DOMRADIO.DE: Inwiefern war Schwester Pascalina so mächtig? Was hat denn diese bayerische Schwester, die man später ehrfurchtsvoll auch "Madre Pascalina" nannte, im Vatikan alles gemacht?
Ulrich Nersinger (Vatikanjournalist und Buchautor): Sie war zwar eine Ordensschwester, die ihr Amt als demütiges Amt und religiös motiviert verstand, aber sie war eine sehr starke Frau und konnte sich in vielen Punkten in einer reinen Männerwelt durchsetzen.
DOMRADIO.DE: Das hört sich nach einem ziemlichen Dickkopf an, der auf der anderen Seite aber auch politisches Gespür gehabt hat...
Nersinger: Jein, muss man sagen. Sie hatte schon ein Gespür, aber ihr oberstes Ziel war, ihren Dienstherrn zu schützen. Und damit hat sie manchmal diplomatische Komplikationen hervorgerufen.
DOMRADIO.DE: ...was davon zeugt, dass ein großes Vertrauensverhältnis zwischen Papst Pius XII. und ihr gewesen ist?
Nersinger: Es bestand eine sehr enge Bindung, die aber auch manchmal die Grenzen im Ablauf des Vatikans überschritt. Es gibt da ein berühmtes Beispiel: Die Privataudienz des Papstes sind ja sakrosankt. Da greift niemand ein. Aber wenn sie gesehen hat, dass die Privataudienz zu lange dauerte und sich das auch auf die Gesundheit des nicht so ganz gesunden Papstes auswirkte, hat sie eingegriffen.
Sie ist einfach in die Audienzsäle hineingegangen - etwa als ein Botschafter dort war - hat sich am Eingang hingestellt und demonstrativ auf ihre Uhr gezeigt. Das war schon ein diplomatischer Fauxpas. Aber da war sie ganz hart und ihr oberstes Ziel war, ihren Dienstherrn zu schützen.
DOMRADIO.DE: Haben Aktionen wie diese für Feinde im Vatikan gesorgt?
Nersinger: Oh ja, das kann man durchaus sagen, weil sie auch einen großen Einfluss auf den Papst ausgeübt hat. Es gibt ein sehr hübsches Beispiel: Sie hatte gesehen, dass es einen jungen kanadischen Priester gab, der nach ihrer Auffassung viel für die Zukunft versprach. Auf ihren Einfluss hin ist dann dieser Priester vom Papst weiter befördert worden zum Erzbischof, dann zum Kardinal. Die Römer haben ja manchmal eine böse Zunge und haben diesen armen Kardinal dann nur noch "nato ex vergine" genannt, also "der Geborene aus der Jungfrau".
DOMRADIO.DE: Das ZDF hat das Leben der Frau in einem Zweiteiler verfilmt, mit Christine Neubauer als Schwester Pascalina. Sie waren als Berater dabei. Hat man das gut hinbekommen?
Nersinger: Ja, ich denke sehr. Also, soweit ich informiert bin, waren die Quoten recht hoch. Wir haben uns bemüht, es historisch korrekt zu machen, aber natürlich mit vielen spielerischen Elementen, sodass es auch verständlich für den Zuschauer war. Es sollte zeigen, wie es im Vatikan wahrheitsgemäß zugeht. Aber eben als leicht verdaubare Filmkost.
DOMRADIO.DE: Sie waren Berater am Set. Wie haben Sie diesen Spagat zwischen korrekt und unterhaltsam geschafft? Was mussten Sie den Schauspielern beibringen?
Nersinger: Es war der Wunsch des Regisseurs, dass ich den Schauspielern zeige, wie man sich im Vatikan verhält. Ich habe den Schauspielern den Handkuss, wie man kniet und wie die Zeremonien bei einer Audienz und im ganzen vatikanischen Milieu sind, nahegebracht. Sie waren sehr offen dafür. Manche, die die Ordensschwestern oder Priester spielen mussten, sind sogar eine Zeitlang in ein Kloster gegangen und haben sich angeschaut, wie es da abläuft. Sie waren sehr wissbegierig und ich bin sehr durchlöchert worden, könnte man fast sagen. Also das empfand ich als sehr angenehm, dass ein Interesse vonseiten der Schauspieler da war.
DOMRADIO.DE: Pius XII. wurde 1939 zum Papst gewählt, das heißt die meisten, die Schwester Pascalina oder auch den Papst kennengelernt haben, sind schon tot. Aber sie haben noch zwei Bischöfe getroffen, die Schwester Pascalina noch kannten.
Nersinger: Ja, Bischof Petrus Canisius van Lierde – das war der Generalvikar des Papstes in der damaligen Zeit für die Vatikanstaat – und einen Prälaten, der einer der Lateinisten war, die beide sehr eng mit der Madre, wie sie genannt wurde, im Vatikan zusammenarbeiteten.
Wenn Sie über die Schwester sprachen, und sie sagten dann "die Madre", merkte ich, dass sie leicht ihren Kopf senkten. Da war auch nach einem halben Jahrhundert noch der alte Respekt da. Aber nicht nur Respekt, sondern manchmal habe ich auch gedacht, ein wenig Angst, weil sie doch sehr energisch sein konnte. Wir wissen von einem Bericht, dass sie gegenüber einem Kardinal, der sehr martialisch auftreten konnte, ein ehemaliger Offizier, sogar handgreiflich geworden ist.
DOMRADIO.DE: Was ist eigentlich aus Schwester Pascalina nach dem Tod von Papst Pius XII. geworden?
Nersinger: Ja, dann passiert eben das, was wir bis in die jüngste Vergangenheit kennen. Mit dem Tod ihres Dienstherrn verlieren die Privatsekretäre – sie war ja auch im Grunde die Privatsekretärin des Papstes – sofort Ihre Macht. Und alle Leute, die sie nicht mochten oder die eifersüchtig waren, haben versucht, sie schnell vom Vatikan fernzuhalten.
Sie wollte immer ihre Erinnerungen aufschreiben. Papst Johannes Paul II. war ihr sehr zugetan und sagte, sie dürfe alles niederschreiben. Es entstand ein Buch unter dem Titel "Ich durfte ihm dienen", das eine große Auflagenhöhe erreicht hat und in dem sie vieles erzählt hat.
Das Interview führte Bernd Hamer.