DOMRADIO.DE: Sie haben am Schweigemarsch vom Kölner Dom zur Synagoge in der Roonstraße zusammen mit rund 3.000 Menschen in strömendem Regen teilgenommen. Wie haben Sie die Atmosphäre empfunden?
Msgr. Robert Kleine (Dom- und Stadtdechant in Köln): Ich war sehr beeindruckt von der Anzahl derer, die bei diesem Schweigegang mitgegangen sind. Und ich war beeindruckt, dass es wirklich schweigend geschah. Es war sehr still, was dem Leitwort dieses Ganges entsprach. Wir wollten ja mit den Opfern des Terrorangriffs am 7. Oktober in Israel mittrauern, die zum Teil gar nicht mehr in den augenblicklichen, anderen Demonstrationen vorkommen.
Wir wollten zudem noch einmal zeigen, dass wir an der Seite unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Köln stehen, gerade auch am Vorabend des Gedenktages am 9. November.
DOMRADIO.DE: Gab es Zwischenfälle?
Kleine: Nein, auch das hat mich sehr gefreut. Es gab keine Zwischenfälle, es gab keine Gegendemonstrationen, es gab keine Rufe, als diese 3.000 Menschen vom Roncalliplatz zur Glockengasse neben dem Opernhaus zogen. Dort hat nämlich bis zum Krieg auch eine Synagoge gestanden, die nicht wiederaufgebaut wurde, die aber in der Reichspogromnacht angezündet worden ist.
Dann sind wir weitergezogen bis zur Roonstraße. Die dortige Synagoge ist vor 85 Jahren ebenfalls in Brand gesetzt worden, wurde aber nach dem Krieg wieder aufgebaut und beheimatet jetzt die jüdische Gemeinde.
DOMRADIO.DE: Es gibt jedes Jahr zum Gedenken an die Reichspogromnacht am 9. November 1938 eine große Gedenkveranstaltung in Köln, organisiert von der Synagogengemeinde und der Kölnischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Was ist am 9. November in der Kölner Synagoge an der Roonstraße geplant?
Kleine: Seitdem ich Stadtdechant bin, bin ich dort jedes Jahr eingeladen. Wobei auch jeder dorthin kommen kann, es gibt keine Beschränkung. Man muss natürlich durch die Sicherheitskontrolle, aber es ist eine offene Einladung für jeden Interessierten.
Es kommen Vertreter von Parteien und der Stadtgesellschaft, von Religionen und Konfessionen, aber es sind vor allem auch Schülerinnen und Schüler aus Kölner Schulen da, die sich im Unterricht mit der Reichspogromnacht, dem Nationalsozialismus, dem Holocaust, der Shoah beschäftigt haben. Sie stellen zum Beispiel Zeitzeugen vor und berichten, was damals in Köln geschehen ist. Das ist Erinnerung und Mahnung zugleich.
Es gibt auch Musik und mehrere Ansprachen. Heute wird etwa Oberbürgermeisterin Henriette Reker sprechen sowie der Vorsitzende der christlich-jüdischen Gesellschaft, Jürgen Wilhelm.
Außerdem werde ich zusammen mit dem Stadtsuperintendenten Bernhard Seiger erstmals gemeinsam zu diesem Anlass sprechen. Wir haben eine Rede vorbereitet, sodass auch wir als christliche Kirchen am 85. Jahrestag einen Beitrag leisten. Das ehrt und freut mich natürlich sehr.
DOMRADIO.DE: Was werden Sie da ansprechen?
Kleine: Wir sind als Geistliche, als Theologen angefragt und werden daher keine großen politischen Reden halten, sondern in die Geschichte schauen. Es gab in der Vergangenheit auch in unseren Kirchen Antisemitismus. Wir wollen gemeinsam überlegen, was Kirchen in der heutigen Situation tun können und müssen - in einer Situation, die sich im Moment auf den Straßen zeigt, wo plötzlich Antisemitismus wieder salonfähig zu werden scheint.
DOMRADIO.DE: Der 9. November steht in diesem Jahr auch im Zeichen des Überfalls der Hamas auf Israel am 7. Oktober. Inwieweit beziehen Sie diese politischen Ereignisse mit ein?
Kleine: Man kommt nicht drum herum, auf dieses Massaker und diesen Terrorangriff einzugehen. So, wie wir gestern an der Synagoge vom Rabbiner begrüßt wurden und deutlich gemacht haben, dass wir an der Seite des jüdischen Volkes und auch des Volkes Israel stehen, dass wir das verurteilen und dass man diesem Hass entgegentreten muss. Da darf es kein "Ja aber" geben, sondern man muss diesen Terrorakt als solchen benennen.
Das werden wir heute wieder tun und unsere Solidarität noch einmal mit den Menschen jüdischen Glaubens in unserer Stadt bekunden.
DOMRADIO.DE: Die jüdische Religionsschule und das Königin-Luise-Gymnasium beteiligen sich. Neuntklässler gestalten das Gedenken musikalisch mit. Auch eine Ausstellung zu den Schicksalen von Schülerinnen und Schülern während der Nazizeit und eine Installation zum 7. Oktober ist geplant. Im Anschluss gibt es noch die gemeinsame Zeit für Reflexion und Austausch. Was erhoffen Sie sich davon?
Kleine: Auch das ist eine Tradition, dass das Gedenken in der Synagoge stattfindet und man danach in den Gemeinderaum geht und sich über das Gehörte austauscht. Die bestimmenden Themen werden sein, wie wir als Stadtgesellschaft an einem Strang ziehen können? Wie können wir gemeinsam Hass widerstehen? Wie können wir gemeinsam Hass widerstehen?
Gestern Abend wurden auf die Fassade der Synagoge Bilder der Geiseln der Hamas geworfen, sodass man feststellen muss, dass dieser Terrorakt in Form der Entführungen weiter andauert. Sie dürfen nicht vergessen werden. Bei manchen Demonstrationen kommen die ja gar nicht vor.
Es gibt Länder, in denen die Zettel mit Gesichtern und Namen der Entführten abgerissen werden. Das sind Menschen, die in der Gewalt einer Terrororganisation sind. Wir dürfen sie nicht vergessen. Wir können für sie beten. Es müssen Wege gefunden werden, dass in Verhandlungen dafür gesorgt wird, dass sie befreit und von ihren Lieben in die Arme geschlossen werden können.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.