Wie politisch darf ein Gottesdienst sein?

Zwischen "Sakristeichristentum" und "Geschwätzigkeit"

Wie viel Meinungsäußerung verträgt ein Gottesdienst? Sind Protestaktionen gegen den Vorsteher einer Messe ein Übermaß an politischer Agitation, ähnlich wie laute Sozialkritik? Der katholische Publizist Püttmann mit einer Einordnung.

Ist eine Messe ein rein geistlicher Ort ohne Bezug zur konkreten Welt? / © Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani (KNA)
Ist eine Messe ein rein geistlicher Ort ohne Bezug zur konkreten Welt? / © Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Ein Gottesdienst findet ja nicht im luftleeren Raum statt, dennoch sorgen Berichte über Protestaktionen und ähnliches immer wieder für Diskussionen. Gibt es aus Ihrer Sicht Kriterien, wann es ein Zuviel an Politik im Gottesdienst ist?

Dr. Andreas Püttmann (privat)
Dr. Andreas Püttmann / ( privat )

Dr. Andreas Püttmann (Politikwissenschaftler und katholischer Publizist): Nach einer Formel und festen Grenzwerten lässt sich das nicht ermitteln. Es kommt auf den Einzelfall und alle Umstände an, auch auf politische.

In Schönwetterzeiten, in denen weder das System des demokratischen Rechtsstaats noch Grundrechte wesentlich bedroht sind, kann eine Kirche sich eher politisch zurückhalten und sich auf schwierige ethische Fragen konzentrieren.

Dr. Andreas Püttmann

"Hier ist politische "Diät", zu der ich der Kirche generell raten würde, sowohl ein Gebot des Glaubens wie eines der Vernunft."

Das gilt ganz besonders im kirchlichen Grundvollzug der Leiturgia, des Gottesdienstes.

Hier ist politische "Diät", zu der ich der Kirche generell raten würde, sowohl ein Gebot des Glaubens wie eines der Vernunft. "Dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden", heißt es in der Regel des Heiligen Benedikt. Also auch keine säkulare Politik oder Kirchenpolitik. Sie in Liturgien reinzupanschen, um die heilige Handlung "aufzupeppen", in die Medien zu kommen oder sich auf der "Höhe der Zeit" zu zeigen, ist ein kurzsichtiges Kalkül.

Man gibt damit das Evangelium der Unglaubwürdigkeit preis bei jenen, die andere politische Schlüsse ziehen, trägt Unfrieden in die Gemeinde und nutzt den Kommunikations- und Machtvorteil der Zelebranten unfair aus. 

Zudem riskiert man politisch zu dilettieren, denn politische Wissenschaft und Klugheit im Urteil werden weder bei der Weihe noch bei der Bestellung für andere liturgische Dienste mit übertragen. Und Politik ist meistens noch komplizierter als Religion. 

Dr. Andreas Püttmann

"Politisierende Predigten oder - noch schlimmer - geschwätzige Fürbitten zur Weltlage rufen Jesu Mahnung auf: 'Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden'."

Die Anwendung von Prinzipien und Normen der christlichen Sozialethik setzt realistische Lageanalysen und Zweck-Mittel-Kalkulationen voraus, um zu guten Positionierungen zu gelangen. Politisierende Predigten oder – noch schlimmer – geschwätzige Fürbitten zur Weltlage rufen Jesu Mahnung auf: "Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden".

Der Forderung dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, entspricht der kirchliche Grundsatz der rechten oder "relativen Autonomie der Kultursachbereiche" in Gaudium et spes (36): "Durch ihr Geschaffensein haben alle Einzelwirklichkeiten ihren festen Eigenstand, ihre eigene Wahrheit, ihre eigene Gutheit sowie ihre Eigengesetzlichkeit und ihre eigenen Ordnungen, die der Mensch unter Anerkennung der den einzelnen Wissenschaften und Techniken eigenen Methoden achten muss" – was hinsichtlich des Staates bedeutet:

"Die politische Gemeinschaft und die Kirche sind auf je ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom". Das gilt für alle kirchlichen Vollzüge, aber besonders in der Herzkammer gemeinschaftlichen Glaubens: der Eucharistiefeier.

Symbolbild: Die Kanzel ist häufig der Ort für die Predigt / © Uwe Aranas (shutterstock)
Symbolbild: Die Kanzel ist häufig der Ort für die Predigt / © Uwe Aranas ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Ein Grundkonsens ist, dass der christliche Glaube nicht nur eine innerliche Haltung ist, sondern auch zu Konsequenzen im eigenen Verhalten führen soll, etwa dem Nächsten zu helfen, wenn er in Not ist. Eine sozialkritische Predigt kann da dann doch angemessen sein, oder nicht?

Püttmann: Gewiss. Das haben ja schon die Propheten und Jesus vorgemacht. Neben dem diesseitigen Missverständnis des Glaubens durch kirchliche Selbstsäkularisierung gibt es auch das jenseitige Missverständnis: ein "Sakristeichristentum" mit selbstbezüglichem liturgischem Ästhetizismus, der völlig abhebt vom Zustand der Schöpfung und des Gemeinwesens, von der Not der menschlichen Kreatur, von ihrer Aspiration, schon etwas zu spüren vom angebrochenen Reich Gottes. 

