Kann sich ein Bischof durch Übereifer strafbar machen?

Blick ins Kirchenrecht

Ein Bischof macht sich kirchenrechtlich strafbar, wenn er Hinweisen auf Vergehen der Mitarbeiter nicht nachgeht. Strafbar macht er sich aber auch, wenn er unnötig Maßnahmen ergreift. Blick auf einen "fiktiven Fall" im Bistum Münster.

Autor/in:
Roland Juchem
Symbolbild Bischof mit Pileolus / © Grabowski Foto (shutterstock)
Symbolbild Bischof mit Pileolus / © Grabowski Foto ( shutterstock )

Weiterhin wird oft kritisiert, kirchliche Verantwortungsträger reagierten auf Hinweise zu sexuellem Missbrauch bis heute zu schleppend oder unangemessen.

Doch auf der anderen Seite äußern Einzelne - wenn auch verhalten - inzwischen die Befürchtung, das Pendel schlage hier und dort zu weit in die andere Richtung aus: Notwendiges Handeln auf der einen Seite dürfe nicht zu einem Übereifer auf der anderen führen.

Klaus Lüdicke, Theologe und Kirchenrechtler  / © Christof Haverkamp (KNA)
Klaus Lüdicke, Theologe und Kirchenrechtler / © Christof Haverkamp ( KNA )

Darauf weist der emeritierte Münsteraner Kirchenrechtler Klaus Lüdicke in einem Beitrag für die erste Ausgabe der online erscheinenden "Zeitschrift für Kanonisches Recht" hin. Die Reform des kirchlichen Strafrechts im VI. Buch des Codex Iuris Canonici (CIC) habe auch darauf aufmerksam machen wollen, "dass sich ein Ordinarius, der eine Straftat zu verfolgen hat, selbst strafbar machen kann durch falschen Gebrauch seiner 'ecclesiastica potestas'" (kirchlichen Amtsvollmacht).

Strafverfolgung zu früh eingeleitet

Ein Bischof etwa mache sich strafbar, wenn er eine Strafverfolgung zu früh einleitet und notwendige vorausgehende Schritte nicht sorgfältig ausführt. Jede mögliche Strafanzeige sei zunächst auf Plausibilität zu prüfen, eine mögliche Rufschädigung sorgfältig abzuwägen.

Das bisherige Kirchenrecht, so nicht nur Lüdickes Einschätzung, hatte den Eindruck erweckt, ein Strafverfahren solle das letzte Mittel sein, Rechtsverletzungen abzuhelfen. Mit der Reform des CIC im Sommer 2021 sollte das Strafrecht reguläres Instrument der Kirchenleitung werden.

Der rote Buchdeckel des Codex Iuris Canonici (CIC) / © Julia Steinbrecht (KNA)
Der rote Buchdeckel des Codex Iuris Canonici (CIC) / © Julia Steinbrecht ( KNA )

So lautet der einschlägige Kanon 1341: "Der Ordinarius hat den Gerichts- oder Verwaltungsweg zur Verhängung oder Feststellung von Strafen zu beschreiten, wenn er erkannt hat, dass weder auf den Wegen pastoralen Bemühens, besonders durch brüderliche Ermahnung, noch durch Verwarnung oder durch Verweis die Gerechtigkeit wiederhergestellt, der Täter gebessert und das Ärgernis behoben werden kann."

Dass sexualisierte Gewalt gegen Minderjährige und Schutzbefohlene bestraft werden muss, steht außer Frage. Zudem gelten dafür spezielle Regeln. So sind solche schweren Fälle ("delicta graviora") der Behörde für die Glaubenslehre in Rom zu melden, die über das weitere Vorgehen entscheidet.

Warnung vor Macht- und Amtsmissbrauch

Zusammen mit can. 1341, so Lüdicke weiter, gelte aber auch die in can. 1378 gemachte Warnung vor Macht- und Amtsmissbrauch: "Wer (...) ein kirchliches Amt oder eine kirchliche Aufgabe missbraucht, soll bei bestehender Verpflichtung, den Schaden wieder gut zu machen, je nach Schwere der Tat oder Unterlassung bestraft werden, den
Amtsverlust nicht ausgenommen" (§ 1).

Sowie: "Wer aber aus schuldhafter Nachlässigkeit eine Handlung kirchlicher Gewalt oder eines kirchlichen Amtes oder einer kirchlichen Aufgabe unrechtmäßig zu fremdem Schaden oder Ärgernis setzt oder unterlässt, soll, bei bestehender Verpflichtung, den Schaden wieder gut zu machen, (...) bestraft werden" (can. 1378 §2).

Im Folgenden schildert der Autor das im CIC vorgesehene Verfahren, das zudem in einem vatikanischen Leitfaden (Vademecum der Dikasteriums für die Glaubenslehre vom 5. Juni 2022) spezifiziert und erläutert wird: Sobald der Ordinarius Kunde von einer möglichen Straftat erhält, sollen er selbst oder eine beauftragte Person Tatsachen, Umstände und Vorwerfbarkeit (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) ermitteln.

