DOMRADIO.DE: Sie sind seit fast zwei Jahren als Augenarzt an verschiedenen Kliniken in der Demokratischen Republik Kongo im Einsatz. Treten dort oder im globalen Süden allgemein häufiger Augenerkrankungen auf wie z. B. der Graue Star als beispielsweise in Europa?
Dr. Rainald Duerksen (Augenarzt der Christoffel-Blindenmission (CBM) in Paraguay und der Demokratischen Republik Kongo): Ich bin als Augenarzt längere Zeit auch in Südamerika tätig gewesen. Wir sehen, dass Augenerkrankungen im globalen Süden häufiger zur Blindheit führen. Das heißt aber nicht, dass sie hier häufiger vorkommen als in anderen Teilen der Welt. In Europa beispielsweise gehen die Menschen zum Augenarzt, sobald sie eine Sehverschlechterung feststellen.
Dann kann es sein, dass der Augenarzt den Grauen Star diagnostiziert und eine Operation notwendig ist. In den Ländern des globalen Südens haben die Menschen nicht die Möglichkeit dazu. Sie wissen nicht, wo der nächste Augenarzt ist und dass diese Krankheit operiert werden kann.
Die Menschen nehmen ihr Schicksal einfach an und leben mit ihren Familien zusammen. Sie akzeptieren, dass sie blind werden und dauerhaft auf Hilfe angewiesen sein werden. Sie wissen nicht, dass eine Operation eine Lösung sein könnte.
DOMRADIO.DE: Welche Faktoren begünstigen Augenerkrankungen wie den Grauen Star?
Duerksen: Der Graue Star ist in erster Linie eine altersbedingte Erscheinung. In einigen Fällen kann die Erkrankung auch genetische Ursachen haben. Weitere Faktoren können auch Unterernährung oder Erkrankungen wie Diabetes sein. Als weitere Ursache ist auch der Gebrauch von Kortison zu nennen.
DOMRADIO.DE: Wie äußert sich der Graue Star?
Duerksen: Wir haben von Geburt an eine kleine durchsichtige Linse im Auge. Diese wird im Alter trübe. In einer Operation muss dann die trübe Linse entfernt und eine künstliche Linse eingesetzt werden, damit die Person wieder gut sehen kann. Wird die trübe Linse nicht entfernt, führt die Eintrübung mit der Zeit zur vollständigen Erblindung.
DOMRADIO.DE: Auch der zehnjährigen Josué aus der Demokratischen Republik Kongo muss am Grauen Star operiert werden. Wie kommt es, dass auch Kinder davon betroffen sind?
Duerksen: Die Erkrankung tritt bei Kindern selten auf. Wenn sie jedoch bei Kindern auftritt, handelt es sich meist um eine genetische Form. Das bedeutet, dass die Mutter oder der Vater oder deren Geschwister als Kind ebenfalls Grauen Star hatten. Treten zum Beispiel Erkrankungen wie Röteln in der Schwangerschaft auf, kann dies auch eine Ursache dafür sein, dass ein Kind bereits mit Grauem Star geboren wird.
Diese Erkrankung hat große Auswirkungen auf das betroffene Kind und seine Familie, denn das Kind wächst mit einer fortschreitenden Erblindung auf und es hat dadurch in den Ländern des globalen Südens nur wenige Chancen auf eine soziale Integration.
Wir von der Christoffel-Blindenmission operieren in unseren Projektländern Tausende Kinder am Grauen Star, allein 2022 waren es mehr als 7.000 Kinder, und wir ermöglichen ihnen somit eine gesellschaftliche Teilhabe.
DOMRADIO.DE: In welchem Alter sollte ein Kind spätestens operiert werden, damit die OP erfolgversprechend ist?
Duerksen: Die Operation sollte möglichst früh durchgeführt werden, damit das Gehirn früh lernt, durch das Auge zu sehen. Empfehlenswert ist eine OP schon in den ersten Monaten vor Vollendung des ersten Lebensjahres.
