DOMRADIO.DE: Sie haben im Jahr 2022 Spenden in Höhe von 5,74 Millionen Euro eingenommen. Das ist eine Steigerung von 22 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Wie kommt es dazu?
Dr. Markus Demele (Generalsekretär Kolping International): Das ist eigentlich ein trauriger Anlass. Denn wenn Katastrophen weltweite mediale Aufmerksamkeit bekommen, dann steigt ganz oft auch die Solidarität.
So ist das in diesem Jahr mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine auch gewesen. Da ist die Solidarität ganz stark gestiegen.
Der Großteil des Spendenaufkommens ist dem Umstand zu verdanken, dass ganz viele Menschen ihre Solidarität erklärt haben. Dies geschieht nicht nur durch Hilfstransporte, sondern auch durch Geldspenden. Das hat zu diesem enormen Anstieg geführt.
DOMRADIO.DE: Was machen Sie mit den Geldern?
Demele: Grundsätzlich versuchen wir, durch langfristige, sozialstrukturbildende Aktivitäten Armut zu bekämpfen. Das heißt, Kolping International hat weniger das Ziel, kurzfristige Projektarbeit zu machen.
Es gibt zwar auch kleine Interventionen, wie zum Beispiel Brunnenbau, landwirtschaftliche Projekte, Steigerung der Bodenproduktivität oder Micro-Finance, also Spar- und Kreditgruppen. Aber all dies ist bei uns in einen langfristigen Horizont des Aufbaus von Zivilgesellschaft eingebunden.
Wir glauben, dass Sozialverbände - in unserem Falle ein katholischer Sozialverband - nachhaltige Entwicklung möglich machen, weil Politik kritisch begleitet wird, weil Themen in Politik hineingetragen werden und weil demokratische Strukturen helfen, eine Gesellschaft da besser aufzustellen, wo Politik es manchmal nicht schafft.
Aber das kann nur von Menschen getragen werden, die von ihrer Not und der Sorge ums Überleben, dem alltäglichen Kampf um ausreichend Essen für die eigene Familie befreit sind.
Darum haben diese ganzen Projektmaßnahmen, die bei uns Armutsbekämpfung bedeuten, auch immer einen instrumentellen Charakter. Natürlich sind sie in sich wichtig, um die Würde des Menschen zum Strahlen zu bringen. Denn kein Mensch soll und darf in dieser Armut leben.
Aber Kolping bleibt da eben nicht stehen, sondern wir sagen, wenn man dann raus ist aus der Armut, wenn man mehr Sicherheit hat, dann soll bitte auch der nächste Schritt ins Ehrenamt, ins Engagement, in eine Gemeinwohlorientierung hinein getan werden.
Das ist das, was wir sonst mit diesen Spendengeldern machen. Und wenn ich wir sage, dann meine ich nicht Kolping International, sondern dann meine ich die große Gemeinschaft der Kolping-Mitglieder vor Ort, vor allem dort, wo die Projekte ja realisiert werden.
DOMRADIO.DE: Sie beklagen gleichzeitig, dass die Fördergelder des Bundes im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und für humanitäre Hilfe sinken. Gilt das nur für Sie oder sind auch andere Hilfsorganisationen betroffen?
Demele: Der aktuelle Haushaltsentwurf sieht das vor. Auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, also das "Entwicklungshilfeministerium" genannte Haus, soll weniger Mittel zur Verfügung haben.
Glücklicherweise betreffen die Kürzungen, die da angedacht sind, die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit nicht in dem Maße wie andere Projektbereiche. Nichtsdestotrotz wissen wir alle, wie die Kosten in den letzten Jahren explodiert sind.
Das heißt, auch ein "Nichtaufwuchs" bedeutet de facto eine Kürzung. Bei unserem Titel, aus dem wir diese langfristigen Projekte finanzieren, kommt noch in besonderer Weise hinzu, dass die Fördermittel in den letzten zehn Jahren mehr oder minder gleich geblieben sind, aber viel mehr Organisationen Mittel bekommen.
Das heißt, der Anteil, der Kolping International zur Verfügung steht, wird dementsprechend deutlich kleiner. Wir sind froh und dankbar, dass viele Spenderinnen und Spender dieses Weniger an öffentlichen Mitteln bisher wirklich überkompensieren konnten.
Und so schön es ist, dass uns mehr Ressourcen zur Verfügung stehen, um diese gute Arbeit zu machen, ist es auch immer ein Indikator dafür, dass die Not auf dieser Welt einfach unglaublich groß ist und es diese Gelder auch wirklich braucht.
DOMRADIO.DE: Wie passt es denn zusammen, wenn wir doch wissen, dass der Migrationsdruck nach Europa erst weniger wird, wenn Menschen in ihren Heimatländern ein Auskommen haben und die Lebensbedingungen dort besser werden?
Demele: Die öffentlichen Haushalte sind in zweifacher Hinsicht unter einen enormen Druck geraten, weil bestimmte Entwicklungen in den letzten 15, 20 Jahren verschlafen worden sind.
Dazu gehören einmal diese unglaublichen Kosten der sozialökologischen Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Die Energiekosten und alles, was die CO2-Reduzierung anbetrifft, ist mit enormen öffentlichen Investitionen verbunden, Geldern, die irgendwo herkommen müssen.
Hinzu kommt die neue Erkenntnis, dass der Frieden in Europa doch nicht so selbstverständlich ist, wie angenommen, und möglicherweise langfristig anders gesichert werden muss als früher. Auch das kostet enorm viel Geld.
Trotzdem sind Investitionen in eine friedliche Weltgesellschaft und in Armutsbekämpfung vordringlich notwendig. Nicht nur der Migrationsdruck nimmt zu, sondern auch sicherheitspolitische Risiken vor Ort.
Es hieß einmal, die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt. Das gilt für manch andere Weltregion möglicherweise auch.
Auch Deutschland muss ein Interesse daran haben, dass wir zu "gleicheren Lebenschancen" auf diesem Planeten kommen, nicht nur mit Blick auf unser Menschenbild, das Chancengleichheit für jeden vorsieht, sondern auch in Hinblick darauf, dass wir weiterhin in Sicherheit und auch in einem gewissen Frieden leben können.
Also bei allem Verständnis dafür, dass die öffentlichen Haushalte unter Druck sind, halte ich es nicht für richtig, bei den Ärmsten der Armen zu sparen. Vor allem, weil ich gerade mit Blick auf die Spitze der Einkommen doch deutliche Möglichkeiten sehe, da zu Belastungen zu kommen, die sich nicht einmal negativ auf das Investitionsverhalten von Unternehmen in Deutschland auswirken würden.
Da gibt es übrigens auch in der katholischen Soziallehre noch viele gute Ideen bezüglich der Frage, wie sich die, die viel haben, noch stärker an dem beteiligen können, was die Gesellschaft braucht.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.