DOMRADIO.DE: Die Welthungerhilfe hat gestern bei der Vorstellung des Welthungerindexes 2023 eine Stagnation im weltweiten Kampf gegen Hunger beklagt. Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptgründe dafür, dass es im Moment nicht so recht vorangeht bei der Hungerbekämpfung?
Lutz Depenbusch (Referent für Landwirtschaft und Ernährung bei Misereor): Seit 2015 sehen wir tatsächlich keine Verbesserung der Zahlen mehr. Das hat drei Gründe, die so mitschwimmen: Das sind Kriege und bewaffnete Konflikte, die sich weiter ausbreiten.
Wir haben die steigenden Folgen der Klimakrise, wir haben aber auch vor allem wirtschaftliche Krisen, die dahinter stehen. Wenn man sich anguckt, was darunter liegt, dann sieht man auch, dass seit 2015 zum Beispiel in Subsahara-Afrika die Einkommen, die Menschen zu Verfügung haben, nicht mehr gestiegen sind.
Das ist aus unserer Sicht auch eines der unterliegenden Probleme. Seit 2015 ist im Schnitt bei jedem Weltbürger das Einkommen um circa 2.000 US Dollar gestiegen. Dieser steigende Wohlstand kommt aber nicht bei den Menschen an, die ihn am meisten brauchen. Deswegen haben wir bei Misereor jetzt auch eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass es insgesamt 3 Billionen US-Dollar sind, die Menschen weltweit von dem Zugang zu gesunder Ernährung abschneiden.
Aber das entspricht nur 2,2 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung. Es ist überhaupt nicht so riesiges Problem, aber das Problem ist, dass wir es nicht mehr schaffen, diesen Wohlstand zu den Menschen zu bringen, die ihn brauchen.
DOMRADIO.DE: Misereor wirft im Moment einen ganz besonderen Blick auf das Thema Mangelernährung. Zwei von fünf Menschen auf der Welt sind aus Armutsgründen von gesunder Ernährung abgeschnitten. Was hat das konkret für Folgen für die Betroffenen?
Depenbusch: Wenn wir nur auf Kalorien schauen, was wir ja mit dem Blick auf Hunger sonst auch tun, dann schauen wir wirklich nur auf die Spitze des Eisberges. Da geht es nur darum, ob Menschen kurzfristig überleben können. Aber es geht ja auch ums Langfristige. Es geht um Lebensqualität. Menschen, die keinen Zugang zu einer ausgewogenen Ernährung haben, werden öfter krank.
Es geht aber auch darum, dass gerade Kinder sich nicht gut entwickeln können, wenn sie keinen Zugang zu einer ausgewogenen Ernährung haben. Gerade in den ersten tausend Tagen des Lebens inklusive der Schwangerschaft brauchen Kinder Zugang zu den Lebensmitteln, zu den Nährstoffen, die für eine gesunde Entwicklung notwendig sind. Wenn sie das nicht haben, dann hat das Folgen, zum Beispiel auch auf die kognitive Entwicklung.
Das heißt, sie sind in der Schule später nicht so gut. Das heißt, sie können auch die wirtschaftlichen Chancen in Ihrem Leben nicht mehr so nutzen. Das heißt, das kann man kaum noch aufhalten. Deswegen ist es wichtig, jetzt und in jedem Moment wirklich schon für diese bessere Ernährung einzutreten.
DOMRADIO.DE: Sie beklagen, dass da vielerorts auch der politische Wille fehlt. Was wären denn Möglichkeiten, diesen Willen zu stärken und wirkungsvoller gegen Mangelernährung und Hunger vorzugehen?
Depenbusch: Aus unserer Sicht ist dabei letztlich entscheidend, dass die Zivilgesellschaft ihre Regierungen auch auf die Verpflichtung hinweist, die sie haben.
Eine gesunde Ernährung ist ein Menschenrecht. Darauf müssen Organisationen ihre Regierung auch hinweisen und sie dafür verantwortlich machen und natürlich auch daran mitwirken, das konstruktiv zu lösen. Deswegen müssen wir auch diese zivilgesellschaftlichen Partner in vielen Ländern stärken und unterstützen. Das ist ja auch die Aufgabe von Misereor.
Das andere ist aber auch, dass wir gerade ein gutes Momentum sehen in der Hinsicht, dass viele Staaten des globalen Südens selbstbewusster auftreten. Gerade in diesem globalen Machtkampf, zum Beispiel mit China, das eine stärkere Rolle will, treten sie selbstbewusster auf und setzen sich dann etwa bei der UN wie in diesem Jahr dafür ein, dass es eine globale Mindeststeuer für internationale Unternehmen gibt.
Diese politische Initiative müssen Länder wie Deutschland dann auch konstruktiv begleiten und unterstützen, damit diese positiven Änderungen gerade für ärmere Länder auch eintreten können.
DOMRADIO.DE: Trotz Krieges in Europa leben wir in Deutschland ja auf jeden Fall im Überfluss. Was können wir Katholikinnen und Katholiken denn tun, um den Hunger in anderen Ländern zu bekämpfen?
Depenbusch: Drei Punkte. Der eine ist natürlich, dass wir selbst gucken können, wie unser Konsum dazu beiträgt, dass wir eine Welt hinterlassen, die auch für zukünftige Generationen lebenswert ist. Der Papst hat ja auch noch mal auf die extremen Folgen der Klimakrise hingewiesen.
Wir können ja schauen: Wo muss ich vielleicht etwas nicht konsumieren? Wir können auch schauen, wo kann ich etwas aus fairem Handel kaufen, der die Lebensgrundlagen von Menschen auch sichert, von denen wir etwas kaufen?
Der zweite Punkt ist der: Wir können eben wie angesprochen die Zivilgesellschaft in vielen Ländern unterstützen. Das machen wir als katholische Kirche und viele Katholikinnen und Katholiken im Land tun das auch über Werke wie Misereor oder über andere Initiativen.
Das Dritte finde ich aber auch wichtig, dass wir gerade jetzt, wo Populismus sich ausbreitet, wo Menschen diese Vorstellung verbreiten, dass Hilfe für ärmere Länder sinnlos wäre oder dass es nicht so wichtig wäre wie die Menschen im eigenen Land, dass wir da mit diesen urchristlichen, urkatholischen Werten von Nächstenliebe und Hoffnung nach vorne gehen und das auch nach außen tragen, dass das wichtig und eine Priorität ist.
Es ist wichtig, dass wir so den politischen Wind in unserem Land dauerhaft mitprägen können und verhindern, dass zum Beispiel bei der Entwicklungszusammenarbeit der Rotstift angesetzt wird, wenn nicht mehr so viel Geld da ist, wie das zuletzt ja passiert ist.
Das Interview führte Verena Tröster.