Vor 40 Jahren bekam die Kirche ein neues Gesetzbuch

Jede Reform muss sich auch im Kirchenrecht niederschlagen

Das Kirchenrecht wird häufig belächelt. Den einen gilt es als obskures Sonderrecht, anderen als Gegensatz zur Liebesbotschaft Jesu. Doch der Missbrauchsskandal rückte es wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit und könnte es reformieren.

Autor/in:
Simon Kajan
Gesetzbuch des katholischen Kirchenrechts / © Harald Oppitz (KNA)
Gesetzbuch des katholischen Kirchenrechts / © Harald Oppitz ( KNA )

Bei der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) sprach Papst Johannes XXIII. von einem "Aggiornamento" – einer Aktualisierung. Das wird meist auf die ganze Kirche bezogen. Doch der Konzilspapst sprach konkret vom Kirchenrecht.

Es dauerte dann aber noch über 20 Jahre, bis im Januar 1983 der neue Kodex des Kirchenrechts (Codex Iuris Canonici CIC) herauskam – quasi als letztes Dokument und als Abschluss des Konzils. Vor genau 40 Jahren, am 27. November 1983, trat es in Kraft.

Der neue CIC löste den Vorgänger von 1917 ab und sollte das Kirchenbild des Konzils in konkretes Recht umsetzen. Dazu gehörte das gewandelte Bild des Bischofsamts, das Konzept der Kollegialität unter den Bischöfen, aber vor allem die neue Auffassung von Synoden und Beratungsgremien wie den Räten auf Pfarrei- und Bistumsebene.

Schärfere Gesetze gegen Missbrauch

40 Jahre nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzbuchs für die Katholiken in aller Welt zeichnen sich neue "Aktualisierungen" am Horizont ab, wie sie die kürzlich tagende Weltsynode im Vatikan in Aussicht stellte.

Und das, nachdem Papst Franziskus bereits wie keiner seiner unmittelbaren Vorgänger in das Kirchengesetzbuch eingegriffen hat - vor allem in Sachen Missbrauchsbekämpfung mit schärferen Strafrechts- und Disziplinarnormen.

Interessant ist im Rückblick, dass bereits zu Beginn der Vorbereitungen des Konzils das Recht insbesondere in diesem Punkt thematisiert wurde. So berichtete "Le Monde" unlängst von einer Debatte im Vorfeld des Konzils. Die Salesianer-Universität in Rom hatte einen umfassenden Vorschlag eingebracht, sexuellen Missbrauch in der Kirche zu bekämpfen.

Dabei schlug sie die Exkommunikation, also den Ausschluss aus der kirchlichen Gemeinschaft, als Tatstrafe vor und begründete das mit einer neuen "sozialen Sensibilität", die eine strengere Bestrafung von sexueller Gewalt gegen Minderjährige forderte.

Auch konservative Kardinäle wie Paul Richaud (1887-1968), damals Erzbischof von Bordeaux, betrachteten die Exkommunikation von Missbrauchstätern damals als "sehr zeitgemäße und notwendige" Strafe und forderten gar eine Anhebung des Schutzalters von 16 auf auf 21 Jahre.

Ihre Vorstellungen schlugen sich im CIC von 1983 nicht nieder – was heute der Kirche als Versäumnis vorgehalten werden kann. Denn der Wunsch, die positive Außenwirkung um jeden Preis zu wahren, führte damals zur weiteren Verschleierung des Problems.

Wunsch nach einer Reform

Lange war Kirchenrecht ein Fach der Theologie, das man kritisch beäugte. Die Missbrauchskrise hat diese Sicht grundlegend verändert. Bereits 2001 hatte der Vatikan strenge Normen für sexuelle Missbrauchsfälle erlassen – die freilich nicht konsequent angewandt wurden, wie sich spätestens ab 2010 herausstellte.

Papst Franziskus verschärfte die Normen; aber auch er bleibt noch hinter dem zurück, was manche vor dem Konzil gefordert hatten.

In einem anderen Feld zeichnet sich unterdessen ab, wohin sich das Kirchenrecht weiterentwickeln dürfte. Bei der Weltbischofssynode, deren erste Etappe unlängst stattfand, ist der Wunsch nach einer rechtlichen Reform deutlich geäußert worden.

So forderten die Synodalen, die Prinzipien der Kurienreform von Papst Franziskus auch auf die Weltkirche anzuwenden. Der Vorschlag stellt vor allem die mächtige Stellung der Bischöfe infrage.

Mehr Stimmen für Laien

Mit der Zulassung von Priestern, Ordensleuten und Laien beiderlei Geschlechts als Mitglieder der Bischofssynode lieferte Franziskus bereits eine Steilvorlage. Denn bislang waren nur Bischöfe als stimmberechtigte Mitglieder einer Synode auf weltkirchlicher Ebene zugelassen.

Der Papst setzt damit seine Reformagenda fort, die er bereits mit der neuen Kurienverfassung "Praedicate Evangelium" beschritten hat. Seitdem können auch Laien in höchste Kurienämter berufen werden und sind in den Dikasterien, also den obersten Vatikan-Behörden, stimmberechtigt wie bisher nur Bischöfe.

Kritiker sehen darin eine Verflüssigung der Lehren des letzten Konzils. Dieses stärkte das Bischofsamt und band die Leitungsmacht in der Kirche und die Weihegewalt eng aneinander. Die Auflockerung dieser engen Bindung wird vor allem von Franziskus' Rechtsberater, Kardinal Gianfranco Ghirlanda, vorangetrieben.

Kritiker nennen den Kirchenrechtler deshalb spöttisch einen "Vorkonziliaren". Doch vielleicht kann man ein geflügeltes Wort auch auf die Kirche anwenden: "Nach dem Konzil ist vor dem Konzil".

Zweites Vatikanisches Konzil

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) war die bislang letzte beschlussfassende Versammlung aller Bischöfe der katholischen Weltkirche. Rund 2.800 Konzilsväter debattierten im Petersdom darüber, wie die Kirche ihre Botschaft unter den Bedingungen der modernen Welt und von weltanschaulichem Pluralismus verkünden kann. Weitere Themen waren eine Reform von Liturgie und Priesterausbildung, die Einheit der Christen und die Aussöhnung von Kirche und Judentum.

II. Vatikanisches Konzil vom 11. Oktober 1962 bis zum 8. Dezember 1965 / © N.N. (KNA)
II. Vatikanisches Konzil vom 11. Oktober 1962 bis zum 8. Dezember 1965 / © N.N. ( KNA )
Quelle:
KNA