Das Licht, das ins Auge einfällt, wird über die Netzhaut und den Sehnerv zum Gehirn transportiert und zum Bild verarbeitet. Das Sehen entwickelt sich im Laufe des Lebens und somit auch die Kooperation zwischen Auge und Gehirn. Je älter das Kind ist, desto schwieriger ist es, diese Verbindung zwischen Auge und Gehirn herzustellen.
Die Kinder sollten circa bis zum zwölften Lebensjahr operiert werden. Wir operieren auch ältere Kinder, aber dann geht es nicht mehr darum, die vollständige Sehkraft zurückzugewinnen, sondern das Kind oder den Jugendlichen vor der völligen Erblindung zu bewahren.
DOMRADIO.DE: Sie haben bereits erwähnt, dass Kinder und Erwachsene durch eine Erblindung im globalen Süden weitestgehend vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind. Gibt es Blindenschulen oder andere Einrichtungen in der Demokratischen Republik Kongo, die blinde Menschen fördern?
Duerksen: Es gibt dort Blindenschulen, aber ich als Chirurg stehe mit diesen Einrichtungen nicht im persönlichen Kontakt. Die CBM hat ein Rehabilitationsprogramm für Menschen mit Seheinschränkung. Dort gibt es eine Sehschule und es werden je nach Bedarf Lupen oder Brillen an die Betroffenen ausgehändigt.
In den Blindenschulen lernen die Kinder dann blindenspezifische Dinge wie z.B. die Brailleschrift. Die Demokratische Republik Kongo hat 100 Millionen Einwohner und die Hauptstadt Kinshasa hat ungefähr 15 Millionen Einwohner. Viele blinde Menschen im Kongo haben gar nicht die Chance, die wenigen Blindenschulen oder andere unterstützende Einrichtungen zu besuchen, weil sie weit davon entfernt wohnen.
Die meisten Menschen halten sich in der Nähe ihres Dorfes auf oder in den Bereichen, die sie fußläufig von dort aus erreichen können. Sie haben nicht das Geld, um sich beispielsweise ein Motorrad zu mieten, um damit größere Strecken zurücklegen zu können.
Aus diesem Grund haben die meisten Kongolesinnen und Kongolesen, vor allem diejenigen im ländlichen Gebiet, keinen Zugang zur Augenheilkunde. Wenn es Augenärzte und Augenärztinnen im Land gibt, arbeiten diese in den großen Städten wie Kinshasa oder Goma.
DOMRADIO.DE: Wie kommen die Patientinnen und Patienten denn dann zu Ihnen in die Klinik und erfahren von den für sie kostenlosen OP-Möglichkeiten der CBM?
Duerksen: Unser Ziel ist es, die Augenheilkunde an die Menschen heranzutragen und diese für sie zugänglich zu machen. Da haben wir noch viel Arbeit vor uns. In der Hauptstadt ist es etwas einfacher als auf dem Land, weil wir hier eine Kooperation mit der katholischen Kirche und Organisationen wie z.B. der Caritas haben.
Diese Organisationen sind in der ganzen Stadt verteilt und es gibt dort Freiwillige, die Hausbesuche durchführen und nach Kindern mit Sehproblemen fragen. Diese Kinder werden dann von technisch ausgebildetem Personal getestet, um festzustellen, welche Seheinschränkung vorliegt.
Wird festgestellt, dass ein Kind zur weiteren Behandlung in eine Augenklinik gehen sollte, werden alle logistischen Fragen des Transports geklärt und auch, dass ein Elternteil als Begleitung mitfahren kann. Ist das Kind in der Augenklinik angekommen, wird es von uns Augenärzten untersucht und nach Möglichkeit operiert.
Nach der Operation stehen dann eine Reihe von weiteren Untersuchungen an und das Kind muss auch wieder in die Gesellschaft integriert werden. Gegebenenfalls benötigt es auch eine Brille. Dieser Prozess der Reintegration kann bis zu fünf Jahre dauern und die Betreuung nach der Operation wäre ohne unsere Partnerorganisationen vor Ort nicht möglich.
