Die namenlose Magd in der biblischen Erzählung von Judit

"Die klassische Tyrannenmordfrage"

In der Bibel gibt es eine Reihe namenloser Frauen. So spielt beispielsweise eine Magd eine wichtige Rolle bei den Planungen für den Mord an Holofernes und hilft ihrer Herrin Judit. Eine grausame Erzählung mit einer Hoffnungsbotschaft?

Symbolbild Rose auf einer alten Bibel / © Freedom Studio (shutterstock)
Symbolbild Rose auf einer alten Bibel / © Freedom Studio ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Sie haben gemeinsam mit ihren Kollegen und Kolleginnen insgesamt 21 Porträts namenloser Frauen zusammengestellt. Nun geht es um eine Magd. Sie wartet auf Judit, deren Namen wir aus der Bibel kennen. Welche Rolle spielt denn diese Magd?

Barbara Janz-Spaeth (Fotograf: Ulrich Pfeiffer) (Diözese Rottenburg-Stuttgart)

Barbara Janz-Spaeth (Autorin): Ich habe tatsächlich in der Erzählung den Moment bedacht, wo die Magd nach der Mordnacht auf Judit wartet. Die Magd ist bei den Vorbereitungen komplett beteiligt ist, weil der Plan, Holofernes zu töten, sonst nicht funktioniert.

DOMRADIO.DE: Das heißt, eine Dienerin ist in einen Mordplan eingeweiht?

Janz-Spaeth: Ja, ganz genau. Die beiden Frauen haben sich genau überlegt, welche Rituale sie einhalten, einüben und im Lager des Holofernes tätigen, um nachher unbeschädigt und ganz normal das Lager verlassen zu können, ohne dass jemand Verdacht schöpft.

Die Magd hat alles mit Judit vorbereitet. Sie ist Teil der Rituale. Sie besorgt das Essen, sie sorgt für die Kleidungsstücke. Das waren die Aufgaben der Mägde.

Judit war eine alleinlebende Witwe. Das heißt, sie war sicher auch wohlhabend und hatte folglich eine Magd. Es waren vertraute Frauen. Eine Magd lebte zeitlebens im Dienste ihrer Herrin. So entstand oft ein sehr vertrauensvolles Verhältnis.

Judit enthauptet Holofernes – Skulptur von Donatello (15. Jh.) in Florenz / © Alexander Barabanschikow (shutterstock)
Judit enthauptet Holofernes – Skulptur von Donatello (15. Jh.) in Florenz / © Alexander Barabanschikow ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Aber "du sollst nicht töten" lautet eines der Zehn Gebote. Wie war das zu der Zeit, als Judit und ihre Dienerin gelebt haben? Da durften die Männer anscheinend töten, die Frauen nicht?

Janz-Spaeth: Grundsätzlich ging es schon darum, dass das Gebot für alle Israeliten und Israelitinnen gilt. Frauen haben nicht getötet, weil sie nicht in die Kriegszüge einbezogen waren.

Man ging zunächst davon aus, dass Frauen nicht töten. So überlegte auch die Magd, dass Frauen doch dazu da sind, Leben zu spenden, Leben zu gebären und Leben hervorzubringen. Ich schildere in der Erzählung auch, wie sie mit Judit lange gerungen hat, ob dieser Mord an Holofernes erlaubt ist.

Es ist die klassische Tyrannenmordfrage. Darf ich einen Menschen umbringen, um größeres Unheil zu verhindern? Die Magd sagt, dieses Gebot "du sollst nicht töten" gilt. Judit sagt jedoch, dass sie in diesem Fall die Schuld auf sich nehmen muss, um größeres Unheil von ihrem Volk abzuwenden.

DOMRADIO.DE: Muss die Magd Judit folgen? Macht sie das, um ihrer Herrin zu gefallen?

Janz-Spaeth: Generell erwarte ich von der Position der Magd, dass sie tun muss, was die Herrin sagt. Aber tatsächlich geht sie schon ins Gespräch, in die Auseinandersetzung.

