DOMRADIO.DE: Wie weit ist der Wiederaufbau inzwischen vorangekommen?
Janine Lietmeyer (Programmleiterin bei Malteser International): Man kann noch nicht davon sprechen, dass wir in der großen Wiederaufbaupase wären. Das Erdbeben hatte ganz furchtbare Ausmaße. Die waren in der Türkei und in Syrien allerdings unterschiedlich. In der Türkei findet der Wiederaufbau auch anders statt, als in Syrien. Da gibt es einen funktionierenden Staat und da werden die Gebäude in Augenschein genommen.
Viele Menschen haben ihre Region aber auch verlassen. Dazu zählen gerade die, die Wohnraum verloren haben. Viele haben sich dazu entschieden woanders hinzuziehen, wenn sie nicht in ihre Häuser zurückziehen können. Es gibt aber auch noch sehr viele, die in Notunterkünften auf den Wiederaufbau warten. Im Moment befinden wir uns in einer Zwischenphase.
DOMRADIO.DE: Was brauchen die Menschen, die in der Türkei im Katastrophengebiet geblieben sind, am dringendsten?
Lietmeyer: Es sind nach wie vor Basis-Dinge. Die Türkei ist wirtschaftlich in einer schwierigen Situation. Die Lebensmittelpreise sind auch aufgrund anderer Umweltereignisse stark gestiegen. Insofern ist die Versorgung der Menschen, denen es wirtschaftlich schon vorher schlecht ging, noch auf Sachen beschränkt, die man im Haushalt braucht. Das sind Lebensmittel und Geld, um mit den gestiegenen Preisen und der Problematik vor Ort zurechtzukommen.
Die Menschen, die während des Erdbebens verletzt worden sind, brauchen noch psychologische oder psychotherapeutische Betreuung, weil sie medizinische Probleme haben. Auch das sind große Herausforderungen für die Strukturen vor Ort.
DOMRADIO.DE: Im Bürgerkriegsland Syrien sieht alles noch viel komplizierter aus. Welche Art von Unterstützung können Sie da leisten?
Lietmeyer: Seit über zehn Jahren ist Malteser International mit einem eigenen Team in der Türkei. Unser Fokus liegt aber vor allem auf der medizinischen Versorgung von Bürgerkriegs-Geflüchteten und Opfern des seit über zehn Jahren andauernden Krieges in den Nordwestgebieten Syriens. Hier gibt es kein staatliches Versorgungssystem.
Verschiedene bewaffnete Gruppen kontrollieren diese Grenzregion. Hier arbeiten wir mit zivilgesellschaftlichen syrischen Partnerorganisationen zusammen und machen Basis-Gesundheitsversorgung sowohl im Krankenhausbereich als auch in der hausärztlichen Versorgung. Das sind Menschen, die schon lange Zeit unter schlimmen Bedingungen in großen Vertriebenenlagern ausharren.
DOMRADIO.DE: Viele Menschen, speziell Kinder, sind schwer traumatisiert. Wie können Sie da helfen?
Lietmeyer: Wir haben es in Syrien mit einem lange währenden Krieg und mit Kindern zu tun, die unter schwierigen Bedingungen und mit wenig Stabilität in Camps leben müssen, in denen es zum Teil keine Beschulung gibt.
Für diese Kinder ist das Erdbeben mit weiteren schrecklichen Erlebnissen assoziiert, so zum Teil mit dem Verlust von nahen Verwandten. Hier ist es wichtig Sicherheit herzustellen, geschützte Räume herzustellen, in denen Eltern und Kinder ihre Sorgen los werden können und über das Erlebte sprechen können.
Hier muss man sich die alltäglichen Herausforderungen ganz anders vorstellen, weil die Menschen in Notunterkünften leben und wenig Zukunftsperspektive haben. Hier ist die psychosoziale Unterstützung sehr wichtig.
Das Interview führte Hilde Regeniter.