"Wir möchten, dass sich der Papst auf diplomatischer, politischer Ebene eindeutig auf die Seite der Ukraine stellt und den Aggressor beim Namen nennt und verurteilt", sagte der Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk dem Nachrichtenportal glavcom.ua. "Ich möchte, dass er klar sagt, wer der Angreifer ist, und wer das Opfer ist."
Es habe weh getan, dass die Vatikan im Krieg eine neutrale Position einnehme, wie es seit Jahrhunderten Tradition sei. So wolle man die Möglichkeit zum Dialog mit beiden Seiten bewahren. Immerhin habe der Vatikan klar gemacht, dass es sich um eine diplomatische und nicht um eine moralische Neutralität handele.
Botschaft nicht verständlich
Wenig Verständnis hat der Großerzbischof auch dafür, dass der Papst nur nach Kiew kommen will, wenn er auch nach Moskau reisen könne. Der Kreml lehnt eine Russland-Reise von Franziskus bisher ab. Der Wunsch, neben Kiew auch Moskau zu besuchen, "verwirrt uns ein wenig, weil wir nicht ganz verstehen, welche Botschaft der Papst der Ukraine überbringen will", so Schewtschuk.
Aus Sicht von Schewtschuk ist "alles, was der Papst nach Beginn der groß angelegten Invasion für die Ukraine zu tun versucht hat, gescheitert".
Die Gründe könne er noch nicht ganz verstehen; vielleicht werde man es mit der Zeit herausfinden.
Der Geistliche stellte indes fest: "Der Papst und der Vatikan befanden sich an der Front eines hybriden Kriegs mit Russland und waren nicht vollständig darauf vorbereitet."
Papst hört zu
Bei aller Kritik geht das Kiewer Kirchenoberhaupt offenbar von einem fruchtbaren Dialog aus. Er spreche offen mit dem Papst und trage ihm Einwände und Wünsche vor.
"Jede gesunde Kritik ist nützlich und interessanterweise lässt der Papst sie zu und hört sie sich an", so der 53-Jährige. Er weist auch die in der Ukraine kursierende Behauptung zurück, Russland habe die Hälfte des Vatikans gekauft, unddeshalb ignoriere der Papst die ukrainische Position: "Nein, diese Aussage ist falsch."
Doch Russland versuche tatsächlich, den Vatikan zu beeinflussen, führte der Großerzbischof aus. Es spiele eine Rolle, dass Franziskus Argentinier sei. Denn die argentinische Kultur sei von einem tiefen Misstrauen gegenüber den USA und Europa geprägt.
Argentinien habe sich einst von der Unterdrückung durch die spanischen Kolonialherren befreien müssen. Das habe Spuren hinterlassen.
Schewtschuk war in den 1990er Jahren nach eigenen Worten in Buenos Aires von Graffitis "Yankees, go home!" überrascht. Es falle Argentiniern schwer zu glauben, dass Amerikaner und Europäer sich altruistisch für ein anderes Land einsetzten, ohne eigene Interessen zu verfolgen.
"Kommunikationskrise"
Etwa zehn Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer sind griechisch-katholisch. Die Frage, ob er befürchte, dass Gläubige wegen "Fehler des Papstes" die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche verlassen, wiegelte Schewtschuk ab. Trotz der "Kommunikationskrise", dass die Ukraine den Papst nicht verstehe, und "einiger Missverständnisse" habe er keine Angst, dass seine Kirche Gläubige verliere.
Aufgestoßen war Schewtschuk auch, dass Franziskus im November 2022 Russland als Nation mit großer Kultur würdigte und den Schriftsteller Fjodor Dostojewski (1821-1881) hervorhob. Am Tag danach habe ihn der Papst empfangen, berichtete er im Interview.
Bei dieser Begegnung habe er Franziskus gefragt, ob er wisse, was die Ukrainer heute über ihn denken. Nachdem er ein "Nein" gehört habe, erklärte Schewtschuk ihm demnach mit Verweis auf den Krieg: "Heute haben wir alle einfach das Gefühl, dass alle Vorstellungen von einer großartigen russischen Kultur ein Mythos sind."
Ukrainer unzufrieden
Der Großerzbischof lobte indes die humanitäre Hilfe des Vatikans für die Ukraine. Auch den Brief des Papstes an das ukrainische Volk vom 24. November 2022 hob er hervor.
Damals schrieb Franziskus: "Euer Schmerz ist mein Schmerz." Er bewundere den "gesunden Eifer" des ukrainischen Volkes, das sich nie entmutigen lasse. Zufrieden sind die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer dennoch nicht.