Dormitio-Abt erwartet besondere Weihnachten in Jerusalem

"Auch für die beten, die uns hassen"

Im Heiligen Land herrscht Krieg. Trotzdem wollen die Benediktiner wie jedes Jahr zehntausende Namen in der Weihnachtsnacht nach Bethlehem tragen, erklärt Abt Nikodemus Schnabel. Er ist überaus zuversichtlich, dass dies gelingen wird.

Zugang zu der Geburtsgrotte in der Geburtskirche in Bethlehem / © Corinna Kern (KNA)
Zugang zu der Geburtsgrotte in der Geburtskirche in Bethlehem / © Corinna Kern ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie geht es Ihnen? 

Abt Nikodemus Schnabel (Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem): Mir geht es den Umständen entsprechend gut. In diesen Tagen kann es niemandem richtig gut gehen, aber wir leben sehr bewusst hier. 

Nikodemus Schnabel / © Afif Amireh (KNA)
Nikodemus Schnabel / © Afif Amireh ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie leben im Ausnahmezustand. Seit Freitagnacht ist die Waffenruhe beendet. In Gaza herrscht wieder Gefechtsalarm. Wie ist die Lage in Jerusalem? 

Schnabel: Es ist für mich ein trauriger Tag. Es gab gestern in Jerusalem einen Anschlag mit drei Toten. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich gehofft, dass sich die Waffenruhe schrittweise immer stärker ausdehnt, bis eine andere Lösung gefunden wird als die Sprache der Gewalt. Jetzt sind wir wieder in dem Modus, dass Menschen sterben und um ihr Leben bangen. Das ist kein guter Tag heute. 

DOMRADIO.DE: Die Adventszeit beginnt trotzdem am kommenden Sonntag. Wie sieht die Situation in Jerusalem aus? Christen sind eine Minderheit in dem Land. Außerdem herrscht Krieg. Wie starten Sie in das neue Kirchenjahr? 

Abt Nikodemus Schnabel

"Auf das säkulare Drumherum um Weihnachten verzichten wir."

Schnabel: Das war eine große Diskussion unter den verschiedenen christlichen Kirchen. Gestern kam im Dormitio der "Ecumenical Circle of Friends" zusammen, den wir vor fast 50 Jahren gegründet haben. Ökumene ist gerade ein sehr intensives Thema. Wir Christen verschiedenster Konfessionen sind im ständigen Austausch. 

Das Thema, wie wir Weihnachten feiern, wurde mit dem Ergebnis angesprochen, dass wir Weihnachten liturgisch, gottesdienstlich und vielleicht sogar intensiver denn je feiern. Die Geburt des Friedensfürsten jetzt wegzulassen, wäre eine Verleugnung unseres Hoffnungsgrundes.

Auf der anderen Seite haben wir bewusst "Nein" zur Straßenbeleuchtung und zu Christbaumschmuck gesagt. Auf das säkulare Drumherum um Weihnachten verzichten wir, weil uns nach Feiern wirklich nicht zumute ist. Das Weihnachten dieses Jahr kommt sehr nah an das ursprüngliche Weihnachten ran, das auch eine sehr intensive und intime Erfahrung war. Der Blick geht in die Krippe zum Friedensfürsten. 

DOMRADIO.DE: Jahr für Jahr gibt es bei Ihnen eine besondere Weihnachtsaktion. Sie pilgern in der Heiligen Nacht von der Abtei zu Fuß nach Bethlehem und tragen Namen dorthin. Die Weihnachtsaktion soll trotz des Krieges stattfinden. Läuft die anders ab als in den vorangegangenen Jahren? 

Abt Nikodemus Schnabel

"Ich kann garantieren, dass die Rolle zu Weihnachten auf den Geburtsstern kommen wird."

Schnabel: Wir haben innerlich Plan A und Plan B zurechtgelegt. Plan A wäre, dass wir wie immer nach der Christmette zu Fuß in den frühen Morgenstunden des 25. Dezember nach Bethlehem laufen, die Namensrolle auf dem Geburtsstern ablegen und das Morgenlob sowie für die Menschen beten. 

