Die Berliner jüdische Gemeinde von Rabbiner Dovid Roberts bekommt in jüngster Zeit vermehrt Aufmerksamkeit. Wenn auch nicht immer aus angenehmen Gründen: So ist die Synagoge Beth Zion, Kahal Adass Jisroel, in dem Gebäude untergebracht, in dessen Richtung erst Mitte Oktober zwei Brandsätze geschleudert wurden. Zu Schaden kam niemand, das Feuer wurde noch auf dem Gehweg gelöscht.
Steinmeier, Scholz und Schuster erwartet
Ein anderer Anlass ist die zentrale Gedenkveranstaltung zum 85. Jahrestag der NS-Novemberpogrome von 1938. Denn am 9. November wird in dieser Synagoge hoher Besuch erwartet: Neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kommen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, und Militärbundesrabbiner Zsolt Balla.
"Das ist eine Chance für uns zu zeigen, wer wir sind", sagt Roberts der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Er ist seit vier Jahren Rabbiner der orthodoxen Gemeinde mit ihren fast 500 Mitgliedern. Dem gebürtigen Briten ist es wichtig zu sagen, dass in Deutschland neben säkularen auch orthodoxe Jüdinnen und Juden leben und auch sie Teil der Gesellschaft sind.
Ein Monat nach Angriff auf Israel
Bei den Novemberpogromen vom 7. bis 13. November 1938 wurden nach unterschiedlichen Schätzungen im damaligen Reichsgebiet zwischen 400 und 1.300 Menschen ermordet oder in den Suizid getrieben. Über 1.400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume sowie Tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört. Rund 30.000 Juden wurden in Konzentrationslager verschleppt.
Diese Verwüstungen und der Holocaust mit rund sechs Millionen getöteten Jüdinnen und Juden stehen als einzigartige Barbarei für sich. Das Pogrom-Gedenken wird in diesem Jahr aber kaum losgelöst sein vom Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober, der dann gerade einmal einen Monat her sein wird. Viele Menschen in Deutschland, Europa und den USA, die an diesem Tag bei Veranstaltungen oder im Internet an die Nazi-Opfer erinnern, haben heute Familie und Bekannte in Israel, die vom Hamas-Terror betroffen sind.
Schoah-Überlebende fassungslos
Schoah-Überlebende berichten internationalen Medien, wie in diesen Tagen Traumata angesichts der Brutalität der Angriffe und dem Verschleppen von Menschen wach würden. Und verschiedentlich wurde darauf hingewiesen, dass noch nie seit dem Holocaust so viele Jüdinnen und Juden an einem Tag ermordet worden seien - aktuell wird die Zahl der Toten mit mehr als 1.400 angegeben. Hinzu kommen Appelle, dass das "Nie wieder" eine Bedeutung haben müsse.
Herbert Rubinstein aus Düsseldorf machte kürzlich in der "Jüdischen Allgemeinen" eine düstere Prognose: "Es kommt so viel an Fakten und laufenden Informationen zusammen, dass ich als 87-jähriger Schoa-Überlebender, der die damalige Zeit durchlitten und nur durch viele glückliche Umstände überlebt hat, sage: Es droht noch schlimmer zu werden als damals. Für die freie Welt und somit für uns alle."
Neue Welle des Antisemitismus
Der Terror in Israel und Antisemitismus in Deutschland auf Demos oder in Form von auf Hauswänden gesprühten Davidsternen hat Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl von Jüdinnen und Juden. Gleich nach den Hamas-Angriffen wurde verstärkter Schutz für Synagogen und andere jüdische Einrichtungen angekündigt.
"Gott sei Dank sind bei dem Brandanschlag auf unsere Synagoge weder Menschen noch das Gebäude zu Schaden gekommen", sagt Rabbiner Roberts. Jüdinnen und Juden seien jedoch ins "Scheinwerferlicht" geraten und hätten Angst: "Es gibt eine neue Realität." Seine Gemeinde sei dankbar für die Solidarität, die sie in der Nachbarschaft, bei Mahnwachen und aus der Politik erfahren habe. Dankbar auch für den Schutz durch Polizeipräsenz und Absperrungen vor dem Gebäude. Aber: "Wir brauchen mehr."
Er denkt dabei auch an die Kinder der Kita und an die Kippa auf den Köpfen der Männer - "unsere Gemeinde ist sichtbar jüdisch". Auch habe seine Gemeinde Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen. "Das, was jetzt passiert, ist ein erneutes Trauma für sie", betont Roberts.
85 Jahre nach den Nazi-Pogromen sprach der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, kürzlich im "Spiegel" von einer Zäsur. "Ich befürchte, dass uns diese neue Welle des Antisemitismus noch länger beschäftigen wird." Seit dem 7. Oktober habe es mindestens rund 1.800 Straftaten in Deutschland im Kontext des Angriffs auf Israel gegeben - das sei eine enorm hohe Zahl.
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sieht jüdisches Leben seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel massiv bedroht. Der 7. Oktober 2023 sei "das Pogrom unserer Zeit, der blutigste Tag für Jüdinnen und Juden seit der Shoah", schrieb er in der "Welt am Sonntag".