Blog des Chefredakteurs aus dem Vatikan zur Weltsynode #16

"Il Papa" und seine Kinder

Ein Bild sagt bekanntlich mehr als 1.000 Worte. Aber Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen gibt trotzdem seinen Senf dazu. Er beobachtet aus seinem "Rome-Office" die Weltsynode und beschreibt im Blog seine Eindrücke aus der ewigen Stadt.

Papst Franziskus (hinten 2.v.r) spricht ein Gebet für Migranten und Flüchtlinge im Rahmen der 16. Generalversammlung der Bischofssynode / © Gregorio Borgia/AP (dpa)
Papst Franziskus (hinten 2.v.r) spricht ein Gebet für Migranten und Flüchtlinge im Rahmen der 16. Generalversammlung der Bischofssynode / © Gregorio Borgia/AP ( dpa )

"Il Papa, il Papa!" Die italienische Mutter hinter mir ist ganz verzückt. Sie hebt ihre drei Kinder hoch, damit auch die "Il Papa" sehen können. Die Kinder haben also ganz offensichtlich noch einen weiteren Vater, den die Italienerin hinter mir offensichtlich sehr in ihr Herz geschlossen hat. Ich gebe zu: Dieser übertriebene Personenkult ist mir ein wenig fremd. Ich hatte meine Augen eher auf den Rollstuhl gelenkt, den die päpstlichen Begleiter hinter den Säulen versteckt hatten, damit er das Bild der Kameras nicht stört. Das kenne ich von meinem Vater, der die letzten 25 Jahre seines Lebens auch den Rollstuhl brauchte. Aber selbst wenn ich mit einigen Entscheidungen von Franziskus hadere wie mit dem übertriebenen Personenkult – ich gebe zu: Immer wieder trommelt der Papst uns ins Gewissen, dass wir alle Brüder und Schwestern sind. Tutti Frattelli! Tutti... 

Ingo Brüggenjürgen im Vatikan (DR)
Ingo Brüggenjürgen im Vatikan / ( DR )

Da ist er also ganz Papa – ein guter Vater aller. Besonders liegen ihm die Geringsten, die Armen, die am Rande stehen am Herzen. Seit seinem ersten Amtsbesuch auf der Insel Lampedusa wird er daher auch nicht müde, uns an das Schicksal und Leid der Flüchtlinge zu erinnern. Gestern Abend hatte der Papst eigens den ganzen Petersplatz absperren lassen. Nur die Teilnehmer der "Weltbischofs-Laien-inklusive Frauen Synode" waren geladen. Es gab einen kurzen Gottesdienst für die Flüchtlinge. Natürlich vor dem Kunstwerk mit den Migranten auf dem Floß, welches der Papst bereits 2019 hatte aufstellen lassen. Der große, hell erleuchtete Petersplatz ganz leer – nur ein paar Stuhlreihen für die Teilnehmer der Synode. Ein Stuhl für den Papst – und im Mittelpunkt der Blicke aller – die Flüchtlinge auf dem Floß. Menschen aus aller Herren Länder – und aller Religionen. Auch ein Jude ist deutlich zu erkennen. Stärker kann man die Botschaft des Papstes – die Flüchtlinge gehören in unsere Mitte – nicht in alle Welt übertragen. 

Eindringlich mahnt der Papst, sich für die Aufnahme und Integration der Flüchtlinge einzusetzen. Biblisch greift er dabei auf das Gleichnis vom Samariter zurück. Alle – Priester und Gelehrte, alle lassen den ausgeraubten Mann links liegen, bis der Mann aus Samarien kommt. Not sieht und handelt. Nicht nur die erste Hilfe sein nötig – nein, die langfristige Perspektive und Unterstützung. 

Die Politik erinnert der Papst daran, sichere Wege zu organisieren, damit nicht Schlepperbanden ihre Geschäfte machen. Es ist schon verrückt: Während hier in Europa Politiker zunehmend die Grenzen dichtmachen und aus dem "Wir schaffen das!" immer mehr ein "Wir schaffen das nicht!" wird, bleibt der Papst sich treu. Lässt nicht ab von seiner Botschaft, die die Botschaft Jesu ist. Auch wenn ich nicht entzückt "Il Papa" rufe, aber da findet der alte Mann in Weiß da vor mir meine vollste Bewunderung und Unterstützung. 

Hinter den Säulen des Petersdoms geht das Leben schon weiter. Die Italienerin hat ihre Kinder im Kinderwagen und an der Hand – es ist Zeit für das Abendessen. Ein paar Jugendliche aus England haben die Pizzaschachteln dagegen schon in der Hand und ärgern sich, dass sie nicht auf den Platz dürfen. "Privato" – versucht der Polizist zu erklären. Nein, das ist hier kein Privatvergnügen des Papstes. Es muss uns alle angehen. 

Ein Penner neben den Jugendlichen hofft, dass er unter den Säulen bald wieder sein Nachtlager einrichten kann. Auf dem Platz erkenne ich dann noch einen dunklen Jeep. Als die Heckklappe sich öffnet, erkenne ich Spezialeinheiten. Sicherheitskräfte – mit der MP im Anschlag. "Die müssen hier offensichtlich auch mit allem rechnen!", meint der Schweizer Bischof Felix Gmür. Angesichtes der aktuellen Ausgangslage reichen die Schweitzergardisten in ihren schmucken Uniformen offensichtlich auch hier im Vatikan nicht aus. Der Schweizer Bischof ist einer der Teilnehmer Synode, der nach dem Gottesdienst noch das Gespräch mit dem Volk Gottes sucht. 

Hinter der Kuppel von St. Peter ist jetzt deutlich die Sichel des Mondes zu erkennen. Eigentlich ein wunderbar milder – noch fast sommerlicher Abend. Der Petersplatz ist jetzt wieder für alle offen – es könnte alles so friedlich sein. Vielleicht sollten wir doch endlich damit anfangen – in jedem Menschen unseren Bruder, unsere Schwester zu sehen. Tutti Fratelli – Tutti!!! Da hat "Il Papa" Recht.

Ingo Brüggenjürgen, z.Zt im "Romeoffice"

Quelle:
DR