Dies ist ein Auszug aus der aktuellen Folge des Podcasts "Himmelklar". Das komplette Gespräch zum Anhören gibt es hier:
Himmelklar: Sie sind Jude in einer urkatholischen Stadt. Sie engagieren sich im Kölner Karneval, was ja auch eigentlich etwas rein Katholisches ist. Wie ist es denn in diesem katholischen Kontext jüdisches Leben und jüdischen Glauben zu haben?
Aaron Knappstein (Präsident des Karnevalsvereins "Kölsche Kippa Köpp e.V. vun 2017"): Da muss ich Ihnen ja erst mal direkt widersprechen. Ich bin schon öfter gefragt worden, wie das denn ist, als Jude ein katholisches Fest oder eines, das aus dem Katholischen kommt, zu feiern. Und das sehe ich gar nicht so. Das ist eines der vielen Dinge, die die katholische Kirche – sehr intelligent übrigens – übernommen und sich einverleibt hat. Das ist ein Fest, das es auch vorher schon gab. Von daher sehe ich es jetzt nicht als ein urkatholisches Fest. Ich weiß aber natürlich, was Sie meinen.
Solange die Menschen offen und klar miteinander sind, ist es kein Problem, in einer so katholischen Stadt wie Köln als Jude zu leben und auch als Jude Karneval zu feiern. Ich denke, ganz viele Menschen, die uns zuhören und uns kennengelernt haben als jüdische Karnevalisten, freuen sich, dass wir gemeinsam feiern können – und das ist sehr gut möglich.
Himmelklar: Sie haben vor Jahren mal gesagt, Sie leben eigentlich sehr gerne in Deutschland und in Köln. Es gab nur einen Moment nach der Wiedervereinigung, wo Sie sich die Frage gestellt haben, ob Sie in diesem Land leben können. Das waren die ausländerfeindlichen Übergriffe der frühen 1990er Jahre. Nun leben wir ja seit dem 7. Oktober wieder in einer ganz anderen Zeit. Sie leben gerne in Deutschland. Würden Sie das heute noch genauso sagen?
Knappstein: Wissen Sie, das ist ein Gefühl. Wenn ich mich an die Zeit nach der Wiedervereinigung erinnere, als diese Anschläge stattfanden, ging es gar nicht primär um Antisemitismus. Die Anschläge in Mölln, in Solingen und so weiter. Da war dieses Gefühl sehr stark in mir: Kann ich hier leben, wenn sich das so weiterentwickelt, wenn ich nicht sicher sein kann? Ich bin kein Held. Dann macht man sich Gedanken: Ist das meine Stadt und mein Land? Diese Gefühle können auch immer wieder hochkommen.
Ich glaube, da geht es vielen Jüdinnen und Juden so, dass sie sich dann überlegen: Ist es jetzt sicher für mich, für meine Familie, für meine Kinder? Das kann manchmal nur ein Gefühl sein und gar nicht so rational nachzuvollziehen sein.
Das kommt immer wieder mal hoch. Im Großen und Ganzen möchte ich aber hier bleiben. Ich bin Bürger dieser Stadt und ich möchte auch dafür kämpfen, dass es möglich ist, dass ich weiter hier leben kann.
Himmelklar: Hat sich denn an Ihrer Gefühlslage seit dem 7. Oktober etwas verändert?
Knappstein: Ja und nein. Wenn man zum Beispiel fragt, wie Jüdinnen und Juden jetzt Karneval feiern können, dann sage ich immer: Wir sind gewohnt, diese negativen Dinge mit den positiven zusammenzubringen. Das soll jetzt gar nicht so platt klingen, aber es ist einfach so. Ob das Antisemitismus ist, ob das die Erinnerung an die Shoah ist oder was auch immer, das sind Sachen, die wir gewohnt sind, die bringen wir zusammen. Das ist unser Leben. Punkt.
Daher hat sich seit dem 7. Oktober, was das angeht, nichts geändert. Was sich geändert hat, ist natürlich mein Engagement gegen den Antisemitismus in der Stadtgesellschaft zum Beispiel. Ich habe sehr viel eingefordert von der Stadtgesellschaft und vieles hat mich auch enttäuscht und enttäuscht mich immer noch, wie die Stadtgesellschaft und bestimmte Gruppen der Stadtgesellschaft auf den 7. Oktober reagiert haben. Das sind Sachen, die haben mich schon wacher gemacht, vielleicht auch politischer. Und das sorgt dafür, dass ich mir mehr Gedanken darüber mache, wie zu Hause ich hier bin.
Himmelklar: Was heißt das denn konkret für Ihren Alltag? Machen Sie sich Gedanken, wenn Sie auf die Straße oder zu bestimmten Veranstaltungen gehen? Denken Sie darüber nach, ob man Sie optisch als Juden identifizieren kann?
Knappstein: Ich habe keine Angst bisher. Das Gefühl war und ist mir bisher fremd. Das liegt aber – und da bin ich ganz ehrlich – auch daran, weil ich keinen direkten Antisemitismus körperlicher Art und auch keine Beleidigung bisher erleben musste. Daher kann ich nicht sagen, dass ich Angst habe.
Man macht sich aber jetzt seit dem 7. Oktober noch mal bewusster, was denn zum Beispiel die ganzen Sicherheitsvorkehrungen angeht. Wenn ich jetzt in die Synagoge gehe, gab es ja immer diese Sicherheitsvorkehrungen und den Polizeiwagen vor der Tür. Das hat sich ja nicht geändert, aber man ist noch mal sensibler.