Pileolus und Mitra / © Harald Oppitz (KNA)
Pileolus und Mitra / © Harald Oppitz ( KNA )

Durch diese erste Plausibilitätsprüfung, so Lüdicke unter Verweis auf can. 1717 § 2, dürfe "niemandes guter Name Schaden nehmen". Dies bedeute zu diesem Zeitpunkt, "dass weder eine Publikation des Verdachts zulässig ist, noch dass auch nur der Beschuldigte über diese Ermittlung informiert wird".

Sollte diese erste Vorermittlung zu einem ausreichenden Ergebnis führen, muss der Bischof laut can. 1718 § 1  entscheiden: 1. ob ein Strafverfahren möglich ist (Ausnahmen: der Täter war noch nicht 16 Jahre alt; eine fahrlässig begangene Tat ist nur bei Vorsatz strafbar); 2. ob laut can. 1341 ein Strafverfahren geführt werden soll (oder eine andere Maßnahme ausreicht) sowie 3. ob ein gerichtlicher Strafprozess zu führen ist oder eine Bestrafung auf dem
Verwaltungsweg erfolgen soll. Die entsprechenden Verfahren nähmen dann ihren entsprechenden Verlauf.

Dann aber weist Lüdicke darauf hin: Sollten die oben genannten Voraussetzungen einer Pflicht zur Strafverfolgung fehlen, führe dies "nicht nur dazu, dass kein Strafverfahren in Gang gesetzt zu werden braucht, sondern dazu, dass das auch nicht geschehen darf".

Im Ergebnis: Veranlasst ein Bischof ein Strafverfahren, dessen Voraussetzungen fehlen, ist dies rechtswidrig und kann "als vorsätzlicher Amtsmissbrauch" sogar strafbar sein.

"Fiktiver Fall" im Bistum Münster

Lüdicke illustriert dies anhand eines, wie er in einer Fußnote schreibt, fiktiven Falls, "aber inspiriert von wahren Ereignissen" im Bistum Münster, in denen es nicht um sexualisierte Gewalt und Minderjährige gehe. In dem von Lüdicke geschilderten Fall erhält eine Ansprechperson eines Bistums einen Hinweis und legt diesen ohne Plausibilitätsprüfung dem Interventionsbeauftragten vor.

Der wiederum gibt die Unterlagen an die Staatsanwaltschaft, informiert Generalvikar und Pressestelle sowie den Beschuldigten. Die Pressestelle ihrerseits informiert die Medien über die vom Beschuldigten erwünschte Beurlaubung, Einschaltung der Staatsanwaltschaft (diese teilte später mit, dass sie nicht ermittle) und eine geplante kirchliche Voruntersuchung. Begründung: Der Beschuldigte solle sich übergriffig und unangemessen verhalten haben.

Nach Auffassung von Lüdicke wurden in dem Fall mehrere vom Kirchenrecht garantierte Rechte des Beschuldigten verletzt. Etwa jenes, in einer Voruntersuchung den guten Namen des Beschuldigten nicht zu schädigen. Auch hätten weder Ansprechperson noch Interventionsbeauftragter eine Plausibilitätsprüfung durchgeführt.

St.-Paulus Dom in Münster / © Julia Steinbrecht (KNA)
St.-Paulus Dom in Münster / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Lüdickes Fazit: "Das rechtswidrige Handeln seiner Mitarbeiter - Generalvikar, Interventionsbeauftragter, Pressereferent - nicht zu korrigieren und den guten Ruf des beschuldigten Klerikers wiederherzustellen, d.h. einen verpflichtenden Akt kirchlicher Gewalt vorsätzlich zu unterlassen", mache den Bischof "nach can. 1378 strafbar".

Lüdicke räumt ein, dass Kirchenverantwortliche angesichts des öffentlichen Drucks nach dem Versagen in der  Vergangenheit übereifrig reagieren können. Die "Angst, der Vertuschung und des Täterschutzes geziehen zu werden, kann hier leicht zu strafbarem Verhalten" jener Personen führen, die an dem Verfahren beteiligt sind.

Zudem gebe es Widersprüche etwa zwischen dem universalen Kirchenrecht und einer Ordnung der Deutschen  Bischofskonferenz, die "den gegenständlichen Bereich des sexuellen Missbrauchs weiter ausgreifend bestimmt". Die DBK-Ordnung, so Lüdicke abschließend, könne "leicht falsch dahingehend verstanden werden, als sei ein  Strafverfahren auch bei Vorwürfen zu führen, die nach universalkirchlichem Recht nicht zu einer Bestrafung führen können". Maßgeblich für eine Strafbarkeit bleibe aber das universale Kirchenrecht.

Quelle:
KNA