Eine Völkerwanderung zum Papst: Mit Schweißperlen auf der Stirn, Schlafsack und Isomatte am Rucksack und der Fahne ihres Landes pilgern Hunderttausende Jugendliche zum Tejo-Park bei Lissabon. Eine Gruppe aus Uruguay singt aus voller Kehle Latino-Hits, begleitet durch eine Trommel.
Ein letztes Mal kommen alle zusammen, um den Abschlussgottesdienst des Weltjugendtags (WJT) zu feiern - auf einem Terrain, fast so groß wie hundert Fußballfelder, mit fantastischer Aussicht auf den Fluss und die längste Brücke Europas.
Unter Tausenden Gleichgesinnten
Aus Deutschland sind rund 8.000 junge Leute hier. Einige sind bereits zwei Wochen in Portugal. Sie haben vor Beginn des offiziellen WJT in Gastfamilien gewohnt, das Land, seine Menschen und den Glauben hier besser kennengelernt. Angekommen auf dem riesigen Feld, sind viele – Zitat – "geflasht" von den Dimensionen, den Menschenmassen.
Auf den vielen Bildschirmen beobachten sie musikalische Darbietungen, fiebern dem Papst und der Nacht unter freiem Himmel entgegen. Ein guter Moment, um zu fragen: Wie blicken sie auf das Erlebte, und was nehmen sie mit nach Hause?
Für Vivien (19) aus dem Bistum Trier war es wichtig zu erleben, "dass die katholische Kirche nicht gestorben ist, wie es in Deutschland den Anschein macht!" Sie lacht. "Nein, wirklich – das ermutigt mich total." Es ist Viviens erster WJT. Zuhause ist sie Messdienerin.
"Wenn man in einer halb leeren Kirche mit gerade mal 15 bis 20 Leuten steht, macht das schon nachdenklich." Bei der ersten Welle von Kirchenaustritten habe sie im Bett gelegen und geweint. "So viele verpassen so schöne Dinge wie den WJT hier; dass man in der Gemeinschaft immer jemanden hat und dass Gott immer da ist."
"Uns beschäftigen dieselben Fragen"
Pilgerin Theresa, Theologie-Studentin und Ehrenamtliche in ihrer Gemeinde im Bistum Münster, war schon bei mehreren: "Weltjugendtage sind immer gut, um über den eigenen deutschen Tellerrand zu gucken. Kirche ist so viel mehr als die Probleme in meiner Gemeinde; mehr als die Diskussionen, die wir aktuell in Deutschland führen", findet sie.
Zugleich habe sie im Austausch mit ihrer portugiesischen Gastfamilie gemerkt: "Uns beschäftigen dieselben Fragen. Ganz aktuell wird hier in Portugal ja auch der Missbrauchsskandal groß diskutiert."
Sie gehe jetzt "mit einem guten Gefühl nach Hause, an diesen Fragen weiterzudenken und -zuarbeiten, weil ich weiß: Es ist kein deutscher Sonderweg, wie es oft dargestellt wird." Es freut sie auch, dass der WJT nachhaltiger geworden ist und dass mehr direkter Austausch zwischen Jugendlichen und Bischöfen ermöglicht wurde.
Wunsch nach Stellungnahme des Papstes
Martin (23), engagiert im Pfarrgemeinderat im Bistum Mainz, erzählt von den Regenbogenflaggen, die seine Gruppe dabei hatte. "Wir sind viel darauf angesprochen worden. Klar gibt's da auch welche, die versuchen, Flaggen zu klauen und in Mülltonnen zu stopfen. Aber das gehört halt auch dazu." Besonders nimmt er den Zusammenhalt in der eigenen Gruppe sowie neue Kontakte aus anderen Regionen mit.
Für die Zukunft fordert Martin bessere Präventionskonzepte gegen sexuelle Übergriffe. Priester und Pilger, Männer und Frauen seien in der Turnhalle, in der seine Gruppe unterkam, überhaupt nicht getrennt worden. "Die Halle war völlig überfüllt; Schutzkonzepte waren gar nicht umsetzbar."
Zum Thema Missbrauch merkt er an: "Auch hier wird das unter den Teppich gekehrt." Besonders vom Papst hätte er sich mehr als ein "geheimes Treffen mit Betroffenen" gewünscht: eine öffentliche Stellungnahme.
"Man merkt doch, wie deutsch man ist"
Anna aus dem Erzbistum Köln strahlt. "Was ich mitnehme? Ganz viel Freude und Stärkung im eigenen Glauben." Es habe ihren Blick sehr geweitet, mal nicht nur um die eigene Pfarrgemeinde zu kreisen. "Hier spürt man einfach, wie lebendig die Weltkirche ist!", schwärmt die 20-Jährige.
Die anderen Jugendlichen seien "irgendwie lockerer, einfacher, ganz im Moment. Und definitiv temperamentvoller; sie singen die ganze Zeit, tanzen und tragen die Freude leibhaft nach außen!" Haakon (21), Priesterseminarist, ergänzt grinsend: "Man merkt hier doch, wie deutsch man ist. Aber die anderen reißen einen dann auch mit!"
Während das große Feld vom Abendlicht in weiche Pastelltöne getaucht wird, bewegen sich an die 100 spanische Jugendliche Arm in Arm vor einer großen Leinwand, singen textsicher die Lieder einer spanischen Lobpreis-Sängerin mit. Einigen laufen Tränen über die Wangen.
Als es dunkel ist, beginnt die Nachtwache. Schwebende gelbe Leuchtpunkte bilden in verschiedenen Sprachen die Worte "Rise up" – "steh auf" aus dem WJT-Motto; die Menschen erheben sich. Legen der Person, die am nächsten steht, eine Hand auf die Schulter.
Nachdem der Papst in seiner Ansprache die jungen Menschen ermutigt, die Freude im Leben aktiv zu suchen und mit anderen zu teilen, wird gebetet. Auf dem Feld mit Hunderttausenden Menschen ist es auf einmal völlig still.