DOMRADIO.DE: Am Montagmorgen hat Ihre Zeitung "Rzeczpospolita" einen Brief veröffentlicht, den der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, an seinen polnischen Amtskollegen Stanisław Gądecki geschrieben hat. Darin wirft er ihm "unbrüderliches Verhalten" vor. Gądecki hatte demnach in einem Schreiben an den Papst die deutschen Reformbemühungen des Synodalen Weges mit der Politik der Nationalsozialisten verglichen. Bätzing wirft Gądecki nun vor, dass sich Polen und die polnische Kirche von der Demokratie entfernen. Erst einmal zum Hintergrund: Wie sind Sie an diesen Brief gekommen, und warum haben Sie ihn am Montagmorgen abgedruckt?
Michał Szułdrzyński (Stellvertretender Chefredakteur "Rzeczpospolita" und Leiter der Online-Redaktion "rp.pl"): Natürlich kann ich unsere Quellen nicht offenlegen. Wir sind an diesen Brief gekommen und wollten erst einmal sichergehen, dass er seinen Adressaten auch erreicht. Nachdem wir die Information bekommen hatten, dass Erzbischof Gądecki den Brief erhalten und gelesen hat, haben wir den Text dann am Montagmorgen guten Gewissens veröffentlicht.
Es war uns sehr wichtig, diesen Brief der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, da er ein großes Kommunikationsproblem zwischen den Bischofskonferenzen in Polen und Deutschland offenbart. Bischof Bätzing hat darin seine Enttäuschung zum Ausdruck gebracht, dass Erzbischof Gądecki seine Kritik an den deutschen Reformen ohne Absprache mit ihm dem Papst mitgeteilt hatte, während beide gleichzeitig zu den Beratungen der Weltsynode vergangenen Monat in Rom gewesen sind. Es geht also um Kommunikation.
DOMRADIO.DE: Sowohl der Brief von Bätzing an Gądecki, als auch dessen Schreiben an den Papst sind ja sehr deutlich formuliert. Gądecki schreibt, dass die deutsche Kirche ihren Standpunkt zu LGBT-Menschen ebenso unwissenschaftlich begründet, wie im Dritten Reich die Rassenlehre auch unwissenschaftlich begründet worden ist. Bätzing wirft Polens Kirche vor, sich von demokratischen Werten abzuwenden. Das kann man ja schon als gegenseitige Beleidigungen auffassen.
Szułdrzyński: Wenn wir diesen Briefwechsel so interpretieren wollen, kann man da definitiv Beleidigungen herauslesen. Ich würde das aber lieber ein wenig hinterfragen. Was wollen Bätzing und Gądecki wirklich sagen? Ich sehe darin eher ein großes Missverständnis. Diese Aussagen zeigen, dass Bätzing und Gądecki in komplett verschiedenen Welten leben, nicht nur geografisch und sozial. Sie verwenden auch eine komplett andere Sprache, andere Bilder und Ausdrucksweisen, die schnell falsch verstanden werden können.
Nehmen wir die Aussage von Gądecki zur Rassenlehre im Vergleich zur LGBT-Politik der deutschen Bischöfe. In Polen ist die wissenschaftliche Begründung der Rassenlehre ein oft gebrauchtes Argument dafür, dass man nicht allen Aussagen blind vertrauen soll, selbst wenn sie angeblich wissenschaftlich begründet sind. Wenn man diese Aussage aber aus einem deutschen Blickwinkel liest, hat das eine komplett andere Konnotation.
Ich glaube, auf der polnischen Seite fehlt da oftmals ein wenig das Feingefühl für die Perspektive der Deutschen. Gewisse Formulierungen und Argumente werden auch von der deutschen Kirche einfach vollkommen anders aufgenommen als sie vom Absender in Polen intendiert wurden, nämlich als Beleidigung.
Auf der anderen Seite das gleiche: Bischof Bätzing erwähnt in seinem Brief, dass Erzbischof Gądecki der liberalen Demokratie kritisch gegenüberstehe, dass sie nur eine von verschiedenen Staatstheorien ist, dass die Kirche sie akzeptiert, aber nicht unkritisch feiert. Damit bezieht er sich auf eine Aussage vom polnischen Papst Johannes Paul II. in "Centesimus annus" von 1991.
