Schweizer Nuntius prüft doch Öffnung von Botschaftsarchiven

Zwischen Diplomatie und Aufarbeitung von Missbrauch

Der Papstbotschafter in der Schweiz, Erzbischof Martin Krebs, prüft wohl doch eine Öffnung des Nuntiatur-Archivs in Bern für eine Missbrauchsstudie. Bisher hatte Krebs die prinzipielle Unverletzlichkeit von Botschaftsarchiven betont.

Die Flaggen der Schweiz und der Vatikanstadt nebeneinander / © esfera (shutterstock)
Die Flaggen der Schweiz und der Vatikanstadt nebeneinander / © esfera ( shutterstock )

Das berichtet die Schweizer "Sonntagszeitung" und zitiert aus einer Stellungnahme von Erzbischof Martin Krebs.

Dieser erklärt den Angaben zufolge: "Es besteht ein Dilemma zwischen dem diplomatischen Schutz des Archivs und der Aufklärung von Missbrauchsvergehen in der Kirche."

Nuntius sucht mit Experten nach Lösungen des Dilemmas

Der Nuntius fügt hinzu: "Ich darf Ihnen versichern, dass ich begonnen habe, zusammen mit Fachleuten nach gangbaren Lösungen zu suchen, wie mit diesem Dilemma umzugehen ist."

Vor einer Woche hatte Krebs zunächst abgelehnt, Archivmaterial zugänglich zu machen. Er verwies auf internationales Recht, wonach Botschaftsarchive "jederzeit unverletzlich" seien.

Papst Franziskus und Erzbischof Martin Krebs, Apostolischer Nuntius des Heiligen Stuhls in der Schweiz und in Liechtenstein am 25. September 2021 im Vatikan / © Vatican Media/Romano Siciliani/KNA (KNA)
Papst Franziskus und Erzbischof Martin Krebs, Apostolischer Nuntius des Heiligen Stuhls in der Schweiz und in Liechtenstein am 25. September 2021 im Vatikan / © Vatican Media/Romano Siciliani/KNA ( KNA )

Auch eine punktuelle Akteneinsicht nur zum Thema Missbrauch schloss Krebs aus. Betroffenenorganisationen und Kirchengemeinden reagierten empört und übten öffentlichen Druck auf den Nuntius aus.

Schweizer Missbrauchsstudie nur "die Spitze des Eisbergs"?

Historikerinnen der Universität Zürich hatten kürzlich eine Pilotstudie zu sexuellem Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche in der Schweiz vorgestellt.

Identifiziert wurden seit Mitte des 20. Jahrhunderts 1.002 Fälle, 510 Beschuldigte und 921 Betroffene. Die beiden Studienleiterinnen gehen jedoch mit Blick auf frühere Forschungen im Dunkelfeld davon aus, dass dies nur "die Spitze des Eisbergs" ist.

Das Pilotprojekt, das unter anderen von der Schweizer Bischofskonferenz in Auftrag gegeben wurde, war der erste systematische Versuch, sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in der Schweiz wissenschaftlich zu erfassen. Eine umfassende Studie soll folgen.

Schweizer Bischofskonferenz kündigte eigenes Strafgericht an

Dafür sollen zahlreiche weitere Archive ausgewertet werden, darunter Archive von Ordensgemeinschaften, Dokumente diözesaner Gremien und die Aktenbestände katholischer Schulen, Internate und Heime sowie staatliche Archive.

Auch von der Berner Nuntiatur wurde Akteneinsicht gefordert. Unterdessen kündigte die Schweizer Bischofskonferenz am Wochenende an, im Kampf gegen sexuellen Missbrauch ein eigenes kirchliches Straf- und Disziplinargericht einzurichten.

Vorrang hätten weiterhin die zivilen Strafverfolgungsbehörden, die bei entsprechenden Vorkommnissen zwingend eingeschaltet werden müssten, heißt es in der Erklärung der Bischöfe.

Das kirchliche Gericht solle sich jedoch zusätzlich mit möglichen Sanktionen befassen, wenn ein Verstoß gegen Kirchengesetze vorliege.

Vatikandiplomatie

Der Heilige Stuhl unterhält derzeit diplomatische Beziehungen zu 183 Staaten weltweit. Hinzu kommen die EU und der Souveräne Malteserorden. 88 Staaten sowie die EU und der Malteserorden lassen ihre Botschafter beim Heiligen Stuhl in Rom residieren. Ferner sind die Arabische Liga, die Internationale Organisation für Migration und das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge UNHCR mit eigenen Gesandten beim Vatikan vertreten.

Vatikanflagge zwischen USA-Flaggen / © Michael Reynolds (dpa)
Vatikanflagge zwischen USA-Flaggen / © Michael Reynolds ( dpa )
Quelle:
KNA