Zehn Angeklagte stehen im Vatikan vor Gericht: Unter ihnen mit Kardinal Giovanni Angelo Becciu erstmals ein Mann im purpurnen Ornat. In dem vielschichtigen Prozess, in dem es unter anderem um Unterschlagung und Amtsmissbrauch geht, soll noch vor Weihnachten ein Urteil gefällt werden. Begonnen hatten die Gerichtsverhandlungen im Juli 2021.
Zentral ist die Aufklärung eines verlustreichen Geschäfts mit einer Luxusimmobilie im Londoner Stadtteil Chelsea, das vor etwa fünf Jahren getätigt wurde. Der Vatikan soll damit und mit zusammenhängenden Absprachen und Provisionen einen Verlust in dreistelliger Millionenhöhe gemacht haben.
Skeptisch, ob es zu Verurteilungen kommt
Zwischen 2014 und 2018 hatte das vatikanische Staatssekretariat die Immobilie als Anlageobjekt gekauft - etwa 350 Millionen Euro sollen investiert worden sein. Die Anteile sicherte sich der Vatikan scheinbar über Finanzdienstleister, ein Investoren-Mitspracherecht wurde jedoch nicht erworben. Später wurde die Immobilie wieder verkauft - mit hohen Verlusten. Der Schaden für die Vatikanbank soll zwischen 139 Millionen und 189 Millionen Euro liegen.
Zehn Angeklagte stehen seit Juli 2021 in der Mehrzweckhalle der Vatikanischen Museen vor Gericht. Die Vorwürfe reichen von Veruntreuung, über Amtsmissbrauch bis zu Betrug. Bei einer Verurteilung drohen ihnen Geld- und Haftstrafen, insgesamt kämen sie auf rund 73 Jahre. Anwalt Luigi Panella, der den Investmentberater Enrico Crasso vertritt, ist skeptisch, dass es zu Verurteilungen kommt.
Kardinal wie im Plot eines Mafia-Krimis
Crasso war 20 Jahre lang als Finanzberater für das vatikanische Staatssekretariat tätig. Selbst die Inquisitoren im Prozess gegen Galileo Galilei hätten mehr Anhaltspunkte für ihre Anklage gehabt als die vatikanische Staatsanwaltschaft in diesem Prozess, sagte sein Verteidiger Panella vor Gericht und plädierte Ende November auf Freispruch.
Ermittler deckten im Sommer 2019 das verlustreiche Geschäft auf, nachdem die Vatikanbank IOR misstrauisch geworden war. Auch wenn der Immobilien-Deal der prominenteste Vorwurf des Prozesses ist, geht es noch um mehr. Nämlich um einen Kardinal, der in keinem guten Licht dasteht. Was sich im Umfeld von Angelo Becciu abgespielt haben soll, könnte auch der Plot eines Mafia-Krimis sein.
Vereinbarte Dienstleistung: Freilassung einer entführten Nonne
2014 war Becciu Substitut im Staatssekretariat, das entspricht der zweithöchsten Position. Vatikan-Staatsanwalt Alessandro Diddi forderte eine Haftstrafe von sieben Jahren und drei Monaten sowie eine Geldstrafe von rund 10.000 Euro für ihn. Neben dem verlustreichen Immobilien-Deal werden Becciu Unregelmäßigkeiten bei Überweisungen in sein Heimatbistum auf Sardinien vorgeworfen. Auch an Familienangehörige Beccius soll unrechtmäßig Geld geflossen sein.
Zudem soll der Kardinal eine Bekannte als "geologische Expertin" dem Vatikan angetragen haben. Die sardische Managerin Cecilia Marogna sitzt nun ebenfalls auf der Anklagebank. Ihr wird vorgeworfen, einen Teil der 575.000 Euro, die sie zwischen Dezember 2018 und Juli 2019 auf Anweisung von Kardinal Becciu vom Staatssekretariat erhielt, für persönliche Ausgaben verwendet zu haben, statt für die vorgesehene und vereinbarte Dienstleistung: Nämlich die Freilassung einer von Dschihadisten in Mali entführten Nonne zu ermöglichen. Die Frau kam im Oktober 2021 tatsächlich frei. Auf welchem Wege die Freilassung zustande kam, ist unklar.
Aufklärung bleibt fraglich
Marognas Anwälte fordern Freispruch, und auch Becciu weist alle Anklagepunkte von sich und plädiert auf unschuldig. Vor Gericht sagte er: "Ich fühle mich als Mensch und als Priester verunstaltet." Besonders brisant: Eine Verwandte Beccius hatte ein Telefonat, das der Kardinal kurz vor Prozessbeginn mit dem Papst führte, ohne dessen Wissen aufgezeichnet. Darin bittet Becciu Franziskus, einzuräumen, der Papst selbst habe die Zahlungen an die sardische Managerin beauftragt. Die Aufnahmen wurden im Gerichtssaal vorgespielt.
In diesen Tagen soll der Prozess im Vatikan nun zu Ende gehen. Fraglich ist, ob die verworrenen Vorwürfe restlos aufgeklärt werden können. Konsequenzen hat es jedenfalls schon gegeben: 2020 hat Papst Franziskus Kardinal Becciu aus seinen Ämtern entlassen. Dieser hat auf seine Kardinalsrechte verzichtet. Außerdem ist das Staatssekretariat auf Anordnung von Franziskus nun nicht mehr für die Geldanlagen des Vatikans zuständig. Um die Verwaltung von Vermögen und Immobilien der Spitzenbehörde kümmert sich die vatikanische Güterverwaltung Apsa.