DOMRADIO.DE: Sie haben zusammen mit Claudia Sticher und Barbara Janz-Spaeth das Buch "Zeigt euch!" über
21 namenlose Frauen der Bibel geschrieben. Was hat Sie dazu motiviert?
Prof. Dr. Hildegard König (Apl. Professorin für Kirchengeschichte an der TU Dresden): Es ist das Interesse an den biblischen Frauen, die ja eher ein Schattendasein führen.
Es handelt sich dabei oft um Gestalten, die durchaus für die biblischen Texte von Bedeutung sind, die aber nur einmal vorkommen oder ungenannt vorkommen oder in einem Textkorpus stark in den Hintergrund treten, der deutlich aus Männerperspektive verfasst ist.
DOMRADIO.DE: 21 Porträts namenloser Frauen stehen in dem Buch. Eine von ihnen ist die Frau des Pilatus. Von der ist bei Matthäus 27,19 die Rede. Was liest man da?
König: "Während Pilatus auf dem Richterstuhl saß, sandte seine Frau zu ihm und ließ ihm sagen: Habe du nichts zu schaffen mit jenem Gerechten! Ich habe heute seinetwegen im Traum viel gelitten."
DOMRADIO.DE: Das klingt so, als habe die Frau des Pilatus ihren Gatten dahin getrieben, Jesus zu verurteilen. Oder versteht man das vollkommen falsch?
König: So sieht es im Kontext nicht aus. Es ist eine Intervention der Frau des Pilatus in einem Prozess, der bereits zu Gange ist und wo sehr stark gegen Jesus agitiert wird. Es geht darum, dass Jesus hingerichtet werden soll. Aber Pilatus ist noch etwas unentschieden.
Er versucht, so ist es dargestellt, den Jesus da irgendwie wieder rauszubekommen. Aber er kann sich letztendlich gegen die Agitatoren nicht durchsetzen. Zwischendrin kommt dann dieser Einwurf, dieser Moment, wo ein Bote von der Frau des Pilatus kommt und den Pilatus warnt.
Dieser Traum hat im Evangelium des Matthäus ganz am Anfang eine Resonanz. Anfang und Ende korrespondieren da ein bisschen. Da kommen nämlich die Sterndeuter. Bevor sie wieder in ihr Land zurückkehren, werden sie im Traum gewarnt, sie sollen nicht zu Herodes zurückgehen. Auch dort kommt also eine Warnung vor, die in einem Traum stattfindet.
Diese beiden Szenen verbindet miteinander, dass diese Sterndeuter, die ja nicht aus Israel, sondern aus dem Orient kommen, sozusagen mehr Ahnung von Jesus haben als von einem von Gottgesandten oder dem Messias oder einem Gerechten, wie sie sagt. Das Wort "gerecht" im Matthäusevangelium hat schon messianische Klänge.
Diese Heiden begreifen mehr als die Glaubensgenossen Jesu selbst. Das ist es, was Matthäus vermitteln möchte.
DOMRADIO.DE: Wird denn noch ein bisschen erklärt, was diese Frau des Pilatus für einen Traum gehabt hat oder ist es einfach nur ein Albtraum?
König: Nein, das wird überhaupt nicht erklärt. Wir erfahren von der Frau des Pilatus in der ganzen Bibel nichts außer diesen zwei kurzen Sätzen in dieser Szene.
DOMRADIO.DE: Wieso hat diese Frau in der Bibel keinen Namen?
König: Es kam dem Autor dieses Evangeliums gar nicht darauf an, dass diese Frau eine historische Größe war oder ist. Das ist nicht der Fokus, sondern es geht darum, dass er diese Frau, eine Heidin, eine Intervention aussprechen lässt.
In der Bibel gibt es solche Gestalten, die wir namentlich nicht benennen können oder die erst im Laufe der Geschichte irgendeinen Namen bekommen, wie die Frau des Pontius Pilatus. Die hat dann viele Jahrhunderte später schließlich Procula oder Claudia Procula geheißen.
Dieses Namenlose hat auch eine große Chance, nämlich die, dass wir Leserinnen und Leser uns in diese Personen hinein versenken können. Sie haben auch ein größeres Potenzial an Identifikationsraum, als wenn die ganz klar benannt wären und man auch historisch ganz viel von ihnen wissen würde.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.