Ich gehe sowieso nicht mit Kippa auf die Straße, aber ich würde es mir jetzt noch dreimal überlegen, ob ich es machen würde. Man hat diese Themen viel mehr im Kopf. Wir haben vom Karnevalsverein Veranstaltungen außerhalb der Synagogen-Gemeinde, die wir im letzten Jahr nicht mit Security verstärkt haben. Wir haben eine Kulturveranstaltung, die wir in Ehrenfeld jetzt hatten und auch am 7. Februar wieder haben werden. Da ist jetzt Security, die wir privat hinzugebucht haben. Das sind schon Dinge, die sich verändern. Da macht man sich natürlich dann ganz konkret Gedanken darüber: Was macht das mit einem?
Oder wenn man hier zu Hause von Freunden hört: Du bist so präsent, hast du keine Angst? Wenn man das immer wieder gefragt wird, dann machst du dir mehr Gedanken. Dann ist es schon sehr konkret, dass man sich überlegt: Muss ich mich mehr schützen? Muss ich mehr aufpassen, als ich das vor dem 7. Oktober getan habe?
Himmelklar: In meiner Schulzeit haben wir sehr viel über Antisemitismus gelernt. Ich habe mir immer gedacht: Diese ganzen Sicherheitsmaßnahmen vor den Synagogen sind doch eigentlich übertrieben. Wer hat denn in einer deutschen Gesellschaft, die so viel Wert auf Aufklärung, auf das "Nie wieder" und Erinnerungen an den Holocaust legt, wer hat denn da konkret Probleme mit Juden? Zumal es ja für die meisten Menschen in Deutschland auch gar keine Berührungspunkte gibt. Jetzt haben wir in den letzten Jahren nach meinem Empfinden immer mehr antisemitische Übergriffe. Woher kommt also dieser Antisemitismus?
Knappstein: Zuerst mal muss ich sagen, dass man keine Juden für Antisemitismus braucht. Das sieht man in Japan zum Beispiel, wo es fast überhaupt keine Juden gibt. Trotzdem treffen aber ungefähr ein Viertel aller Japaner sehr starke antisemitische Aussagen bei entsprechenden Umfragen.
Das ist sehr löblich, dass Sie sich das so gedacht haben, weil das zeigt, dass Sie kein antisemitisches Denken in sich haben. Denn das ist, glaube ich, wirklich etwas, was man sich kaum vorstellen kann, wenn man sagt: Ja, was soll das überhaupt? Jetzt mal ganz abgesehen davon, dass Antisemitismus an sich unsinnig ist, aber dann eben auch noch, wie Sie sagen, wenn man gar keine Juden kennt und mit denen überhaupt nicht in Berührung kommt. In der deutschen Öffentlichkeit, wenn wir jetzt über Politik, über Kultur und so weiter reden, wer ist da schon jüdisch? Wenn man es überhaupt weiß, kann man die wahrscheinlich an einer Hand abzählen. Da haben Sie völlig recht.
Es braucht aber, wie gesagt, keine Juden und keine Jüdinnen für Antisemitismus. Die antisemitische Grundhaltung bei ungefähr 15 bis 20 Prozent der deutschen Bevölkerung gibt es ja auch seit Jahrzehnten. Das ist immer ungefähr gleich geblieben. Diese Umfragen werden ja jedes Jahr durchgeführt. Ich weiß gar nicht, ob das in den letzten Jahren wirklich gestiegen ist.
Ich war einige Jahre lang Vorstandsmitglied der Jüdischen Liberalen Gemeinde in Köln und damals haben wir natürlich auch antisemitische Zusendungen bekommen – per E-Mail und per Post. Die waren immer anonym. Heute sind die unterschrieben mit Namen und Titel. Das ist schon anders jetzt. Es ist mehr und es ist anders. Das sagen die jüdischen Gemeinden, das sagen viele Einzelpersonen.
Wir haben auch seit dem 7. Oktober antisemitische Vorfälle gegen Einzelpersonen in unserem Verein erlebt. Das ist schon etwas, was sich wirklich gesteigert und verändert hat. Das liegt natürlich sehr auch daran, dass wir eine Partei wie die AfD in Deutschland haben, die den Menschen zeigt: jetzt könnt ihr wieder. Und dadurch, dass leider viele Demokratinnen und Demokraten auch in den Parteien die roten Linien, die sie setzen, immer weiter verschieben und nicht einfach sagen Bis hierhin und nicht weiter", merken natürlich etliche Menschen auch, "es geht ja, das kann ich jetzt wieder sagen, das ging vorher nicht".
Wenn ich mit vielen Jüdinnen und Juden darüber spreche, dann ist denen klar, dass die Menschen, die wirklich antisemitisch sind, nicht überzeugen können. Das ist eine Arbeit für Jahre und Jahrzehnte. Mir ist aber lieber, jemand hat das Gefühl, "ich kann das nicht sagen und ich halte dann einfach seinen Mund" und ist innerlich antisemitisch, aber weiß, das geht in Deutschland nicht. Das ist besser als jetzt, wo alle Leute denken, "ich kann ja sagen, was ich will". Das ist, glaube ich, ein großer Unterschied, der dann auch zu mehr Gewalt führt. Hundertprozentig.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.