Neben klassischem Antisemitismus, der Juden als besonders einflussreich und mächtig betrachtet, seien auch weniger verfestigte antisemitische Vorbehalte und Stereotype in der Bevölkerung - besonders aber unter Muslimen - anzutreffen, heißt es in der am Dienstag veröffentlichten Teilstudie des Religionsmonitors 2023 der Stiftung. Aber auch eine Feindschaft gegenüber Muslimen trete deutlich zutage. Politik und Gesellschaft seien daher gefordert, beiden Formen der Menschenfeindlichkeit zu begegnen.
Verfestigter Antisemitismus unter Fünftel der Deutschen
Das Institut für angewandte Sozialwissenschaften in Bonn hatte die Studie im Auftrag der Stiftung noch vor den Verschärfungen des Nahost-Konflikts gestartet. Danach stimmten 21 Prozent der Deutschen der Aussage zu "Juden haben zu viel Einfluss in unserem Land". Der Satz spiegelt für die Studienautoren einen klassisch-verfestigten Antisemitismus.
43 Prozent bejahten die Aussage: "Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip auch nichts anderes als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben." Bei diesem NS-Vergleich artikuliert sich laut Untersuchung ein noch ungefestigter, israelbezogener antisemitischer Vorbehalt. Europaweit schwanke die Zustimmung zum klassischen Antisemitismus zwischen 15 Prozent (Niederlande) und 29 Prozent (Polen).
Israelbezogener Antisemitismus bei FDP-Wählern hoch
Klassischer und israelbezogener Antisemitismus ist den Angaben zufolge besonders unter AfD-Anhängern groß (40 und 49 Prozent). Der israelbezogene Antisemitismus sei aber auch unter Mitgliedern anderer Parteien ähnlich hoch und liege bei der FDP sogar bei 54 Prozent. Der niedrigste Wert (32 Prozent) findet sich bei den Grünen.
In der muslimischen Bevölkerung verzeichnet der klassische Antisemitismus bei 37 Prozent und der israelbezogene 68 Prozent Zustimmung. Hier zeige sich, dass Muslime mit familiären Wurzeln in der Türkei sowie dem Nahen und Mittleren Osten die Deutung des Nahostkonflikts ihrer Herkunftsländer teilten. Bei hochreligiösen Muslimen seien beide Formen des Antisemitismus besonders ausgeprägt.
Hochreligiöse Christen deutlich weniger antisemitisch
Dagegen beobachten die Forscher bei hochreligiösen Christen deutlich weniger antisemitische Haltungen. "Vermutlich kommt hier zum Tragen, dass sich die Kirchen in Deutschland nach dem Holocaust mit ihrer jahrhundertelangen Geschichte der Judenfeindschaft und ihrer Rolle bei der Judenverfolgung kritisch auseinandergesetzt haben", heißt es
in der Studie.
Antisemitische Haltungen seien bei Einwanderern der ersten Generation aber deutlich verbreiteter als bei ihren in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kindern. "Mit der Sozialisation in Deutschland wächst die Sensibilität für Antisemitismus - wenn auch langsam", so die Stiftung.
Religionsmonitor belegt auch Muslimfeindlichkeit
Die im Rahmen des Religionsmonitors erfassten Daten belegen aber auch eine inzwischen über zehn Jahre beobachtete konstante Muslimfeindlichkeit in der deutschen Bevölkerung. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung betrachte den Islam als bedrohlich, während andere Religionen als weit weniger negativ angesehen würden.
Laut der Stiftung ist es wichtig, Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen klar zu benennen - auch um den Extremisten nicht in die Hände zu spielen, die an bestehende Ressentiments anknüpften. Dabei seien antisemitische Haltungen unter Muslimen offen anzusprechen.
Persönliche interreligiöse Begegenungen seien wichtig
Eine islamische Theologie an deutschen Universitäten könne dazu beitragen, die antisemitischen Lesarten in den Herkunftsländern hierzulande zurückzudrängen. Wichtig sei auch, persönliche interreligiöse Begegnungen zu fördern wie das Dialog-Projekt "Schalom Aleikum" oder das Begegnungsprojekt "mee2respect". Die Daten zu Antisemitismus wurden den Angaben zufolge erstmals erhoben. Unter den mehr als 10.000 Befragten waren 4.363 aus Deutschland.