Betroffenensprecher Norpoth ordnet Kölner Urteil ein

Signalwirkung für Missbrauchsopfer in der Kirche?

Das Landgericht Köln hat das Erzbistum Köln zur Zahlung von 300.000 Euro Schmerzensgeld an einen Missbrauchsbetroffenen verurteilt. Das ist deutlich mehr als Betroffene bislang erhalten haben. Welche Bedeutung hat das Urteil?

Johannes Norpoth / © Julia Steinbrecht (KNA)
Johannes Norpoth / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie wichtig ist dieses Urteil für die Opfer? Erhalten sie das, was sie schon längst angesichts ihres Leidens hätten bekommen müssen?

Landgericht und Amtsgericht Köln / © Julia Steinbrecht (KNA)
Landgericht und Amtsgericht Köln / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Johannes Norpoth (Sprecher des Betroffenenbeirates bei der Deutschen Bischofskonferenz): Zunächst einmal ist das heute ein guter Tag, insofern man das überhaupt in diesem Kontext sagen kann. Aber dennoch ist es ein guter Tag für Betroffene sexualisierter Gewalt in der Kirche.

Ein deutsches Gericht hat endlich einmal einer Schadensersatzklage stattgegeben und das in einem beträchtlichen, bedeutendem Maße. Insofern hat dieses Urteil hoffentlich Signalwirkung auf das weitere Prozedere innerhalb der Kirche. Man muss noch einmal in die Begründung gucken. Aber ich glaube, grundsätzlich kann man sagen, davon wird eine Signalwirkung ausgehen.

DOMRADIO.DE: Bislang waren die Zahlungen viel niedriger, die die Bistümer geleistet haben. Auch wenn klar ist, dass Geld nicht die Taten rückgängig machen kann. Ist es nicht eigentlich schon fast ein bisschen peinlich für die Bistümer, dass es weltliche Gerichte bedarf, bis die Opfer endlich finanziell angemessen entschädigt werden?

Norpoth: Da ist Peinlichkeit schon fast ein harmloser Ausdruck. All das, was Betroffenenvertreter innerhalb und außerhalb der Kirche seit Jahren sagen und nahezu gebetsmühlenartig predigen, haben wir heute in Köln erlebt: Einen weltlichen Gerichtsprozess, der der Kirche deutlich ins Gebetbuch schreibt, dass das, was sie bisher gemacht hat, schlicht nicht ausreicht.

Es ist tatsächlich peinlich, da gebe ich Ihnen recht, dass es eines weltlichen Gerichts bedarf, dass diese hinlänglich bekannte Tatsache jetzt auch endlich mal in die Stammbücher der Kirchen und hoffentlich der Generalvikare und Bischöfe schreibt.

Johannes Norpoth

"Ich hoffe, dass viele Bistümer dem gleichtun. Ich kann mir aber im Moment nicht vorstellen, dass das bei allen 27 Diözesanbischöfen so sein wird."

DOMRADIO.DE: Das Erzbistum Köln hat bewusst auf die Verjährung verzichtet. Ist das ein Schritt hin zu mehr Anerkennung der kirchlichen Verantwortung oder nur das Mindeste, was das Erzbistum Köln jetzt tun konnte?

Norpoth: Die Frage der Einrede der Verjährung wird vermutlich 27 mal anders beantwortet, weil das alle 27 anderen Bistümer betrifft. Ich persönlich gehe davon aus, dass es sich das Erzbistum Köln angesichts der Öffentlichkeitslage schlicht und ergreifend nicht leisten konnte, in diese juristische Interpretation zu gehen und die Einrede der Verjährung zu ziehen. So hätte man eine solche Klage und den Richtspruch heute schlicht und ergreifend über diesen Weg unmöglich machen können.

Ich hoffe, dass viele Bistümer dem gleichtun. Ich kann mir aber im Moment nicht vorstellen, dass das bei allen 27 Diözesanbischöfen so sein wird. Insofern ist das eine spannende Frage über die weiteren Schadensersatzklagen an Bistümer. Und vielleicht - da muss heute ein bisschen Wasser in den Wein gegossen werden - ist das auch eine mögliche Hürde für Klagen anderer weiterer Betroffener.

DOMRADIO.DE: Wie meinen Sie das? Warum ist das eine Hürde?

Norpoth: Sie müssen in ein ordentliches Verwaltungsgerichtsverfahren. Das ist eine etwas andere Qualität, auch was die Beweislage angeht, als das Verfahren von der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA).

Ich befürchte schlicht und ergreifend, dass sich nun einzelne Bischöfe oder aber die Organisation an sich auf eine Position zurückzieht, in der man sagt: Ja, dann klagt doch, ihr Betroffenen. Wenn unsere UKA-Leistungen nicht ausreichen und sie reichen schlicht nicht aus, dann klagt doch. Aber dafür brauchen sie Geld. Sie brauchen Sprachfähigkeit. Und sie müssen unfassbar viel Mut haben, damit in die Öffentlichkeit zu gehen.

DOMRADIO.DE: Glauben Sie, dass jetzt mehr Betroffene den Weg zum Gericht wagen, auch wenn das, wie Sie ja sagen, deutlich aufwendiger und vielleicht auch emotional und seelisch belastender ist?

Leerer Gerichtssaal im Kölner Landgericht / © Theo Barth (KNA)
Leerer Gerichtssaal im Kölner Landgericht / © Theo Barth ( KNA )

Norpoth: Ich kann mir das vorstellen. Spannend wird aber noch ein anderer Aspekt sein, nämlich dass im Anerkennungsverfahren des Leids der Deutschen Bischofskonferenz definiert ist, dass sich an Vergleichsurteilen orientiert wird. Das hier ist ein erstes Vergleichsurteil.

Es ist insofern spannend, wie die Bescheidhöhen und die Bescheide der Unabhängigen Kommission jetzt aussehen werden, ob sie sich an diesem Urteil des Kölner Landgerichts orientieren.

Ein anderer Aspekt wird auch spannend sein, nämlich, man muss ein wenig in die Begründung gucken, inwiefern auch die Amtspflichtverletzung des Bistums an dieser Stelle eine Rolle gespielt hat, auch für die Höhe der Schadensersatzzahlungen. Denn letzten Endes ist das eine spannende Frage.

In tausenden von Fällen war es so, dass die Kirche, die Bistümer, die Personalverantwortlichen nicht reagiert haben und damit erst viele, viele tausend Fälle ermöglicht haben. Danach, glaube ich, kann man abschätzen und eine ordentliche Prognose wagen, wie das weitere Verfahren aussieht und wie die "Klagelandschaft" dann aussehen wird.

Das Interview führte Mathias Peter.

Zahlen zu Anerkennungsleistungen für Missbrauchsopfer

Die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen UKA hat am Freitag (03.02.2023) ihren Jahresbericht vorgelegt. Nachfolgend nennt die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) einige Eckdaten zu der Arbeit des Gremiums, das über die sogenannten Anerkennungszahlungen für Missbrauchsbetroffenen in der katholischen Kirche befindet:

- 2.112 Anträge wurden seit Beginn des Jahres 2021 bei der UKA eingereicht; 1.839 davon waren zum Jahresende 2022 bearbeitet. Das entspricht einer Quote von rund 87 Prozent.

Ein aus einem Zwanzig-Euro-Geldschein gefaltetes Kreuz / © Julia Steinbrecht (KNA)
Ein aus einem Zwanzig-Euro-Geldschein gefaltetes Kreuz / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
DR