Dagegen behält die Kirche es sich vor, "auch politische Angelegenheiten einer sittlichen Beurteilung zu unterstellen, wenn die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen es verlangen" (GS 76). In der Rede von "himmelschreiender" Ungerechtigkeit leuchtet auf, dass sich "Christozentrik" nicht gegen "Anthropozentrik" ausspielen lässt. Ein Schöpfer, der den Menschen nach seinem Abbild, "nur wenig geringer als Gott" (Ps 8) machte; der in Jesus selbst Mensch wurde und sich am Kreuz für die Menschen hingab; der eine den geringsten Brüdern erwiesene Liebe als Dienst an sich selbst qualifizierte (Mt 25), der hat eine so anthropozentrische Agenda, dass wir ihn damit schwerlich missachten können. 

Dr. Andreas Püttmann

"Diese Wirklichkeit darf und muss auch ihren Platz im Gottesdienst finden. Allerdings in angemessener Weise."

Mich beeindruckt Alfred Delps drastischer Verweis auf den Zusammenhang von Jenseits und Diesseits: "Es wird kein Mensch an die Botschaft vom Heil und vom Heiland glauben, solange wir uns nicht blutig geschunden haben im Dienste des physisch, psychisch, sozial, wirtschaftlich, sittlich oder sonstwie wie kranken Menschen".

Diese Wirklichkeit darf und muss auch ihren Platz im Gottesdienst finden. Allerdings in angemessener Weise, also mehr im Hinweis auf reale Not und im Einschärfen von Geboten und Tugenden, mit denen diese Not gewendet werden könnte, nicht durch kleinteilige politische Handlungsanweisungen.

Da sind mehr die sachkundigen Laien in ihren Berufen, in der politischen Öffentlichkeit und in kirchlichen Gremien gefragt, die ja auch differenzierte Texte zu politisch-ethischen Themen ausarbeiten. Auf die kann auch im Gottesdienst hingewiesen werden.

DOMRADIO.DE: Schnell ist die Rede vom Missbrauch einer Messe, wenn es zum Beispiel Protestaktionen gegen eine Person oder gegen kirchliche Verhältnisse geben soll. In der Katholischen Kirche haben aber Laien in der Regel keine Möglichkeit, sich in einer Messe mit einer eigenen Stimme zu melden, ein Priester kann dies aber in der Predigt tun. Wäre das ein Argument für die Legitimation einer Aktion in der Messe?

Katschhof in Aachen während der Heiligtumsfahrt / © Nicola Trenz (DR)
Katschhof in Aachen während der Heiligtumsfahrt / © Nicola Trenz ( DR )

Püttmann: Da bin ich sehr zurückhaltend. Personal- und Kirchenpolitik sollte aus Gottesdiensten rausgehalten werden. Er ist ungeeignet für Machtkämpfe und Richtungsstreit, die von dem ablenken würden, um das es vor allem gehen muss: Sammlung und Schuldbekenntnis, Danksagung, Lobpreis, Katechese, Bittgebet, Betrachtung und Raum für "seelische Erhebung", die das Grundgesetz Sonn- und Feiertagen zuspricht.

Dr. Andreas Püttmann

"Die Niederungen aktueller Bistumsquerelen sollte man da nicht betreten, weder vom Mikrofon im Altarraum aus noch von den Bänken her."

Die Niederungen aktueller Bistumsquerelen sollte man da nicht betreten, weder vom Mikrofon im Altarraum aus noch von den Bänken her. 

Einschätzungen von Personen und ihrer Amtsführung sind ja noch subjektiver und oft auch kontroverser als politische Grundfragen. 

Auch ein aufgewühltes Bistum wie das derzeitige Kölner muss einen neutralen Raum behalten, in dem Katholiken gemeinsam vor ihren Gott treten können. Wer mit einem Zelebranten partout nicht klarkommt, weil der ihm Unrecht getan hat oder mit unangenehmen Eigenarten die Andacht raubt - das kenne ich aus langen Jahren von mir in Bonn -, der bleibt halt fern und zieht weiter in ein anderes Gotteshaus.

Zuvor sollte man aber versuchen, Amt und Person zu unterscheiden. Auch ein "unwürdiger Diener", der als Selbstbezichtigung sogar Eingang in die Messgebete fand, kann die heiligen Geheimnisse gültig feiern. 

Gremien und Foren, um Streit in der Gemeinde oder im Bistum auszutragen, gibt es genug andere. Die Instrumentalisierung des Gottesdienstes dafür erscheint mir weder geeignet noch erforderlich noch verhältnismäßig.

Dr. Andreas Püttmann

"Die Instrumentalisierung des Gottesdienstes dafür erscheint mir weder geeignet noch erforderlich noch verhältnismäßig."

Auf der anderen Seite kann ein hoch umstrittener Diener sich natürlich irgendwann in Demut fragen, ob er nicht seinerseits besser weiter zieht an einen anderen Ort. Aber darüber entscheidet in der hierarchisch verfassten katholischen Kirche nicht er allein. 

Das Interview führte Mathias Peter.

Andreas Püttmann

Andreas Püttmann wuchs in Dinslaken und Voerde am Niederrhein auf. Ein Bauernhof in Oberfranken wurde ihm durch viele Urlaube dort zur zweiten Heimat in der Kindheit. Er studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Staatsrecht in Bonn und Paris. Bis heute lebt er in der ehemaligen Bundeshauptstadt: "Aus der schönen Beethovenstadt am Fuß des Siebengebirges konnte mich nichts mehr weglocken."

Dr. Andreas Püttmann: Politologe und Publizist.   (privat)
Dr. Andreas Püttmann: Politologe und Publizist. / ( privat )
Quelle:
DR