Das Schmerzensgeld-Urteil des Kölner Landgerichts zu sexualisierter Gewalt in der Kirche ist auf ein positives Echo gestoßen.
Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, nannte die Entscheidung gegen das Erzbistum Köln ein "immens wichtiges Signal". Der Richterspruch zeige, dass über kirchenunabhängige Wege eine zivilrechtliche Prüfung von Missbrauchsfällen möglich sei. Das System der kirchlichen Anerkennungszahlungen müsse neu bedacht und angepasst werden, sagte sie der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Betroffenenbeirat fordert Konsequenzen
Auch der Sprecher des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Norpoth, forderte rasche Konsequenzen.
Das Gericht habe klar vorgegeben, dass die katholische Kirche an Betroffene deutlich höhere Zahlungen leisten müsse als bisher. Für die Gruppe "Wir sind Kirche" hat das Urteil eine Signalwirkung für alle ähnlich gelagerten Prozesse, besonders für die am 20. Juni zu verhandelnde Schmerzensgeldklage eines Betroffenen vor dem Landgericht Traunstein.
Rixen: Ermutigendes Signal für Betroffene
Der Kölner Staatsrechtler Stephan Rixen sprach von einem ermutigenden Signal für Betroffene. Endlich werde über Summen gesprochen, die ernst zu nehmen sind, sagte er auf Anfrage. Das Urteil sollte Anlass sein, über einen Entschädigungsfonds für alle Betroffenen sexualisierter Gewalt nachzudenken - also auch im Sport, in staatlichen Heimen oder in Familien. Denn nicht jeder Betroffene könne den beschwerlichen Klageweg beschreiten.
Das Erzbistum Köln soll nach dem am Dienstag ergangenen und noch nicht rechtskräftigen Urteil einem Missbrauchsbetroffenen 300.000 Euro Schmerzensgeld zahlen. Bislang hatte Georg Menne im Rahmen des kircheninternen Systems 25.000 Euro in Anerkennung des Leids erhalten. Der 64-Jährige forderte von der Diözese 725.000 Euro Schmerzensgeld sowie 80.000 Euro für mögliche künftige Schäden. Das Erzbistum verzichtete in dem Fall darauf, eine Verjährung zu beanspruchen.
Claus sagte, das Urteil dürfe keine falsche Hoffnungen wecken. Vor Gericht müssten Betroffene den Missbrauch konkret nachweisen. Dies sei oft nicht möglich. Daher sei durch das Urteil das von der Deutschen Bischofskonferenz eingerichtete Verfahren zur Anerkennung des Leids nicht überflüssig geworden. Bei diesem Verfahren reicht es aus, den Missbrauch plausibel darzustellen.
Norpoth wies im WDR darauf hin, dass über die Hälfte der kirchlichen Anerkennungszahlungen bei 25.000 Euro und weniger gelegen hätten - mit einem Schwerpunkt bis 10.000 Euro. "Damit dürfte sicherlich und muss eigentlich Schluss sein nach dem Kölner Urteil." Nun hätten die Bischöfe ein bisher fehlendes Vergleichsurteil. Zwar sei das Gericht deutlich unter der Klägerforderung geblieben. "Fakt ist aber: Es ist gestern zur höchsten Schmerzensgeldzuweisung eines deutschen Gerichts im Kontext sexualisierter Gewalt in der Kirche gekommen."
Genn will weitere Entwicklung abwarten
Münsters Bischof Felix Genn will nach dem Kölner Urteil erst die weitere Entwicklung abwarten. Zu künftigen Schadensersatzprozessen gegen das Bistum Münster sagte er am Dienstagabend, die Diözese werde sich jeden Einzelfall anschauen und dann entscheiden, ob sie auf die Einrede einer Verjährung verzichte.
Seit 2021 entscheidet die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) über die Höhe der Kirchenzahlungen an Betroffene. Sie orientiert sich nach eigenen Angaben "am oberen Bereich der durch staatliche Gerichte in vergleichbaren Fällen zugesprochenen Schmerzensgelder". In den ersten zwei Jahren erhielten Betroffene im Mittel rund 22.000 Euro pro Antrag. In etwa acht Prozent der Fälle seien aber mehr als 50.000 Euro gezahlt worden, mitunter auch mehr als 100.000 Euro.