DOMRADIO.DE: Wann und warum wurden sie vom Pilger-Virus infiziert?
Beate Steger (Vielpilgerin und Pilgerexpertin): Es ist zufällig gekommen. 2001 bis 2002 war ich auf einer einjährigen Weltreise mit meinem Fahrrad. Das war immer mein Traum gewesen, mal länger als nur in der Zeit eines normalen Jahresurlaubs unterwegs zu sein. Ich habe lange gedacht, das wäre gar nicht möglich. Aber ich konnte damals ein "Sabbatical" (ein freies Arbeitsjahr, Anm. d. Red.) nehmen und habe dann angefangen zu überlegen.
Ich war mit einer Freundin mit dem Fahrrad unterwegs. Es sollte sehr günstig sein. Da war die Überlegung, wo wir denn hinfahren könnten. Da ist mir irgendwie der Jakobsweg untergekommen. Ich weiß gar nicht mehr so genau, woher ich das hatte. Ich glaube, ich habe in der Zeitung davon gelesen. Es war auf jeden Fall vor Hape Kerkeling gewesen. Der ist nämlich einen Monat nach uns gestartet und sein Buch wurde dann erst Jahre später überhaupt populär.
Da war ich also auf diesem Jakobsweg mit dem Fahrrad zwischen Pamplona und Santiago de Compostela und habe die Fußpilger glühend beneidet, die abends mit glücklichen Gesichtern angekommen sind.
Ich hätte das so gerne auch gemacht. Ich hätte am liebsten das Fahrrad in die Ecke gestellt. Aber es war ja am Anfang der Fahrrad-Weltreise, das ging nicht. Ich habe es dann danach wiederholt. Und so bin ich dazu gekommen.
DOMRADIO.DE: Warum wollten Sie denn langsamer unterwegs sein? Mit dem Fahrrad kann man zumindest die gleiche Landschaft genießen. Was haben Sie sich von dem langsamen Unterwegssein versprochen?
Steger: Ich wollte es vielleicht intensiver erleben. Wobei ich mittlerweile auch immer wieder mit dem Fahrrad gepilgert bin. Aber vielleicht war es die eingeschworene Gemeinschaft, die da angekommen ist, die Leute kannten sich alle.
Wir waren immer etwas schneller mit dem Fahrrad unterwegs und haben weitere Strecken pro Tag absolviert. Wir haben immer wieder neue Leute in diesen Herbergen kennengelernt. Ich glaube, diese Verbundenheit, diese Gemeinschaft, hat mich gereizt.
DOMRADIO.DE: Dann sind Sie den Jakobsweg gegangen, den Camino Frances und haben die typischen Anfängerfehler gemacht. Wie kam es dazu? Warum haben Sie sich zu wenig vorbereitet?
Steger: Ja, ich bin Hals über Kopf gestartet, muss ich gestehen. Als ich das erste Mal zu Fuß gegangen bin, hatte ich gerade meine Selbstständigkeit als Vortragsreferentin und als Redakteurin aufgebaut. Da war überhaupt keine Zeit und kein Platz zum Pilgern.
Ich hatte dann eine sehr schwere Trennung. Mir ging es richtig schlecht und innerhalb von zwei Wochen habe ich mich entschieden, ich gehe jetzt diesen Jakobsweg, den ich immer schon machen wollte zu Fuß.
Ich hatte ganz neue Wanderschuhe. Das war natürlich großartig und ich hatte überhaupt keine Ahnung, was es bedeutet, so lange zu Fuß unterwegs zu sein. Ich hatte auch völlig falsch gepackt.
DOMRADIO.DE: Das ist Ironie mit den neuen Schuhen. Man soll doch eigentlich Schuhe nehmen, in denen man schon gut laufen kann, damit man keine Blasen kriegt, oder?
Steger: Ja, ich hatte sehr viele Blasen. Die sind aber dann etwa nach einer Woche auch wieder weggegangen. Danach war die Sache auch durch. Ich habe auch Sachen nach Hause geschickt. Ich habe also die typischen Anfängerfehler gemacht. Das hat sich aber dann irgendwie ausgeglichen. Ab Woche zwei oder zweieinhalb, sagen wir mal, war ich dann richtig gut unterwegs.
DOMRADIO.DE: Inwiefern hat sich denn durch das Pilgern Ihr Leben verändert? Das Ganze ist ja schon ein paar Jährchen her, und seitdem pilgern Sie unglaublich viel.
Steger: Ich war 2009 als Vortragsreferentin auch immer auf der Suche, was ich an neuen Themen bringen kann, was die Menschen interessiert. Ich habe dann erkannt, dass das Pilgern in Deutschland Fuß fassen wird und habe angefangen, die deutschen Jakobswege zu dokumentieren.
Es gab damals viele einzelne Initiativen, Jakobus-Gesellschaften, Gruppierungen, aber es gab keinen Überblick. Welche Wege haben wir denn in Deutschland?
Da habe ich Hans-Jörg Bahmüller kennengelernt, der im süddeutschen Raum tätig ist. Wir haben zusammen eine Internetseite aufgebaut, die einen Überblick über die deutschen Jakobswege bietet. So kam ich immer mehr in dieses Thema rein.
Ich war dann auch in Frankreich pilgern und seit 2018 schreibe ich und arbeite als Redakteurin beim Magazin "der Pilger". So hat sich das herauskristallisiert, dass ich immer mehr ins Pilgern gerutscht bin. Ich mache fast nichts anderes mehr an Themen als Pilgern, weil das sozusagen alles übernommen hat.
DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie reisen und Sie pilgern, aber wenn Sie das Ganze dokumentieren, sind Sie innerlich noch als Pilger unterwegs oder vermissen Sie da auch manchmal eine Reise nur für sich?
Steger: Als Vortragsreferentin macht man sowieso fast keinen normalen Urlaub mehr. Da muss man schon die Kamera zu Hause lassen und sagen, dass man nichts dokumentiert. Aber es geht mir trotzdem so, wenn ich unterwegs bin, dass ich immer wieder da rein rutsche.
Gott sei Dank kann man wirklich sagen, dass ich, wenn ich in einem Wald unterwegs bin und eine schöne Quelle oder ein schönes Wegkreuz sehe, nicht anders kann. Da komme ich sofort wieder in diesen Pilgermodus. Ich fühle mich unheimlich verbunden und auch beschenkt, dass ich mit so etwas mein Geld verdienen kann. Besser kann es eigentlich gar nicht laufen.
DOMRADIO.DE: Wohin geht die nächste Pilgerreise?
Steger: Auf den Frauen-Pilgerweg im Badischen, den ich mitgestalten darf, durch den Schwarzwald.
Das Interview führte Dagmar Peters.