Fußball-Pilgerweg führt an Schalker Arena vorbei

"Kirche und Fußball haben eine riesige Kraft"

Die Fans vom 1. FC Schalke 04 gehen zur Zeit durch ein Tal der Gefühle, aber der evangelische Pfarrer Ernst-Martin Barth ist immer für sie da. Seit kurzen führt auch ein Fußball-Pilgerweg an der Arena in Gelsenkirchen vorbei.

Der Fußball auf Schalke sorgt für wenig Euphorie - aber es gibt seelischen Beistand nicht nur für Fans / © Fabian Strauch (dpa)
Der Fußball auf Schalke sorgt für wenig Euphorie - aber es gibt seelischen Beistand nicht nur für Fans / © Fabian Strauch ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die Kapelle in der Arena "Auf Schalke" führt am neu geschaffenen Fußball-Pilgerweg vorbei. Diese Kapelle ist ein sehr steriler Raum und nicht einfach zu erreichen. Was ist denn das Konzept dahinter und wie sieht die Geschichte dieser Kapelle aus?

Ernst-Martin Barth (evangelischer Pfarrer in der Arena "Auf Schalke"): Die Kapelle liegt im zweiten Untergeschoss unserer Arena "Auf Schalke", direkt neben der "Mixed Zone", direkt neben dem Spielertunnel und den Umkleiden, also im Herzen unseres Stadions.

Sehr viele Fans haben in den 1980er und 1990er Jahren angefragt, ob sie an Schwellen ihres Lebens auch Orte haben können, die sie aufsuchen können, um zu beten, vielleicht auch die Kinder taufen zu lassen oder hier selber heiraten zu können. Und aus diesen Gründen hat sich der Verein bemüht, einen spirituellen Raum hier in dieses Stadion mit aufzunehmen.

Der Spielertunnel in der Arena "Auf Schalke" / © Oliver Kelch (DR)
Der Spielertunnel in der Arena "Auf Schalke" / © Oliver Kelch (DR)

Die Kirchen, die damals angesprochen wurden, waren zunächst skeptisch, weil man nicht wie beim FC Barcelona so eine "Zauber-Bude" wollte, wo man für Siege betete oder auch für Niederlagen der gegnerischen Mannschaft. Aber es entstand dieser ökumenische sakrale Raum und es war die erste Kapelle in einem Bundesliga-Stadion. Und dieser Raum sollte eben nicht vom Fußball überlagert werden. Deswegen hat dieser Raum auch eine ganz andere Gestaltung bekommen als die blau-weiße Herrlichkeit hier vom FC Schalke 04. Diese karge, nüchterne Ausstattung, die wir hier vorfinden, zeigt uns einen anderen Raum, quasi einen Nebenraum zum Stadion. Hier lenkt nichts ab.

Und trotzdem gehören Glaube und Fußball hier zusammen, können ineinander aufgehen, sind letzten Endes selbstverständlich in ihrer Aussage auch ein Stück zu unterscheiden. Und wer genau hinschaut, kann sehen, dass der Anstoßpunkt auf dem Spielfeld verbunden ist wie in einer Sichtlinie hier zum Altar. Das ist etwas ganz Besonderes.

Die Kapelle in der Arena "Auf Schalke" in Gelsenkirchen ist schlicht gestaltet. / © Oliver Kelch (DR)
Die Kapelle in der Arena "Auf Schalke" in Gelsenkirchen ist schlicht gestaltet. / © Oliver Kelch (DR)

DOMRADIO.DE: Sie haben es ja gerade gesagt: Es sollte hier nicht so eine "Zauber-Bude" wie in Barcelona werden. Wie unterstützt die Kapelle dann die Bedürfnisse der Fans und der Menschen, die die Arena besuchen? Jeder möchte ja schon die Mannschaft gewinnen sehen.

Ernst-Martin Barth: Es ist ein Raum der Herzen. Es ist ein Raum der Seele und es ist ein Raum der Ermutigung. Und im Kontext der Theologie und der Religion ist es heiliger Raum. Sie spüren das vielleicht, es regt die Fantasie an, führt in eine Stille, führt ins Gebet.

