Die Massaker der Hamas an jüdischen Zivilisten und die militärische Gegenreaktion der israelischen Armee sorgen auch an deutschen Schulen für Gesprächsbedarf – und häufig auch für Zündstoff.
Neben dem Fehlen von grundlegenden Informationen zur Geschichte des Nahost-Konflikts bedienen einseitige Darstellungen in Social Media Verschwörungstheorien und heizen die Diskussionen an. Wenig Wissen, aber viele Vorurteile – stellt der jüdisch-israelische Sozialunternehmer Shai Hoffmann bei seinen Besuchen an Schulen immer wieder fest. Gemeinsam mit der Deutsch-Palästinenserin Jouanna Hassoun bietet er bundesweit Trialoge an Bildungseinrichtungen an.
Hoffmanns Vater ist in Bayern geboren und 1949 nach Israel ausgewandert. Seiner Familie gehe es den Umständen zwar gut, doch die Brutalität der Massaker der Hamas an jüdischen Zivilisten habe sie schwer getroffen. Der 1982 in Berlin geborene Aktivist hat sich zum Ziel gesetzt, seinen jungen Gesprächspartnern auch den Blick für die Grausamkeit der Hamas-Pogrome gegen die Juden zu öffnen. Dabei negiert er nicht das Leid der Zivilisten im Gaza-Streifen.
Räume für urteilsfreie Diskussionen
"Wir gehen bei Bedarf auch auf falsche Informationen ein, aber wir ersticken den Diskurs nicht durch zu viele Fakten", so Jouanna Hassoun. Die Deutsch-Palästinenserin und Geschäftsführerin des Bildungsvereins Transaidency ist in einem libanesischen Flüchtlingskamp aufgewachsen. Kinder und Jugendliche leben nicht selten in einer digitalen Parallelwelt weiß Hoffmann, der schon viele Bildungsprojekte an Schulen begleitet hat.
Der Informationsfluss, dem sie ausgesetzt sind, wird nicht oft von indoktrinierten Influencern genutzt. Ergebnis: die Ideologisierung politischer Ereignisse und die einseitige Darstellung von Konflikten. Hassouns und Hoffmanns Ansatz, Räume für urteilsfreie Diskussionen zu ermöglichen, trifft den Nerv der Zeit. Hassouns und Hoffmann wissen aus ihrer jahrelangen Arbeit mit Jugendlichen und Kindern: Wer ihnen keinen Raum für Emotionen und Diskussionen ermöglicht, der riskiert sie an ideologisierte Hetzer zu verlieren.
"Was denkst du, wenn du Israel oder Palästina hörst?" – die Einstiegsfrage der Trialoge führt nicht selten zu Antworten wie "Kinder sterben im Krieg" oder "Kindermörder". "Wir müssen offen und ehrlich reagieren", antwortet Hoffmann auf diese Standartantworten. Ja, es sterben zu viele Kinder, es sterben zu viele Frauen.
Auf beiden Seiten. Neben der Richtigstellung falscher Informationen oder einseitiger Darstellungen gelingt dem Duo die Schaffung einer vertrauensvollen Atmosphäre. Eine Diskussionskultur, die Raum gibt – eben auch für die Richtigstellung von Fake News oder Verschwörungstheorien.
Unsicherheit nimmt Hoffmann sowohl bei den Schülern als auch bei den Lehrern wahr. Ob die anwesenden Schüler eher dem bildungsnahen Milieu angehören oder aus sozial schwachen und bildungsfernen Familien stammen. Auch dass der Nahost-Konflikt allein nicht die Ursache für die Unsicherheit der Jugendlichen ist, sondern die Zunahme dauerhafter Krisen wie der Klimawandel oder auch der Ukraine-Krieg. Nicht wenige haben Angst vor dem Dritten Weltkrieg, weiß Hoffmann aus seinen Gesprächen mit den Jugendlichen: "Sie fragen sich, ob es je Frieden geben wird."
Eine andere Perspektive und wachsender Bedarf
Mit zunehmendem Alter gelinge den Jugendlichen allerdings Differenzierung und Reflektion politischer Ereignisse. Hassoun: "Wir manövrieren mit unseren Trialogen den Umgang der Jugendlichen mit Gefühlen und leben durch unsere Kooperation einen ganz persönlichen Lösungsansatz für politische Konflikte vor."
"Ein Jude, der Empathie für die Palästinenser hat und eine Muslimin, die sich gegen Antisemitismus positioniert" – das beeindrucke die Anwesenden und liefere ein komplett anderes Bild als das den Jugendlichen aus ihrer Social-Media-Welt bekannte.
Beeindruckt von der Arbeit des jüdisch-muslimischen Duos sind auch die Lehrer. Der Bedarf an ihrem besonderen Gesprächskonzept wächst. Und so vergeben sie für 2024 Termine.