Wir haben auch Ärzteteams, die nun regelmäßig einmal im Monat in andere kongolesische Städte fahren, um noch mehr Menschen zu erreichen. Die Menschen sollen erfahren, welche Behandlungsmöglichkeiten es für ihre Augenerkrankung gibt. Viele von ihnen können in einer Klinik operiert werden, andere wiederum können beispielsweise Tropfen bekommen, damit ihre Symptome gelindert werden.
In der Demokratischen Republik Kongo fehlt es an den einfachsten Mitteln wie zum Beispiel Brillen. Oft kann den Menschen schon damit geholfen werden, dass sie eine Brille bekommen, um ihr Sehvermögen zu verbessern.
DOMRADIO.DE: Welche christlichen Werte sind Ihnen besonders wichtig und welche Rolle spielen diese in Ihrer täglichen Arbeit?
Duerksen: Um diese Frage beantworten zu können, möchte ich etwas zu meiner Person erzählen. Meine Frau und ich sind in Paraguay aufgewachsen und haben deutsche Wurzeln. Die Großeltern sind vor dem Zweiten Weltkrieg aus der Ukraine nach Paraguay vor den Russen geflohen.
Wir sind mit der deutschen Sprache aufgewachsen und haben auch eine deutsche Schule besucht. Meine Frau und ich gehören einer christlichen Gemeinschaft an. Ich habe zuerst in einer Privatpraxis als Augenarzt gearbeitet und habe dann mit Hilfe der CBM in einem nationalen Programm gearbeitet, wo wir mehrere Krankenhäuser eröffnet haben, um den Menschen in Paraguay adäquat helfen zu können.
Vor einigen Jahren fragte mich die CBM, ob ich in der Demokratischen Republik Kongo ein ähnliches Programm aufbauen könnte. Da stellte sich für mich und meine Frau die Frage, ob wir unsere vertraute Umgebung zurücklassen und dorthin auswandern möchten. Das war keine leichte Entscheidung. Für uns bedeutet das aber, dem Beispiel von Jesus Christus nachzufolgen.
Wir haben unsere Komfortzone und unseren Wohlstand in Paraguay verlassen, um dorthin zu gehen, wo die Not am größten ist. Unsere Kinder und Enkelkinder sind in Paraguay geblieben. Ohne unsere christlichen Werte hätten wir diesen Schritt vermutlich nicht getan.
Ich glaube, dass Gott uns mit Hilfe von Organisationen wie der CBM in den Kongo geführt hat und ich fühle mich dort am richtigen Ort. Diese Arbeit ist nicht immer leicht, weil es im Land viel zu wenige Augenärzte und Augenärztinnen gibt. Wir wissen, dass wir dort nicht allen Menschen werden helfen können.
Wir Christen sind dazu aufgefordert, unser Kreuz zu nehmen und den Weg zu gehen, den Gott für uns bereitet hat. Wir tun dies gerne und lassen uns von Gott auch immer wieder überraschen, um zu sehen, wie gut er es mit uns meint. Wir müssen manchmal im Leben unsere Komfortzone verlassen und unsere von Gott geschenkten Gaben großzügig an andere Menschen weitergeben.
DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich für Ihre Arbeit vor Ort für die Zukunft?
Duerksen: Im Kongo fehlt es uns am meisten an personeller und materieller Unterstützung. Wir würden gern ein Krankenhaus bauen, um mehr Operationen durchführen zu können. In diesem Krankenhaus würden wir auch gern mehr lokale Augenärzte und Augenärztinnen ausbilden.
Es ist keine Lösung, dass die kongolesischen Augenärzte und Augenärztinnen im Ausland ausgebildet werden. Bisher haben wir drei oder vier lokale Kräfte, die in der Ausbildung sind, aber es sollen Jahr für Jahr mehr werden.
Unser langfristiges Ziel ist es, mehrere Krankenhäuser strategisch dort zu verteilen, wo es bisher keine medizinische Versorgung gibt.
Das Interview führte Nina Odenius.