Wir sind eingeladen zum Hören, zum Dasein, zum Fragen, auch zum Nachdenken. Das ist ein Ort, wo Menschen fasziniert sind, wo sie erschüttert werden, wo sie ihr ganz eigenes Leben, die Siege und Niederlagen mitbringen und auch vor Gott vortragen können. Und es ist eben ein Raum, der etwas anderes bietet. Er bietet Spiritualität und etwas, das dem Menschen gut tut, das ihn heilt, um mit sich selbst und mit Gott dann auch in Berührung zu kommen. Und mag das Leid dieser Welt noch so groß sein, wie wir das ja auch in diesen Wochen, Monaten und Jahren spüren. Besonders der Glaube sagt an diesem Ort immer noch einen Satz mehr. Und so ist dieser Raum ein Raum und ein Ort der Liebe, der Barmherzigkeit und des Friedens für die Menschen, die ihn besuchen.

DOMRADIO.DE: Neben Taufen und Trauungen gibt es doch sicherlich auch noch andere Veranstaltungen und Anlässe...

Ernst-Martin Barth: Wir haben sehr viele Amtshandlungen hier wie Taufen und Trauungen. Wir haben Erinnerungsfeiern, Jubiläen, Geburtstage und Andachten, die wir hier feiern.

Wir haben aber auch einige Gedenkfeiern für ehemals Verstorbene. Ob das Fans sind, die sich einander verloren haben auf dem Weg ins Stadion oder ob das Angehörige sind aus Süddeutschland, aus Berlin oder woher sie kommen. Sie fragen an, ob sie vor den Spielen hier ein Gebet halten dürfen, eine Kerze entzünden dürfen. Und so ist diese Art des Gedenkens auch ein besonderer Bestandteil meiner Arbeit. Seelsorge ist ein großer Bestandteil. Wir begleiten Studenten und Schüler bei ihren Facharbeiten. Ich gebe auch Führungen im Stadion mit dem besonderen Schwerpunkt der Kapelle.

Der evangelische Pfarrer Ernst-Martin Barth ist natürlich auch Fan des FC Schalke 04. / © Oliver Kelch (DR)
Der evangelische Pfarrer Ernst-Martin Barth ist natürlich auch Fan des FC Schalke 04. / © Oliver Kelch (DR)

DOMRADIO.DE: Welche Herausforderungen und Chancen bringt die Arbeit eines Pfarrers in so einer Fußball-Arena?

Ernst-Martin Barth: Das Interessante ist ja, dass Kirche außerhalb der Gemeinden, an einem anderen Ort Kirche ist, an einem Ort, wo viele Menschen sind. Wir haben zu jedem Spiel fast 62.000 Besucher und viele kommen zu Besuch. Vor und nach dem Spiel betreue ich auch Menschen mit Behinderungen mit der Stiftung "Schalke hilft". Gelegentlich werde ich zu Notfall-Einsätzen gerufen, wenn irgendeine ganz prekäre Situation eintritt.

Und als Seelsorger bin ich auch im Gespräch mit der Eliteschule des Deutschen Fußballbundes und der Gesamtschule Berger Feld, aus der sehr viele Talente und spätere Profis entstammen. Es ist sehr schön, so viele Menschen zu treffen, ihnen zu begegnen, auch als Vertreter der Kirche, als Pfarrer, Pastor. Und dafür nehme ich mir auch viel Zeit.

DOMRADIO.DE: Können Sie uns Geschichten und Erfahrungen erzählen zu dieser Kapelle?

Ernst-Martin Barth: Es gibt durchaus Taufen und Trauungen mit "schwarz gelben" Vereinsfarben und "königsblau weißen" Vereinsfarben. Und das geht und das macht Freude. Es ist sehr schön, dass auch rivalisierende Gruppen dann hier zur Gemeinschaft zusammenfinden. Ich erinnere mich an eine Frau, die nur noch kurze Zeit zu leben hatte. Ihr Wunsch war es, nach wochenlangem Schweigen, hier in der Kapelle die Sprache zu finden. Beim Betrachten dieser Altar-Wand konnte sie offen über ihre Krankheit reden. Viele Leidensgeschichten, aber auch viele "Dankgeschichten" habe ich gehört. 

DOMRADIO.DE: 2024 ist Europameisterschaft in Deutschland. Gelsenkirchen wird Austragungsort. Welche Zukunftspläne gibt es in Bezug auf die Kapelle?

Ernst-Martin Barth: Also zunächst hoffe ich, dass die UEFA uns für die Europameisterschaft im nächsten Jahr auch Akkreditierungen gibt und die Möglichkeit, im Stadion bei den vier Spielen, die für Gelsenkirchen vorgesehen sind, dann auch präsent zu sein. Auch die Kapelle wollen wir für die Menschen öffnen, auch für Seelsorge oder Notfälle bereit stehen. Sie ist ja jetzt 22 Jahre alt, genauso wie das Stadion. Und ich bin jetzt zehn Jahre dabei als Pastor. Vielleicht kann man ja auch den Pilgerweg dann so integrieren, dass wir an dieser Stelle auch noch mal Zeit zum Gebet und zum Innehalten mit einplanen.

