haben.
Ein wichtiger Schritt
Wer Lieferkettengesetze ablehnt, steht in der Pflicht zu sagen, wie dann tödliche Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen bei der Herstellung von Waren europäischer Unternehmen unterbunden werden können. Doch bis auf freiwillige Selbstverpflichtungen, die ihre Wirkungslosigkeit in den letzten 20 Jahren hinlänglich bewiesen haben, kommt leider kein konkreter Vorschlag just aus dem politischen Lager, zu dessen Gründungsgeschichte der Rekurs auf die Katholische Soziallehre gehörte. "Diese Wirtschaft tötet" – jetzt etwas weniger. Der Beschluss des EU-Parlaments ist zwar nicht hinreichend, aber ein guter und wichtiger Schritt, die Würde der Menschen und unsere gemeinsame Schöpfung besser zu schützen.
Dr. Markus Demele ist Generalsekretär von Kolping International; der katholische Sozialverband ist Mitglied der Initiative Lieferkettengesetz.