Am Mittwoch war der deutsche Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck zusammen mit einer Wirtschaftsdelegation nach Indien gereist. Im Rahmen seines dreitägigen Besuchs im Land, das gerade Präsidentschaftsland der G20-Gruppe führender Industrie- und Schwellenländer ist, standen vor allem Wirtschafts- und Energiethemen auf Habecks Agenda.
Neben einer Teilnahme am G20-Energieministertreffen in Goa am Samstag standen Gespräche mit indischen Regierungsvertretern an. Um einen diplomatischen Routineübung handelte es sich bei Habecks Indien-Reise jedoch nicht.
Habeck will Handelsbeziehungen breiter aufstellen
Vielmehr stand der Aufenthalt im zunehmend als einwohnerreichsten Land der Welt geltenden Indien im Zeichen des Risikomanagements in Handelsbeziehungen. "Wir wollen ja die deutschen Handelsbeziehungen breiter aufstellen. Breiter aufstellen heißt, nicht immer nur nach China zu schauen", erklärte Habeck.
Dabei gehe es nicht um eine Abkopplung von China, sondern um die Verminderung der Risiken. wie Habeck bei der Eröffnung der deutsch-indischen Handelskonferenz am Donnerstagmoren im Hinblick auf die Gefahren wirtschaftlicher Abhängigkeiten erklärte.
"Eine engere Zusammenarbeit gerade bei erneuerbaren Energien und grünem Wasserstoff birgt viel Potenzial für beide Seiten und kann unsere Resilienz und Wirtschaftssicherheit erhöhen", so Habeck, der die Gelegenheit nutzte, um für ein Freihandelsabkommen der EU mit Indien zu werben.
Probleme mit Korruption, Bürokratie und Infrastruktur
Das erwartete auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) vom deutschen Wirtschaftsminister.
Wie Wolfgang Niedermark, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung, gegenüber der Deutschen Presse-Agentur betonte, biete Indien aufgrund seiner Marktgröße, seines Wirtschaftswachstums und einer wachsenden, kaufkräftigen Mittelschicht deutschen Unternehmen attraktive Geschäftsmöglichkeiten.
Gleichsam räumte Niedermark strukturelle Probleme Indiens wie Korruption, überbordende Bürokratie und Mängel in der Infrastruktur ein.
Mob trieb indische Christinnen nackt durch die Straßen
So weit, so gut – perfekte Handelspartner gibt es schließlich nicht. Aber das ist nur ein Teil der indischen Realität. Ein anderer wurde der Weltöffentlichkeit just während Habecks Reise auf grausame Weise vor Augen geführt.
So entriss ein Mob, bestehend aus Männern des vorwiegend hinduistischen Meitei-Stammes, der Polizei zwei der christlichen Minderheit des nordostindischen Bundesstaats Manipurs angehörende Frauen und trieb sie nackt durch die Straßen des Tatortes.
Der Vorfall ereignete sich bereits vor zwei Monaten. Wegen der Internet-Sperre der indischen Regierung kam er aber erst jetzt ans Tageslicht. Mindestens eine der beiden Frauen wurde von einer Gruppe von Männern vergewaltigt – und der Vater sowie der Bruder der jüngeren der beiden Frauen starben beim Versuch, sie vom Mob zu befreien.
Anhaltende Gewalt gegen christliche Minderheit in Manipur
Bei der Tat handelt es sich um keinen Einzelfall. Vor der am Samstag beendeten Reise Habecks hatte das Internationale Katholische Hilfswerk missio den Wirtschaftsminister vergeblich dazu aufgefordert, mehr für religiöse Toleranz im Land zu werben.
Politisch gezielt gesteuerte gewalttätige Übergriffe gegen Menschen und Einrichtungen religiöser Minderheiten sowie staatliche Maßnahmen wie die sogenannten Antikonversionsgesetze hätten eine gesellschaftliche Atmosphäre der Einschüchterung in Indien geschaffen.
Der Missbrauch der Religion verletze nicht nur die Menschenrechte, sondern destabilisiere auch die öffentliche Sicherheit des Landes und schrecke ausländische Investoren ab, so ein missio-Sprecher. Deshalb solle die Bundesregierung in Indien für Minderheitenschutz werben.
Bislang kein Einsatz Habecks für Minderheitenschutz in Indien bekannt
Zu dem ethnischen Konflikten um Landrechte zwischen den christlichen Naga und Kuki und den überwiegend hinduistischen Meitei äußerte sich Indiens Premierminister Narendra Modi im Kontext des Falles sexualisierter Gewalt gegen zwei Christinnen zum ersten Mal und verurteilte die Übergriffe.
Kritikern gilt er dabei als Gesicht eines aufstrebenden Hindu-Nationalismus, der auch den Konflikt in Manipur religiös auflädt. Äußerungen zu den aktuell bekannt gewordenen Übergriffen oder der Lage der Christen in Indien von Seiten Robert Habecks sind bislang nicht bekannt.
In der Berichterstattung über seinen Indien-Besuch kam das Thema nicht einmal am Rande vor. Und auch das Bundeswirtschaftsministerium bestätigte gegenüber DOMRADIO.DE, dass keine Gespräche über die Lage der christlichen Minderheit in Indien geführt wurden.
Lass deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut?
Nun ist Habecks Ressort eben die Wirtschaft, mag man einwenden – und die wachsende politische und ökonomische Distanz Deutschlands und der EU zu Russland und China erfordert zweifelsohne unkonventionelle Strategien.
Gleichsam hatten seine Kolleginnen, Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik angekündigt.
Im Matthäus-Evangelium heißt es, dass die linke Hand beim Almosengeben nicht wissen soll, was die rechte tut. Für Bundesministerien, die ganzheitliche außen- und wirtschaftspolitische Konzepte zu verfolgen trachten, dürfte diese Weisung kaum gelten.