DOMRADIO.DE: Wirkliche Entscheidungen sollen erst in der zweiten Runde in einem Jahr getroffen werden, das war schon vorher klar. Trotzdem waren jetzt erstmals Laien mit Stimmrecht an einer Synode im Vatikan beteiligt. Das ist wahrscheinlich erst mal ein Schritt, der zu würdigen ist, oder?
Tim Kurzbach (Vorsitzender des Diözesanrates im Erzbistum Köln und Mitglied im "Synodalen Weg"): Absolut. Zumindest die vielen Stimmen, die ich gehört habe, haben ja auch beschrieben, dass das eine gute Atmosphäre geschaffen hat. Für uns ist das immer noch etwas überraschend, dass es als Revolution verstanden wird, wenn man nicht streng hierarchisch nach Kardinälen, Erzbischöfen, Bischöfen, Priestern und so weiter, sondern ganz normal als Menschen an einem runden Tisch sitzt. Aber sei's drum. Wenn das die Erkenntnis in Rom ist, ist das ja schon mal sehr positiv.
DOMRADIO.DE: Schauen wir mal auf ein Thema, das auch das Erzbistum Köln schon seit Jahren bewegt. Die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt im kirchlichen Raum. Im Abschlussdokument schlägt die Synode vor, dass Aufarbeitung in Zukunft nicht mehr strikt von oben nach unten, also durch die Bischöfe, stattfinden soll. Würde das aus Ihrer Sicht auch etwas an der Lage hier bei uns in Köln verändern können?
Kurzbach: Zunächst mal müssen wir da auch sehr selbstkritisch sein. Mich erschüttert das immer noch zutiefst, wenn ich mit Betroffenen spreche und die mir sagen: In der Gemeinde, im Freundeskreis bis hin in die Familie hat uns das keiner geglaubt, wenn wir das beschrieben haben. Das ist auch etwas, wo wir uns selber an den Hut packen müssen und fragen müssen: Was ist in der Vergangenheit auch bei Laien - wenn Sie es so wollen "von unten" - schief gelaufen? Und was darf da bei uns nie wieder so sein?
Deswegen bin ich auch dankbar, dass in den vielen Verbänden und Vereinen und Pfarrgemeinden diese Interventions- und Präventionskonzepte so genau beschrieben worden sind. Am Ende des Tages, glaube ich, wird es nie dieselbe Organisation sein können, die das wirklich nüchtern und neutral aufarbeitet. Wir brauchen neutrale staatliche Untersuchungseinheiten, wie wir es in anderen Bereichen natürlich auch kennen, die dann diesen Fällen nachgehen. Hierin sehe ich die einzige Lösung, um wirklich zur Gerechtigkeit zu kommen.
DOMRADIO.DE: Eines der viel diskutierten Themen bei den Beratungen war auch die Rolle der Frau in der Kirche. Ein Frauendiakonat wurde konkret im Abschlussdokument noch nicht gefordert. Es soll dann bis zur nächsten Vollversammlung in einem Jahr wissenschaftlich geprüft werden, ob so was in der Kirche möglich ist. Das hören wir ja nun nicht zum ersten Mal. Es gibt ja schon seit Jahren solche Prüfungen unter Papst Franziskus. Was machen Sie aus so einer Aussage?
Kurzbach: Erst mal ist es die Dokumentation, dass das nicht nur irgendwie eine deutsche Diskussion ist. Denn das hat man ja gemerkt. Das war ein Thema, das aus vielen Ländern, Regionen und Kontinenten in diese Synode mit hineingetragen wurde. Das ewige Blockade-Argument "Das ist nur so ein deutsches Thema" ist nun widerlegt.
Ganz eindeutig ist es mit ins Schlussdokument gekommen und auch platziert worden. Ich glaube nicht, dass man eine solche Weltsynode beenden kann, ohne diese Frage auch zu beantworten. So wie wir, glaube ich, dem Heiligen Geist nicht gerecht werden und auch schwierig in die Zukunft gehen können, wenn wir die Rolle der Frau in der katholischen Kirche nicht völlig neu bewerten und platzieren, dass es hier keine hierarchischen Unterschiede mehr geben darf.
DOMRADIO.DE: Wenn wir uns die Beratungen der letzten vier Wochen im Größeren angucken, dann gibt es eine große Erkenntnis. Die Kirche weltweit ist sehr unterschiedlich aufgestellt. Deshalb soll die Kirche jetzt nach Wunsch der Synode auf nationaler und kontinentaler Ebene gestärkt werden. Funktioniert denn heute überhaupt eine Kirche mit Regeln, die weltweich gleich sind?
Kurzbach: Wenn es denn jemals überhaupt so war. Ich glaube, das ist eine sehr deutsch geprägte Sichtweise. Ich erinnere mich an viele Gespräche in Rom mit dort Verantwortlichen, die immer mal wieder mit den Augen gerollt haben und immer gesagt haben: "Tedesco, Tedesco", also "Die Deutschen, die Deutschen". Noch mehr Regeln und Verordnungen und Regelungen und so weiter. Ich glaube, das ist in einer südamerikanischen oder afrikanischen Kirche auch jetzt schon völlig anders. Dass man da Glaube und Kirche völlig anders interpretiert. Und dass so viele aus den verschiedenen Strömungen eben das auch als bereichernd empfunden haben, das ist, glaube ich, wirklich die Chance dieser Weltsynode.
Nein, es ist nicht richtig, die Welt immer nur aus deutscher Sicht zu sehen. Da haben wir immer nur schlechte Erfahrungen mit gemacht. Aber auf der andern Seite zu erkennen, wo im Kern doch die Strömungen, die Interessen, der Reformwille gleichermaßen groß ist, hin zu hören, wie andere es auch interpretieren, das ist eine Riesenchance in einer Einheit. Aber ansonsten sind die Menschen so unterschiedlich, wie sie sind.