Wenn man das aber mit Blick auf die aktuelle politische Situation in Polen betrachtet mit unserer rechtsnationalen ehemaligen Regierung, die beschuldigt wurde, die Demokratie zu untergraben, dann bekommt das einen komplett anderen Kontext und Tonfall für einen Leser in Polen. Ich glaube also nicht, dass dieser Brief von Bischof Bätzing als Beleidigung oder persönlicher Angriff auf Erzbischof Gądecki gedacht war. Er hat eher seine Sorge ausgedrückt, ob die polnische Kirche noch auf der Seite von Demokratie und Menschenrechten steht. Bei uns kommt das nur völlig anders an. Wenn man über Menschenrechte und Demokratie in Polen und Deutschland redet, hat das einfach einen komplett anderen Kontext.
DOMRADIO.DE: Ist das nur ein Problem zwischen den Bischofskonferenzen oder geht das tiefer?
Szułdrzyński: Was ich sehr interessant finde, ist, dass es früher einen tiefen Graben auf der politischen Ebene zwischen Deutschland und Polen gab. Inzwischen hat sich der Konflikt auch zwischen den beiden Kirchen entwickelt. Wir erleben eine Situation, in der die konservative Rechte in Polen, zu der auch viele Katholiken gehören, ein vollkommen anderes Weltbild haben als viele Christen in westeuropäischen Ländern. Das habe ich auch in meinem Kommentar so formuliert.
Deutschland und Polen trennt inzwischen viel mehr als nur die Oder. Es gibt einen tiefen Graben zwischen der polnischen Rechten und der westlichen Welt. Und da spielt auch die katholische Kirche ein Rolle. Viele Polen betrachten die Kirche als Bollwerk gegen eine linke, neomarxistische Politik aus dem Westen. Sie sehen Polen als das letzte Land, das für die wahren christlichen Werte eintritt.
Wenn die deutsche Kirche nun in einen Dialog eintreten will mit dieser modernen Welt und ihren Werten, dann versteht man aus Perspektive der polnischen Bischöfe nicht mehr so ganz, warum die Kirche in Deutschland nicht genauso diese Rolle des Bollwerks einnimmt. Man befürchtet, dass die Kirche in Deutschland die Katholizität an sich verrät oder aufgibt. Und genau diese Befürchtung steht hinter dem Brief von Erzbischof Gądecki an den Papst. Dann ist es wiederum auch verständlich, warum die Deutsche Bischofskonferenz, Bischof Bätzing, fragt, wer Erzbischof Gądecki das Recht gibt, den Glauben der Kirche in seinem Nachbarland in Frage zu stellen.
DOMRADIO.DE: Also geht es im Brief von Gądecki an den Papst mehr um die Situation in Polen als um die in Deutschland?
Szułdrzyński: Ja. Es geht weniger um Deutschland, sondern darum, was die Reformen in Deutschland und anderen Kirchen Westeuropas repräsentieren. Die Polen würden von einer Kirche erwarten, dass sie gegen diese linksliberalen gesellschaftlichen Entwicklungen ankämpft. Gądecki versteht nun nicht, warum die Kirche in Deutschland das nicht tut, sondern sogar in einen Dialog eintritt.
Der Erzbischof einer der wichtigsten und ältesten Diözesen Polens, Erzbischof Marek Jędraszewski, sagt, die polnische Gesellschaft müsse sich gegen den "Einmarsch der Regenbogen-Ideologie" wehren. Mit dieser Wortwahl stellt er eine Parallele zum Einmarsch der roten Ideologie und später der braunen Ideologie her, gegen die wir als polnisches Volk im 20. Jahrhundert ankämpfen mussten, und sieht die "Regenbogen-Ideologie" damit in einer Linie. Die Kirche sieht er in der Rolle, dagegen anzukämpfen, und man erwartet eben auch das gleiche von der Kirche in Deutschland.