Ich glaube nicht, dass sie die Sachen macht, um Judit oder der Herrin zu gefallen, sondern dass sie mit ihr diesen Weg beschreitet, weil sie sieht, dass es zur Rettung des eigenen Volkes dient. Man befolgt offensichtlich den Plan, an den niemand denkt, der völlig überraschend kommt, um das Volk vor diesem Sturm des Holofernes zu bewahren.

Barbara Janz-Spaeth

"Das hat mich fasziniert, dass hier ein Narrativ gegen eine reale Situation erzählt wird, als Hoffnungsbotschaft."

DOMRADIO.DE: Es geht aber um noch mehr. Inwiefern?

Janz-Spaeth: Es ist so, dass diese Erzählung ja komplett erfunden ist. Historisch war die Lage anders. Die Erzählung wurde eigentlich zur Zeit der römischen Herrschaft der großen Aufstände verfasst, gehört zur Weisheitsliteratur und war sozusagen ein Narrativ gegen diese Unterdrückungsherrschaft mit der Botschaft: Wir überleben.

Wir haben solche ungewöhnlichen Mittel, wir haben Gott hinter uns, er geht mit uns, er ist mit uns, so die Botschaft. Deswegen werden wir als israelitisches Volk auch diese Herrschaft überleben. Das hat mich fasziniert, dass hier ein Narrativ gegen eine reale Situation erzählt wird, als Hoffnungsbotschaft.

DOMRADIO.DE: Was sagt denn die Bibel dazu, ob eine Frau einen Feind aus Rache töten darf? Gibt es überhaupt eine konkrete Aussage dazu?

Janz-Spaeth: Nein, das wird nicht bewertet. Das finde ich spannend.

Generell ist Mord nicht erlaubt. Feinde kann man schon des Überlebens willen töten, die zählen nicht zum eigenen Volk, so die damalige Vorstellung. Die Moralvorstellungen waren etwas lockerer als wir das heutzutage sehen würden oder sollten. Aber einem Menschen das Leben zu nehmen, war prinzipiell nicht erlaubt und wurde auch geahndet.

Barbara Janz-Spaeth

"Es gibt immer eine Möglichkeit, an die wir noch nicht denken, die vielleicht im Moment moralisch nicht gerechtfertigt ist."

DOMRADIO.DE: Was sagt diese Bibelstelle übersetzt in die Gegenwart? Ist das einfach nur eine Geschichte, die man damals aus den Gründen weitererzählt hat, die Sie eben schon genannt haben?

Janz-Spaeth: Für mich sind darin drei Botschaften enthalten. Die eine ist, dass es immer eine Möglichkeit gibt, an die wir noch nicht denken, die vielleicht im Moment moralisch nicht gerechtfertigt ist. Aber die Suche in der gesamten Bandbreite kann etwas Neues bringen.

Die andere ist, dass Judit sich wirklich in die Beziehung zu Gott stellt, oft betet und um die richtige Entscheidung ringt.

Und die dritte Botschaft ist, dass ich mich frage, welche Hoffnungs-Erzählungen und Narrative wir als Christen und Christinnen in diese Welt gegen diese unsäglichen Realitäten von Krieg, Hass und Gewalt bringen? 

Das Interview führte Dagmar Peters.

Die Bibel

Bibel ist die Schriftensammlung, die im Judentum und Christentum als Heilige Schrift gilt. Auf den Schriften fußt jeweils die Religionsausübung. Die Bibel des Judentums ist der dreiteilige Tanach, der aus der Tora, den Nevi’im und Ketuvim besteht. Diese Schriften entstanden seit etwa 1200 v. Chr. im Kulturraum der Levante und Vorderen Orient und wurden bis 135 n. Chr. kanonisiert. Das Christentum übernahm alle Bücher des Tanachs, ordnete sie anders an und stellte sie als Altes Testament (AT) dem Neuen Testament (NT) voran.

Eine Bibel liegt aufgeschlagen auf einem Tisch (KNA)
Eine Bibel liegt aufgeschlagen auf einem Tisch / ( KNA )
Quelle:
DR