DOMRADIO.DE: Wie geht es den 120.000 Menschen in Bergkarabach aktuell? Was hören Sie über Ihre Kooperationspartner?
Markus Lahrmann (Chefreakteur der Caritaszeitschrift der diözesanen Caritasverbände in NRW und bis vor kurzem in der Region um Bergkarabach unterwegs): Wir haben Berichte von der Caritas Armenien, ich habe mit einer Mitarbeiterin dort gesprochen, die täglich in Kontakt mit Menschen aus Bergkarabach ist. Die Situation ist sehr schwierig. Es gibt kaum noch Lebensmittel, die Energieversorgung ist prekär. Diese Blockade hat im Winter angefangen, da war das ganz furchtbar. Und wenn sie sich weiter fortzieht, dann ist Schlimmstes zu befürchten.
Die gesundheitliche Versorgung ist prekär, weil die Menschen, die zum Beispiel an chronischen Krankheiten leiden, keinen Nachschub an Medikamenten bekommen. Oder die, die eine dringende Operation benötigen, müssten nach Armenien ausreisen. Das geht aber nicht, weil es in der Region selbst keine guten Krankenhäuser gibt.
Die Kinder können nicht mehr zur Schule gehen. Das Recht auf Bildung, das ihnen zusteht, können sie nicht wahrnehmen. Und selbst der Anbau von Feldfrüchten ist schwierig, weil es zum Teil militärische Auseinandersetzungen oder Heckenschützen gibt, die da tätig sind.
DOMRADIO.DE: Und wie kann da die Caritas helfen? Oder gibt es gar keine Möglichkeit mehr, die Leute richtig zu unterstützen?
Lahrmann: Die Caritas Armenien hat bis bis zur Blockade, die im Dezember letzten Jahres begonnen hat, Lebensmittel- und Hilfslieferungen nach Bergkarabach veranlasst oder geliefert. Das geht jetzt gar nicht mehr. Jetzt kommen keine Transporte mehr durch. Die sogenannten russischen Friedenstruppen und das Rote Kreuz können noch etwas transportieren. Aber auch das ist sehr stark eingeschränkt.
Die Caritas Armenien versucht, die Flüchtlinge, die in Armenien sind, die aus dem Bergkarabach-Gebiet in der Folge des Krieges 2020 geflohen sind und nicht wieder zurückgegangen sind, zu unterstützen und tut das anfangs mit Hilfsleistungen und Hilfslieferungen und jetzt mit Maßnahmen für eine Wiederansiedlung. Thema ist, die Häuser, die Wohnungen besser auszustatten, zum Beispiel mit Trinkwasser, mit sanitären Anlagen. Und wichtig ist, den Menschen, den Flüchtlingen ein kleines Einkommen zu verschaffen, indem sie ein bisschen mehr Vieh und einen Gemüsegarten kriegen.
DOMRADIO.DE: Der Konflikt schwelt ja schon seit Jahrzehnten. Besonders betroffen sind die christlichen Armenier, die in Bergkarabach leben. Warum ist das Gebiet überhaupt so umkämpft?
Lahrmann: Das hat sehr weit zurückgehende historische Gründe. Die Armenier sagen: Wir haben dort immer schon gesiedelt, seit Hunderten, seit Tausenden von Jahren vielleicht schon. Gleichzeitig waren aber sowohl Aserbaidschan als auch Armenien Teil der Sowjetunion. Dieses Gebiet Bergkarabach lag in der aserbaidschanischen Sowjetrepublik, die ja Teil der Sowjetunion war.
Dann gab es nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 bis 1994 einen Krieg, den die Armenier gewonnen haben. Danach konnten die Menschen in Bergkarabach siedeln beziehungsweise bleiben und haben sich eine eigene Republik ausgerufen. Die ist völkerrechtlich nicht anerkannt. Völkerrechtlich gehört das Gebiet zu Aserbaidschan. Aber die Armenier, die dort leben, deren Familien seit Jahrhunderten da leben und Besitz haben, haben die große Angst, dass sie einem Genozid zum Opfer fallen oder vertrieben werden und alles verlieren.
Diese Angst ist nicht ganz so unbegründet, wenn man zurückdenkt an den Genozid an den Armeniern vor über 100 Jahren, den das Osmanische Reich verübt hat, aber auch die Vertreibungen, die jetzt 2020 nach dem Krieg, den Aserbaidschan gewonnen hat, stattgefunden haben.
DOMRADIO.DE: Aserbaidschan ist ja ein wichtiger Gaslieferant für die EU. Schnell kommt da der Vorwurf, Deutschland und Europa sähen genau deswegen tatenlos zu. Empfinden das die Menschen vor Ort genauso, dass sich Europa zu wenig um ihre Sorgen und ihre existenziellen Nöte kümmert?
Lahrmann: Man muss sagen, dass Armenien lange Zeit Russland als Schutzmacht hatte und Aserbaidschan aber auch ganz gute Beziehungen zu Russland hatte. Jetzt fällt Russland infolge des Ukrainekrieges aber in dieser Funktion aus. Es sind zwar russische Friedenstruppen da und der Friedensprozess wird auch von Russland befördert, aber die Menschen in Armenien sind verunsichert und in ihrer Verzweiflung sozusagen umzingelt von Gegnern.
In einer schwierigen humanitären Situation rufen sie: Wir sind auch Europa, guckt zu uns! Selbst der Papst hat appelliert, dass dieser Konflikt friedlich gelöst werden muss. Wie das genau aussehen kann, muss man verhandeln. Das ist sicherlich nicht einfach zu lösen. Aber Fakt ist auch, dass da gerade eine humanitäre Katastrophe droht, die ganz fürchterlich enden kann.
DOMRADIO.DE: Was können denn die Katholikinnen und Katholiken in Deutschland dafür tun, dass es den Menschen wieder besser geht?
Lahrmann: Das habe ich meine Gesprächspartnerin von der Caritas Armenien auch gefragt. Die sagte: "Wir brauchen eure Anwaltschaft, Unterstützung, Lobbying. Wir brauchen Öffentlichkeit. Die Weltöffentlichkeit darf nicht einfach so zulassen, dass da Ungerechtigkeit passiert. Und unterstützt uns, dass Gerechtigkeit passiert."
Die Frage ist natürlich: Was kann der einzelne Christ tun? Das ist schwierig zu beantworten. Die Caritas Deutschland unterstützt die Caritas Armenien in humanitären Situationen. Man kann spenden. Da wird sehr viel Gutes getan, auch mit Spenden der Katholiken in Deutschland. Wir haben auch andere Projekte besucht, die sehr hilfreich sind für die Menschen vor Ort. Und es geht um die Aufmerksamkeit und nicht wegschauen. Wir dürfen nicht zulassen, dass da ethnische Säuberungen passieren und wir gucken einfach nicht hin.
Das Interview führte Mathias Peter.