Fragen und Antworten zum "Benedikt-Verfahren" in Traunstein

Missbrauchsopfer verklagt Kirche auf Schadensersatz

Am Dienstag beginnt vor dem Landgericht Traunstein ein Zivilprozess, der seit Monaten für Schlagzeilen sorgt. Ein Missbrauchsbetroffener will mehrere hunderttausend Euro Schadensersatz. Einige wichtige Fragen und Antworten dazu.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
Papst Benedikt XVI. im Jahr 2012 (KNA)
Papst Benedikt XVI. im Jahr 2012 / ( KNA )

Wer ist der Kläger?

Andreas Perr (39) aus dem oberbayerischen Garching an der Alz gibt an, von seinem früheren Pfarrer Peter H. Mitte der 1990er Jahre zusammen mit anderen Jungen missbraucht worden zu sein. Das habe ihn völlig aus der Bahn geworfen. Perr wird von der Garchinger "Initiative Sauerteig" unterstützt, die für ihn nach eigenen Angaben bereits 25.000 Euro zur Finanzierung seiner Prozesskosten gesammelt hat.

Peter H. ist ein Wiederholungstäter, der an verschiedenen Orten Kinder missbraucht hat. Daran änderte auch ein 1986 verhängtes rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Ebersberg nichts. Im 2022 veröffentlichten Missbrauchsgutachten für die Erzdiözese München und Freising füllt sein Fall einen Sonderband. Einen einmaligen Missbrauch des Klägers hat er inzwischen eingeräumt.

Wer sind die Beklagten?

Die Klage richtet sich gegen drei Personen sowie eine Körperschaft, nämlich das Erzbistum München und Freising. Außer dem Täter selbst soll das Erzbistum für den entstandenen Schaden haftbar gemacht werden, dazu die früheren Münchner Erzbischöfe Kardinal Friedrich Wetter (95) und Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., der mehrere Monate nach Einreichung der Klage am Silvestertag 2022 gestorben ist.

Diesen Teil des Verfahrens hat das Gericht kurzfristig vom Rest abgetrennt, weil die Rechtsnachfolge unklar sei. Offenbar gibt es Probleme bei der Ermittlung der Erben. Laut Medienberichten hat eine Cousine von Benedikt bereits abgelehnt. Es kommen aber noch andere entfernte Verwandte in Betracht.

Was will der Kläger erreichen?

Er verlangt insgesamt 350.000 Euro Schmerzensgeld, 300.000 Euro vom Erzbistum München und Freising und 50.000 Euro von den Erben des früheren Papstes Benedikt XVI. Derzeit ist unklar, ob diese überhaupt ermittelt werden und das Erbe dann auch annehmen. Andernfalls gäbe es niemanden mehr, gegen den sich die Forderung richten kann. Dieser Teil der Klage liefe dann ins Leere.

Wie haben sich die Beklagten positioniert?

Das Erzbistum München und Freising hat sich grundsätzlich bereiterklärt, ein angemessenes Schmerzensgeld zu leisten. Dies könnte auch auf dem Weg eines Vergleichs erreicht werden. Dazu wird das Gericht zum Auftakt eine Güteverhandlung vorschlagen. Kommt diese nicht zustande, beginnt der eigentliche Prozess. Der Anwalt des beklagten einstigen Pfarrers hat die Abweisung der Klage beantragt.

Gibt es vergleichbare Gerichtsverfahren?

Am 13. Juni 2023 verurteilte das Landgericht Köln das Erzbistum Köln zur Zahlung von 300.000 Euro Schmerzensgeld an einen Missbrauchsbetroffenen. Es war die erste derartige Entscheidung in Deutschland. Sie ist noch nicht rechtskräftig. Die Fallkonstellation unterscheidet sich aber erheblich von der in Traunstein.

Im Kölner Prozess ging es um einen Schaden aufgrund von 320 einzelnen Missbrauchstaten über mehrere Jahre hinweg. Beiden Fällen gemeinsam ist: Es geht um die Haftung kirchlicher Amtsträger für das, was Untergebene angerichtet haben. Diese Verantwortung haben das Erzbistum Köln und auch das Erzbistum München und Freising dem Grunde nach bejaht.

Welche Bedeutung hat der Prozess über den Einzelfall hinaus?

Sollte der Kläger in Traunstein eine erhebliche Summe erstreiten, könnte dies andere Missbrauchsopfer motivieren, sich gleichfalls an Gerichte zu wenden. Aus Betroffenenkreisen wird schon lange moniert, dass die bisher freiwillig gezahlten Anerkennungsleistungen der Kirche viel zu niedrig seien.

Wird es nun zu einer Klagewelle gegen die Kirche kommen?

Das lässt sich nicht so leicht einschätzen. Vor Gericht gelten schärfere Regeln. Im Zweifelsfall muss bewiesen werden, dass ein Schaden durch Missbrauch und nicht durch etwas Anderes verursacht wurde. Im kirchlichen Verfahren genügt es in der Regel, dass die geltend gemachten Angaben plausibel sind. Auch dürften die Prozesskosten manchen abschrecken. Diese hängen vom Streitwert ab.

Im aktuellen Fall hat ihn das Landgericht Traunstein mit 362.000 Euro festgesetzt. Dazu kommt die Belastung, dass eine Gerichtsverhandlung öffentlich ist. Allerdings mehren sich Hinweise darauf, dass die Kirche das System ihrer freiwilligen Zahlungen noch einmal überdenkt, um weitere Klagen abzuwenden. Rechtskräftige Urteile könnten dies beschleunigen.

Quelle:
KNA