DOMRADIO.DE: Was bedeutet es Ihnen persönlich, beim Schweigegang dabei zu sein?
Nathanael Liminski (Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien in NRW): Es ist mir persönlich wichtig, ein Zeichen zu setzen. Dieses Format des Schweigegangs, organisiert durch die beiden Kirchen in Köln, finde ich sehr passend. Denn all das, was wir die letzten Tage und Wochen erleben, macht uns auch sprachlos. Diese Ohnmacht zu demonstrieren und damit aber gleichzeitig unsere Solidarität mit Israel und mit den Juden in unserem Land zum Ausdruck zu bringen, empfinde ich als sehr angemessen.
DOMRADIO.DE: Welche Bedeutung können da gerade die Kirchen haben?
Liminski: Ich glaube, die Kirchen haben eine ganz zentrale Rolle, wenn es darum geht, dass Religion Frieden stiftet, dass Religion Zusammenhalt stiftet, dass Religion etwas Positives, Gutes ist. Die Menschen haben gerade eher einen gegenteiligen Eindruck. Sie erleben, dass der Konflikt zwischen Juden und Muslimen verläuft.
Ich glaube, die Kirchen als dritte große abrahamitische Religion können dazu beitragen, dass dieser Konflikt nicht auf den Straßen in unserem Land ausgetragen wird, dass hier in Nordrhein-Westfalen jeder unabhängig von seiner Religion sicher und frei leben kann.
DOMRADIO.DE: Ein Rabbiner sagte kürzlich, er wünsche sich von der Politik ein noch viel klareres Statement, gerade was Demonstrationen von Sympathisanten der Hamas betrifft.
Liminski: Es ist in der Tat so, dass wir absolute Klarheit verlangen können, wenn es um die Verurteilung dieses Terrorangriffs durch die Hamas geht. Der Konflikt im Nahen Osten ist komplex. Dazu kann man unterschiedlicher Meinung sein.
Aber zu den Gräueltaten der Hamas kann es nur eine Meinung geben, eine klare Verurteilung. Und je klarer diese Verurteilung ist, desto offener wird jeder sein, über alle anderen Dinge dann miteinander ins Gespräch zu kommen.
Ich kann verstehen, dass Jüdinnen und Juden 85 Jahre nach der Reichspogromnacht nicht verstehen, warum es so kompliziert sein soll, eine solch menschenverachtende Tat klar zu verurteilen. Wir als Landesregierung tun das. Wir haben es gemeinsam mit den muslimischen Verbänden, was die Verurteilung der Hamas angeht, auch hinbekommen.
Aber man merkt natürlich, dass die Debatte umso schwieriger und unübersichtlicher wird, je länger der Konflikt geht.
DOMRADIO.DE: Haben wir in Deutschland überhaupt begriffen, was das für Israel bedeutet? Für Israel ist das eine ungeheure Katastrophe, ein Zeiteneinschnitt. In Deutschland hat man den Eindruck, dass wir das noch gar nicht realisiert haben.
Liminski: Ich war selber im Juli in Israel. Wenn man vor Ort sieht, wie klein dieses Land ist und gleichzeitig wie es wie ein Hochsicherheitstrakt gesichert ist, dann kann man erahnen, welche Erschütterung durch dieses Land, durch diese Gesellschaft am 7. Oktober durch diesen Terrorangriff gegangen sein muss. Deswegen, glaube ich, müssen wir uns in diese Situation hineinversetzen und auch verstehen, dass ein Volk um seine Existenz fürchtet.
Wir sehen auch an dem Aufruf der Hamas zu Gewalttaten gegen Juden weltweit, dass das ein ideologisch begründeter Krieg ist. Insofern müssen wir dem Menschlichkeit und Solidarität entgegenstellen. Da braucht es Klarheit.
Wir haben das im Ukraine-Konflikt geschafft. Da haben wir Putin unsere Solidarität entgegengestellt. Ich glaube, seine Rechnung ist nicht aufgegangen. Wir müssen das gegenüber den Terroristen der Hamas genauso schaffen, dass ihre Rechnung nicht aufgeht. Das heißt aber auch, dass wir uns in unserer Gesellschaft in Nordrhein-Westfalen unterhaken und miteinander sprechen, im Gespräch bleiben und nicht nur übereinander reden müssen.
DOMRADIO.DE: Sie sind auch für die Medien in NRW zuständig. Wie sehr sorgt Sie, was gerade in den sozialen Medien stattfindet?
Liminski: Es ist so, dass die Hamas auch in den sozialen Netzwerken einen sehr professionellen Krieg führt. Ich mache mir schon Sorgen, was das vor allen Dingen mit unserer jungen Generation macht, die ja teilweise gar nicht auf Medien zurückgreift, in denen gut sortierter Journalismus geboten wird, sondern Bilder, Töne, Eindrücke und Storys konsumiert.
Umso mehr kommt es darauf an, dass wir Antisemitismus auch im Netz bekämpfen. Wir tun das in Nordrhein-Westfalen sehr entschlossen. Mit unserer Initiative "Verfolgen statt nur löschen" tragen wir sehr entscheidend dazu bei, dass wir denen, die hetzen und Hass verbreiten, überall auf die Füße zu treten, sei es auf der Straße oder auch im Netz.
DOMRADIO.DE: Was macht Ihnen in diesen Zeiten Hoffnung?
Liminski: Solche Ereignisse wie in Köln hier, wo Menschen unterschiedlichster Provenienz, unterschiedlichster Herkunft, unterschiedlichen Hintergrunds zusammenkommen und einfach nur ein Zeichen der Menschlichkeit setzen wollen, macht mir Hoffnung.
Ebenfalls macht mir Hoffnung, dass ich im Dialog der Religionen, um den ich mich seit einigen Wochen bemühe, echte Begegnung und da auch häufig große Überraschungen erlebe. Diese Überraschungen der Menschlichkeit müssen wir dem Terror entgegensetzen.
DOMRADIO.DE: Dieser Terror stellt auch viele Fragen an einen persönlich. Wie kann Gott das zulassen? Sie sind fest verwurzelt im Glauben. Wie gehen Sie damit um?
Liminski: Ich sage Ihnen ganz ehrlich, wenn man die Bilder und Geschichten der Opfer erlebt, wo offenkundig ja maximale Gewalt angewandt werden sollte, maximale Unmenschlichkeit erreicht werden soll, dann geht mein Gedanke dahin, was die Gedanken und Gefühle dieser Menschen in den letzten Momenten waren? Und was geht in den Tätern vor?
Natürlich lässt einen das nicht nur zweifeln, sondern auch verzweifeln. Aber jeder muss wissen, was seine Rolle ist, was sein Dasein auf dieser Welt hier begründet und seinen Beitrag dazu leisten, dass wir dem, so pathetisch es klingen mag, die Liebe entgegensetzen.
Das Interview führte Johannes Schröer.