Blind im Kino - Wenn das Hören das Sehen übernimmt

Ein Leben zwischen Hell und Dunkel

Am Samstag ist Internationaler Tag der Menschen mit Behinderung. Die 63-Jährige Barbara Fickert ist blind. Lange fiel es ihr schwer, mit dieser Einschränkung zu leben. Doch sie fand Ihre Rettung. Es war ausgerechnet das Kino.

Autor/in:
Beate Laurenti
Arbeit und Inklusion (Symbolbild) / © Andi Weiland (Gesellschaftsbilder.de)
Arbeit und Inklusion (Symbolbild) / © Andi Weiland ( )

Wenn sie spricht, versucht Barbara Fickert den Blick auf die Augen ihres Gegenübers zu richten. Sehen kann die 63-Jährige nicht mehr, nur noch hell und dunkel unterscheiden. An diesem Abend ist sie im Berliner Kant-Kino verabredet. Die Stufen zum Saal erfühlt die schlanke Frau mit dem Langstock. An ihrem Platz angekommen, lässt sie sich in einen samtbezogenen Sessel fallen. Aus ihrer Tasche kramt sie Handy und Kopfhörer - ihre Augen für diesen Abend.

Barbara Fickert ist Bloggerin und Initiatorin von Kinoblindgänger. Sie arbeitet zudem redaktionell bei Audiodeskription bei Filmproduktionen mit.  / © Andi Weiland (Gesellschaftsbilder.de)
Barbara Fickert ist Bloggerin und Initiatorin von Kinoblindgänger. Sie arbeitet zudem redaktionell bei Audiodeskription bei Filmproduktionen mit. / © Andi Weiland ( )

In Deutschland lebten dem Bundesamt für Statistik zufolge 2021 rund 7,8 Millionen Menschen mit einer schweren Behinderung. Rund 312.000 von ihnen sind blind oder sehbehindert. Wer sich nicht registrieren lässt, wird in der Statistik allerdings nicht erfasst. Daher geht der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) davon aus, dass wesentlich mehr Menschen nicht sehen können. Offizielle Zählungen gibt es nicht.

"Ein Blick in fremde Welten"

Geboren wurde Fickert mit einem Sehrest von sieben Prozent. "Wenn eine Person direkt vor mir stand, konnte ich erkennen, ob jemand Brille oder Bart trägt." Nach der Grundschule für Menschen mit Sehbehinderung schafft sie den Sprung aufs Gymnasium. Dabei halfen ihr eine Lupen-Brille und ihre Mutter, die sie in dieser Zeit besonders fördert. Nach dem Abitur studiert Fickert einige Jahre Jura, scheitert jedoch am Staatsexamen.

Sie ist leidenschaftliche Kinogängerin. "Kino ist ein Blick in fremde Welten", schwärmt sie. Dann hält die Cineastin inne und lauscht. Der Film geht los, ein Drama unter der Regie von Karoline Herfurth. Auf ihrem Smartphone startet Fickert eine App mit einer Audiodeskription. Sobald deutsche Produktionen Fördergelder erhalten, müssen sie seit 2014 solche barrierefreien Fassungen mitliefern.

Sichtfeld wurde stetig kleiner

Über das Handy-Mikrofon erkennt die App, wann der Film beginnt. Dann ist eine Sprecherin zu hören. Sie beschreibt all das, was nur zu sehen ist: "Karla blickt auf den Boden, sie wirkt bedrückt". Das Problem: Viele Filme verfügten zwar über solche Beschreibungen für Blinde, diese werden allerdings - wegen der zusätzlichen Kosten - nicht in der App bereitgestellt. Damit verschwänden die barrierefreien Fassungen "im Nirwana", kritisiert Fickert.

Als junge Frau arbeitete sie als Logistikerin im Kurierdienst ihres Mannes. "Telefonieren, organisieren, das ist meine Welt", sagt sie. Nach der Wende wird der Betrieb eingestellt - und Fickerts Sicht immer schlechter. Erst sei sie zunehmend lichtempfindlich, dann das Sichtfeld stetig kleiner geworden. Auf Wenig folgte Nichts. "Was also mit dem Leben anfangen?", habe sie sich gefragt. "Ich bin in ein Loch gefallen."

Lauter Verkehr, leise Warnsignale

Sie meldet sich für das Training mit dem weißen Langstock an, will wieder mehr Mobilität. Etwa neun Monate dauerte die Schulung. Trotzdem fühlt sie sich auf Wegen, die sie nicht kennt, bis heute unsicher. Zu laut sei der Verkehr, zu leise das Warnsignal für Blinde an Ampeln. Zweispurige Kreuzungen möchte sie alleine nicht überqueren. "Und diese Scheiß-E-Roller - die liegen überall rum, eine richtige Plage." Sie entschuldigt sich für ihre Wortwahl.

Guter Ausdruck und wohl bedachte Sätze sind der Bloggerin wichtig: Seit 2015 schreibt sie als "Blindgängerin" im Internet über Kino und Film. Möglich ist das über Sprachausgaben für Computer. "Damit kann ich recherchieren und Texte schreiben", erzählt sie.

"Das Normalste der Welt"

Mit ihrem Mann hat sie die gemeinnützige Organisation "Kinoblindgänger" ins Leben gerufen. Dadurch sollen auch
internationale Filme für Menschen mit Seh- und Höreinschränkung zugänglich gemacht werden, denn verpflichtet ist die Filmbranche dazu nicht. Die Hörfassungen werden von einem Team mit sehenden und blinden Personen erstellt und dann im Tonstudio eingesprochen. Finanziert wird die Arbeit ausschließlich über Spenden.

"Für mich ist es das Normalste der Welt, dass ein blinder Mensch ins Kino geht und dabei auch noch Spaß haben kann", schreibt Fickert in ihrem Blog. Im vergangenen Jahr wurde sie in den Freundeskreis der Deutschen Filmakademie aufgenommen.

Quelle:
KNA