Lassen Sie mich mal spaßeshalber sagen: Wenn der Ostwestfale in NRW dem Rheinländer schon nicht so richtig traut, wie soll das dann erst weltweit sein? Einheit in Vielfalt. Wenn wir das mit dem Heiligen Geist wirklich ernst meinen, dann ist er eben sehr vielfältig. Die Herausforderung ist eben, den Heiligen Geist nicht einzusperren, sondern im anderen zu erkennen: Wo wirkt er da und was kann ich davon annehmen?
DOMRADIO.DE: Sie waren auch Delegierter beim Synodalen Weg, der aus dem Vatikan ja quasi konstant mit harschen Worten kritisiert worden ist. Dieser Konflikt zwischen Rom und Deutschland dauert auch noch weiter an, weil der Vatikan zum Beispiel die Einrichtung eines Synodalen Rates, also des weiterführenden Dauergremiums, untersagt hat. Das Vorbereitungsgremium dafür tagt kommenden Monat zum ersten Mal. Ändert jetzt diese Synode oder das Ergebnis der Synode etwas an dieser Streitsituation? Das Schlussdokument hat ja durchaus auch einige Punkte aufgegriffen, die auch in Deutschland und beim Synodalen Weg diskutiert worden sind.
Kurzbach: Ich glaube schon, dass die Dynamik dieser Weltsynode auch unsere Debatten und unsere synodale Kultur in Deutschland verändern wird. Nicht so, wie wir den Synodalen Weg gemacht haben. Auch da wird es Veränderungen geben, das ist vollkommen klar. Das Gute wollen wir mitnehmen. Dass der Synodale Weg aus Rom konsequent beschossen worden ist, ist in der Tat eben nicht das Wirken des Heiligen Geistes und das Hinhören aufeinander.
Dass man immer besser werden kann, ist gar keine Frage. Ich sehe in der Tat aus der Weltsynode eine Bestärkung für die Kultur, die wir haben, wo wir auch noch voneinander lernen können. Wir haben ja nicht nur die Auseinandersetzung um den Synodalen Weg.
Wir haben ja auch bei uns im Bistum immer noch die Auseinandersetzung: Wie kommen wir eigentlich überhaupt wieder in einen Dialog miteinander? Und da können wir viel lernen. Nicht nur irgendwas abzuarbeiten, sondern auch diesen Prozess des Hinhörens, des Zuhörens und des Wertschätzens. Nicht nur anhören und beraten lassen und dann doch machen, was man immer schon vorhatte, sondern auch wirklich annehmen, ob das Argument, ob das Charisma des anderen ein stärkeres ist. Diesen Geist werden sie nicht mehr in die Flasche zurückbekommen, egal wer da in Rom die Mauern hochziehen wird. Das wird weltweit und in Deutschland große Konsequenzen haben. Da bin ich sehr ermutigt.
DOMRADIO.DE: Trotzdem kann wirkliche Veränderungen in der Kirche nur durch den Papst kommen. Wir erinnern uns zum Beispiel an die Amazonassynode 2019, die sich ja auch mehrheitlich damals für verheiratete Priester im Amazonasgebiet ausgesprochen hat. Franziskus hat das dann doch nicht umgesetzt. Ist so etwas heute noch zeitgemäß? Können wir wirklich auf konkrete Änderungen nach Ende des synodalen Prozesses hoffen oder befürchten Sie, dass da auch wieder ein Strich drunter gemacht wird?
Kurzbach: Zum einen ist es ja historisch noch gar nicht lange in der Kirchengeschichte so, dass nur der Papst alles entscheiden kann. Die Apostelgeschichte ist voll von Auseinandersetzungen und Abstimmungen in der Gemeinde. Und auch in der Frühzeit des Christentums war es viel mehr ein Dialog und eine Auseinandersetzung. Viele Konzilien beschreiben ja immer das Ringen um den richtigen Weg in der Kirche. Dass nur der Papst alles entscheiden kann, das ist eine Entwicklung des vorvorherigen Jahrhunderts.
Wohin wird uns die Geschichte da führen? Schwierig ist es natürlich immer dann, wenn ein Papst sicherlich sehr alt gewählt wird und sich dann auch Schwierigkeiten ergeben. Wie kann man solche großen Änderungen in seiner Lebenszeit noch umsetzen? Beim Zölibat hat der Papst ja schon gesagt: Das soll mein Nachfolger entscheiden. Was ich aus meiner Sicht gut verstehen kann, dass man sich da nicht alles auflädt.
Ich glaube nur, wenn wir wirklich verstehen wollen, dass der Kern unseres Glaubens Auferstehung ist, dann brauchen wir immer einen Aufbruch. Traditionen sind enorm wichtig, gar keine Frage. Aber auch Traditionen müssen sich weiterentwickeln. Und das ist jetzt der Aufbruch, der geschehen ist. Alleine so eine Veränderung wie das Zweite Vatikanische Konzil und in Deutschland danach die Würzburger Synode sind bis heute noch nicht wirklich umgesetzt worden. Deswegen ist es höchste Zeit, dass wir wieder sagen: Aggiornamento. Wir öffnen die Fenster und Türen und schauen, was in der Gesellschaft passiert.
Wenn wir als Kirche nichts ändern, dann werden wir in dieser Gesellschaft zur marginalen Gruppe. Dabei werden wir als hoffende und glaubende Menschen so zwingend in dieser aus den Fugen geratenen Welt gebraucht. Deswegen müssen wir es schaffen, diesen Heiligen Geist als Bestärkung zu verstehen, als Hoffnung, dass wir es packen können, auch mit dieser Kirche und mit dieser Welt in die Zukunft zu gehen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.