DOMRADIO.DE: Wie genau sollte denn dieses Kindergrundeinkommen aussehen? Wie hoch müsste das sein, damit Kinder nicht mehr von Chancengleichheit und so weiter abgeschnitten sind?
Dr. Stefan Ottersbach (Bundespräses des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend / BDKJ): Wir brauchen ein Grundeinkommen, weil wir seit Jahren die festgesetzte Kinder- und Jugendarmut in Deutschland haben. Wir reden davon bei den unter 25-Jährigen von 22 Prozent, während der Schnitt in der Gesamtbevölkerung bei 16 Prozent liegt. Das Grundeinkommen ist aus unserer Sicht ein Modell, um dagegen wirksam vorzugehen.
DOMRADIO.DE: Wie hoch müsste dieser Beitrag dann sein? Gibt es da eine Zahl, die man nennen kann?
Ottersbach: Da gibt es ganz unterschiedliche Berechnungsmodelle. Wir haben jetzt in dem Verbund, gemeinsam mit dem Netzwerk Grundeinkommen, mit Attac und mit der BAG Prekäre Lebenslagen, gesagt, dass sich die Kindergrundsicherung an dem verfassungsrechtlich und steuerrechtlich festgelegten Existenzminimum orientieren muss.
Nach unseren Berechnungen würden wir von etwa 71 Milliarden Euro Mehrausgaben ausgehen. Wobei der Betrag natürlich dynamisch sein muss, das heißt, er muss sich an die Lebenshaltungskosten immer wieder anpassen. Uns ist wichtig, dass junge Menschen ihre Chancen für Teilhabe am Leben ergreifen können. Da sehen wir eine hohe gesellschaftliche Verantwortung.
DOMRADIO.DE: Sie haben gerade schon gesagt, dass es da unterschiedliche Maßstäbe gibt, an die man das anlegt. Aber trotzdem fordern Sie das Ganze unabhängig vom Einkommen der Familie, richtig?
Ottersbach: Genauso ist es.
DOMRADIO.DE: Ist das nicht vielleicht ein bisschen ungerecht, weil dann die Leute, die natürlich auch mehr verdienen, das gleiche kriegen wie die Leute, die weniger verdienen?
Ottersbach: Wir als katholische Jugendverbände verstehen uns auf der Basis eines christlichen Menschenbildes. Wir plädieren für eine Umkehr der Logiken. Aus unserer Sicht hat jeder Mensch, egal woher er kommt, eine Zusage von Gott bedingungslos geliebt zu sein. Es braucht gleichwertige Chancen, damit Potenziale und Begabungen entfaltet werden können. In der jetzigen Struktur ist das nicht gegeben.
Wir wissen, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang gibt zwischen den finanziellen Verhältnissen, aus denen ich komme, und den Möglichkeiten, Bildungserfolge zu erzielen. Das lässt sich überwinden, indem wir eben dieses Grundeinkommen allen in gleicher Höhe zur Verfügung stellen. Denn es geht nicht darum, zunächst einmal etwas zu leisten, sondern zu verstehen, dass ich unabhängig von meiner Herkunft die gleichen Teilhabechancen habe.
DOMRADIO.DE: Was sind das zum Beispiel für Teilhabechancen, die solchen Kindern verwehrt bleiben?
Ottersbach: Denken Sie an die Corona-Pandemie zurück. Wir haben hier erlebt, dass Menschen, die aus finanziell nicht so begüterten Verhältnissen kommen, massiv abgehängt wurden.
Wegen fehlender digitaler Infrastruktur waren sie zum Beispiel nicht in der Lage, beim Homeschooling mitzumachen. Da haben sich gravierende Unterschiede gezeigt, die sich an der Stelle auch noch verstärkt haben.
DOMRADIO.DE: Jetzt gibt es ja wahrscheinlich wie auch beim Grundeinkommen für Erwachsene Stimmen, die sagen, durch das Geld fehlt der Anreiz, sich anzustrengen. Was würden Sie den Menschen antworten?
Ottersbach: Durch die Möglichkeit, meine Potenziale unabhängig von Zwängen frei zu entwickeln, kann ich in der Gesellschaft wirksam werden. Über dieses Modell könnten wir auch zu einer Wertschätzung von verschiedensten Formen gesellschaftlicher Arbeit kommen.
Im Augenblick haben wir einen sehr verengten Fokus darauf, dass nur der etwas Gutes tut, der in Erwerbsarbeit geht. Mit der Kindergrundsicherung können auch viele andere Formen von wichtiger gesellschaftlicher Arbeit wie ehrenamtliches Engagement und Care-Arbeit viel mehr Wertschätzung und Anerkennung erfahren.
Das Interview führte Michelle Olion.