Falls die Situation mit dem Checkpoint so sein sollte, dass man nicht einfach reinkommt, haben wir beschlossen, dass ich den Lateinischen Patriarchen wahrscheinlich mit der Rolle begleiten werde. Der Status quo garantiert, dass der Lateinische Patriarch an diesem Tag reinkommt.

Ich kann garantieren, dass die Rolle zu Weihnachten auf den Geburtsstern kommen wird. Die Frage ist, ob sie in der Nacht nach zehn Kilometern Fußweg oder mit dem Patriarchen im Auto das Ziel erreicht.

Schriftrolle der Dormitio-Abtei / © Andrea Krogmann (KNA)
Schriftrolle der Dormitio-Abtei / © Andrea Krogmann ( KNA )

DOMRADIO.DE: Erwarten Sie denn einen größeren Zulauf oder mehr Anliegen als in den Vorjahren? Der ganze Nahe Osten steht viel mehr im Fokus als sonst. 

Schnabel: Ja, ich glaube schon. Innerlich merke ich, dass mir die Aktion kostbarer ist als die Jahre davor. Es gibt jedes Jahr eine Routine. Man hat die Menschen, die einem wichtig sind. Es gibt auch Menschen, die jedes Jahr mitmachen.

Jetzt kommen die vielen Ermordeten und Getöteten neu dazu. Die Namen sammeln wir gerade. Das ist für mich eine Form der Trauer, aber auch eine Form des Glaubens. Wir legen quasi auch die Menschen, deren Biografie zerstört wurde, die durch Menschenhand gestorben sind, in die Krippe. Das ist vielleicht eine ganz neue Dimension.

In der Regel haben uns die Leute eher die Namen lebender Menschen gegeben. Ich rufe gerne dazu auf, auch Verstorbene zu benennen. Wir glauben, dass unser Gott ein Gott des Lebens ist. Mit dem biologischen Ende hier auf Erden ist das Leben nicht zu Ende. Deswegen haben wir dieses Jahr vielleicht eine Erweiterung.

DOMRADIO.DE: Schauen wir zum Schluss nach Deutschland. Sie sagten in einem Interview in der "Rheinischen Post", dass Sie sich von den Kirchen in Deutschland weniger Staatsräson, sondern mehr Bergpredigt wünschen. Ist das Ihr Wunsch zu Weihnachten? 

Abt Nikodemus Schnabel

"Wir sollten auch für die beten, die uns verfolgen und für die, die uns hassen."

Schnabel: Das wäre ein Wunsch. Mein Wunsch ist natürlich Frieden und eine Lösung für das Land. Diese Menschen sollen entdecken, wie wunderbar die Anderen sind.

Wir müssen als Kirchenleute nicht den Politikern nacheifern, die alles richtig sagen. Ich möchte betonen, dass da nichts Falsches gesagt wird. Aber die Menschen hungern danach, nicht nur andauernd etwas von Selbstverteidigungsrecht und Selbstbestimmungsrecht zu hören, sondern auch die provokative Botschaft unseres Herrn.

Wir sollten auch für die beten, die uns verfolgen und für die, die uns hassen. Wir sollten auch nochmal in den Mittelpunkt rücken, was Juden, Christen und Muslime gemeinsam glauben. Denn jeder Mensch ist als Abbild Gottes geschaffen und hat damit eine unverlierbare Würde.

Wenn wir über diesen Krieg reden, reden wir nicht über ein Fußballmatch, wo man sein Team anfeuert, sondern wir reden über etwas hoch Tragisches, wo Menschen durch die Hand von anderen Menschen sterben. 

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.

Dormitio-Abtei

Dormitio-Abtei in Jerusalem / © Renardo Schlegelmilch (DR)
Dormitio-Abtei in Jerusalem / © Renardo Schlegelmilch ( DR )

Die deutschsprachige Benediktinerabtei der Dormitio gehört als Blickfang zur Silhouette Jerusalems. Der Bau des Klosters auf dem Zionsberg am Rande der Altstadt begann im März 1906. Es befindet sich dort, wo nach kirchlicher Überlieferung das Letzte Abendmahl Jesu und die Herabkunft des Heiligen Geistes auf die Apostel stattfanden. Abt ist Bernhard Maria Alter.

Quelle:
DR