DOMRADIO.DE: Sie haben den Fußball-Pilgerweg gerade erwähnt. Der führt jetzt direkt an der Arena vorbei. Wie beeinflusst Fußball den Glauben? Wie kann Fußball im Leben helfen? Die Pilger kommen ja auch wegen dem Glauben.

Die Schalker Arena vor einem Fußballspiel / © Oliver Kelch (DR)
Die Schalker Arena vor einem Fußballspiel / © Oliver Kelch (DR)

Ernst-Martin Barth: Fußball ist ja so ein Stück Kitt für des Ruhrgebiet. Es verbindet die Menschen früherer Generationen, die im Bergbau gearbeitet haben, oder Menschen, die aus Schlesien und Ostpreußen hier auch ins Ruhrgebiet gekommen sind, um Arbeit untertage zu finden.

Fußball ist unser Leben. Und es ist ja auch ein immenser Bestandteil unseres Lebens geworden, wenn man mal die örtlichen oder überörtlichen Pressemitteilungen anschaut. Jede größere Zeitung hat einen eigenen, wohl ausgestatteten Sportteil mit Fußball. Es wird immer auch klar, dass Kirche und Fußball eine riesige Kraft haben, die Menschen zu stärken, ihnen Gemeinschaft zu schenken, Zusammenhalt zu geben.

Kirche und Fußball sind da, um für Menschen unterschiedlicher Herkunft und Sprache integrativ zu wirken. Gerade auch für geflüchtete Menschen, die ja hier in großer Zahl auch im Ruhrgebiet und besonders auch in Gelsenkirchen leben. Da ist der Fußball eine gute Form, auch um Jugendliche aufzufangen und sie miteinander auf einen gemeinsamen Weg zu bringen. Beide werben um Frieden und Gewaltfreiheit und sind gerade, wenn ich an die antisemitischen Vorfälle dieser Wochen denke, auch noch mal wie ein Anker, an dem man sich auch halten kann.

DOMRADIO.DE: Sie haben gerade die Jugendlichen erwähnt. Jugendliche waren es ja auch, die sich den Fußball-Pilgerweg überlegt haben. Wie kann dieser Pilgerweg, der jetzt an der Schalker Arena vorbeiführt, die Beziehung zwischen Sport und Religion verbessern, verändern?

Ernst-Martin Barth: Das kann schon vertiefen. Pilgern ist modern geworden und es ist ein sehr schönes Ritual, sich gemeinsam auf den Weg zu machen, ob schweigend oder im Austausch. Es schenkt den Menschen tiefere Erfahrungen, die natürlich das Zusammenleben und Wirken dann auch in Fußballstadien positiv prägen und beeinflussen können. Und wer länger pilgert, der lernt vielleicht auch, widrige Umstände des Lebens anzuschauen und für sich anzunehmen, sich vielleicht auch mit weniger zu begnügen.

Vielleicht tauchen ja auch Fragen auf: Was muss ich ablegen? Was muss ich aufarbeiten beim Pilgern? Wir laufen hinein in so eine Art göttliche Gegenwart und hören in uns hinein, das eigene Leben dann auch vielleicht wieder neu zu ordnen. Und das sind gute Gedanken, die dem Fußball dann auch auch guttun.

Menschen nehmen an einem Marsch zur Verteidigung des ehemaligen Papstes Johannes Paul II. teil / © DarSzach (shutterstock)
Menschen nehmen an einem Marsch zur Verteidigung des ehemaligen Papstes Johannes Paul II. teil / © DarSzach ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Es gibt noch ein besonderes Ereignis, dass aber schon lange zurückliegt: Am 2. Mai 1987 feierte der später heiliggesprochene Papst Johannes Paul II. im Parkstadion Gelsenkirchen vor und mit rund 90.000 Menschen eine Messe. Spielt dieser Besuch hier in Gelsenkirchen heute noch eine Rolle?

Ernst-Martin Barth: Ja, das tut er. Es gibt Bilder oben auf den Galerien in der Arena. Hier unten haben wir allerdings ganz bewusst darauf verzichtet, um diesen Raum frei zu halten. Es wird auch immer noch gelegentlich davon erzählt. Das sind natürlich Generationen, die das vor 30 Jahren erlebt haben. Man ist dankbar, dass Johannes Paul II. hier zu Gast war. Es war schon etwas ganz besonderes für Schalke 04.

Das Interview führte Oliver Kelch.

Quelle:
DR