DOMRADIO.DE: Dabei verbindet die Kirchen in Deutschland und Polen ja sehr viel. 1965 gab es einen historischen Briefwechsel, der den Grundstein zur Versöhnung der beiden Völker gelegt hat. In den letzten Jahren scheint das Verhältnis von Konflikten geprägt. Es gab 2021 einen offiziellen Brief der polnischen Bischöfe an die deutschen Amtskollegen, der vor dem Synodalen Weg gewarnt hat. Im Frühjahr gab es einen Konflikt mit den deutschen Laien des ZdK. Was denken Sie, sind nur die Reformen des Synodalen Weges der Grund für diesen Zwist, oder geht der Konflikt tiefer?
Szułdrzyński: Ich befürchte das hat auch mit der Politik in Polen zu tun. Aber nicht in dem Sinne, dass die polnische Kirche einfach der Wegrichtung der rechtskonservativen Regierung in Polen folgt. Sie folgen nicht der Regierung, aber sie entwickeln sich in eine parallele Richtung.
Wenn man dem Narrativ der polnischen Rechten glaubt, dann ist Deutschland an allen Problemen unseres Landes schuld. Es gibt zum Beispiel bis heute immer noch die Forderungen nach neuen Reparationszahlungen für den Zweiten Weltkrieg. Nachdem Jarosław Kaczyński im Oktober mit seiner rechtskonservativen PiS-Partei die Parlamentswahlen verloren hat, wird er da sehr deutlich. Er sagt, Polen müsse um seine Souveränität bangen, da Deutschland die Regeln der EU so verändern will, dass Polen sich nicht mehr selbst regieren darf. Er sieht hinter den liberalen Gewinnern der Wahl auch nur eine Einmischung von Deutschland. Das ist eine sehr aggressive, feindliche Rhetorik gegenüber Deutschland, die bei den polnischen Bürgern sehr gut ankommt.
Die polnische Kirche verwendet jetzt nicht die gleiche Argumentation, aber sie schlängt den gleichen Tonfall an. Da viele Katholiken die Konservativen wählen, gibt es dann auch große Überschneidungen. Viele Gläubige erwarten von ihrer Kirche ähnliches wie von der Politik. Also mussten wir nicht lange warten, bis wir auch aus Reihen der Bischöfe solche Angriffe gegen Deutschland gesehen haben.
Ich halte das für eine traurige Entwicklung. Noch im vergangenen Jahr hat die Polnische Bischofskonferenz einen warnenden Brief geschrieben, dass sich die Regierungen von Deutschland und Polen immer weiter voneinander distanzieren. Unsere beiden Länder verbindet so viel, das sei ein wahrer Schatz. Sie haben es angesprochen, 1965 hatten wir den historischen Briefwechsel der Bischöfe, der den Weg zur Versöhnung der beiden Länder geebnet hat. Nun haben wir im Kontext einer Synode im Vatikan einen Briefwechsel, der das genaue Gegenteil bewirken könnte. Das ist eine gefährliche Entwicklung.
DOMRADIO.DE: Braucht es jetzt wieder solch einen Schritt wie 1965? Sehen Sie einen Weg die beiden Seiten auf kirchlicher Ebene zu versöhnen und wieder zusammen zu führen?
Szułdrzyński: Ich befürchte das wird schwierig. Das hat wiederum auch mit der Politik zu tun. Die Rechte in Polen wird weiterhin Deutschland als Sündenbock für unsere eigenen nationalen Probleme sehen. Das wird sich nicht ändern. 1965 war das eine ganz andere Lage. Damals hatten wir die Kommunisten an der Macht, die selbst eine Bedrohung waren; sowohl für die Kirche in Polen als auch für die Gesellschaften in Polen und Deutschland. Damals hat sich die polnische Kirche gegen die eigene Regierung gestellt. Jetzt stoßen die rechten politischen Kräfte und die Bischofskonferenz in das gleiche Horn und kritisieren gemeinsam Deutschland. Und bei den Gläubigen kommt das gut an.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.