Tausende Häftlinge in der DDR hat Eckart Giebeler (1925-2006) an die "Stasi" verraten. Denn der evangelische Gefängnisseelsorger war 30 Jahre zugleich Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Seit ebenfalls 30 Jahren ist dies bereits bekannt. Doch erst am Sonntag räumte die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) schwere Versäumnisse der früheren Kirchenleitung im Umgang mit Giebeler und bei der Aufarbeitung seiner Vergehen ohne Wenn und Aber ein.
Bei einem Gottesdienst in der Berliner Sankt Marienkirche stellten Bischof Christian Stäblein und weitere Mitglieder der heutigen Kirchenleitung eine dreiseitige "Erklärung" zu dem Fall vor. Dafür hatten frühere politisch Verfolgte, die während ihrer Haft mit Giebeler zu tun hatten, im vergangenen Dezember bei einem Treffen mit Stäblein plädiert, so die EKBO in ihrer Einladung zu dem Gottesdienst. Bei dem damaligen Gespräch seien "langfristige seelische und gesundheitliche Folgen" der Betroffenen zur Sprache gekommen.
Systematischer Bruch mit dem Beicht- und Seelsorgegeheimnis
"Das Ausmaß dieses Vertrauensmissbrauchs ist auch Jahrzehnte nach seinen Taten und nach Giebeler Leugnung zutiefst erschreckend", heißt es in der Erklärung. Er habe das Beicht- und Seelsorgegeheimnis systematisch gebrochen. "Giebeler hat in seiner Tätigkeit Briefe von Inhaftierten ausgehändigt, hat Berichte auf Tonbändern und in Form von Aufzeichnungen mit Mitschriften, etwa von Konventstreffen oder von Gesprächen mit Kirchenleitenden, an seinen Führungsoffizier gegeben", bilanziert die Landeskirche die Denunziationen auch von Amtskollegen und deren Familien. Dabei habe er nicht nur Informationen weitergegeben, sondern auch Bewertungen verfasst.
"Es ist erwiesen, dass Betroffene in mehreren Fällen durch die 'Interventionen' Giebelers zum Teil schwere Konsequenzen erleiden musste." Eine berufliche Sonderstellung trug dazu bei, dass dies möglich wurde. Nach seiner Ordination im Jahr 1950 zum Pfarrer in der damaligen Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, aus der die EKBO hervorging, war er ab 1953 als Gefängnisseelsorger beim DDR-Innenministerium angestellt und von 1966 an sogar der einzige hauptamtliche Gefängnisseelsorger im SED-Staat. Seine geheime Mitarbeit bei der Stasi, die er bis zu seinem Tod bestritt, hatte bereits 1959 begonnen.
Nach Angaben der EKBO ging die damalige Kirchenleitung wegen dieser Nähe zum Regime zwar auf Distanz. Sie lehnte eine kirchliche Berufung auf die Pfarrstelle als Gefängnisseelsorger ab und stellte sogar Giebelers Eignung dafür infrage. Zugleich unterstützte sie aber seine Arbeit "durchgehend finanziell und materiell". Zudem konnte Giebeler dem Konvent der nebenamtlichen Gefängnisseelsorger angehören und ihn zeitweise leiten.
Keine klare Distanzierung der Kirchenleitung
Auch als Giebelers Stasi-Tätigkeit 1992 durch Medien bekannt wurde, konnte sich die Kirchenleitung offiziell nicht zu einer klaren Distanzierung von ihm und damit verbunden zu einem Eingeständnis eigener Versäumnisse durchringen. Das formale Argument, Giebeler sei nicht in einem kirchlichen Dienstverhältnis gewesen und seine Arbeit habe daher nicht kirchlich überprüft werden können, sei aus heutiger Sicht falsch, resümiert die EKBO-Kirchenleitung den Umgang mit dem
Fall: "Auf der Basis der Forschungserkenntnisse, die nun im umfassender Weise vorliegen, wird dies als ein eklatanter Mangel an Verantwortungsübernahme sowie eine Nichtbeachtung der geschädigten Menschen gesehen, die vor 1989 Opfer jenes Vertrauensbruches wurden."
Die heutige Kirchenleitung leitet daraus die Verpflichtung ab, "wach und sensibel allen aufkommenden Versuchen entgegenzuwirken, die diesen Teil der Geschichte systematischen Lügens und Verratens vor 1989 zu verharmlosen oder zu leugnen suchen". Zudem verspricht sie, die Geschichte der Landeskirche in der DDR auch über den Fall Giebeler hinaus weiter aufzuarbeiten.