Nach wie vor steht die katholische Kirche im Fokus, wenn es um das Thema Missbrauch geht. Kritiker erklärten immer wieder, dass die evangelische Kirche in deren Windschatten segele und sie die Aufarbeitung nur unzureichend angehe.
Am 25. Januar wird in Hannover eine umfangreiche Missbrauchsstudie vorgestellt, die die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in Auftrag gegeben hat. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) nennt wichtige Daten der evangelischen Kirche auf dem Weg dorthin:
16. Juli 2010: Maria Jepsen tritt von ihrem Amt als evangelische Hamburger Bischöfin zurück. Nachfolgerin wird Kirsten Fehrs. Das Magazin "Der Spiegel" hatte zuvor in der Folge des Missbrauchsskandals am katholischen Berliner Canisius-Kolleg berichtet, dass Jepsen bereits 1999 über sexuelle Übergriffe eines Pastors aus Ahrensburg an Minderjährige in ihrer Kirche informiert worden sei und nichts dagegen unternommen habe.
In der Folge etablieren viele Landeskirchen unabhängige Ansprechstellen oder richten Kommissionen ein und entwickeln Verfahren, um Betroffenen Hilfe anzubieten. Betroffene klagen über einen Flickenteppich. Fehrs gibt eine unabhängige Studie über Missbrauch in der Nordkirche in Auftrag.
3. Oktober 2014: Die Studie wird vorgestellt. Der fast 500 Seiten starke Untersuchungsbericht kommt zu dem Ergebnis, dass der Ahrensburger Missbrauchsskandal kein Einzelfall gewesen sei und weitere Missbrauchsfälle im kirchlichen Umfeld jahrelang vertuscht worden seien.
Oktober 2018: Als Konsequenz des Missbrauchsfalls in Ahrensburg verabschiedet die Landessynode der Nordkirche ein Kirchengesetz zur Prävention und Intervention gegen sexualisierte Gewalt. Die Synode der EKD verabschiedet einen Elf-Punkte-Plan zum Umgang mit sexualisierter Gewalt und Missbrauchsformen in der evangelischen Kirche. Dieser sieht unter anderem die Gründung eines Beauftragtenrats vor, Sprecherin wird Fehrs.
Zudem wird die Errichtung der Anlaufstelle "Help" beschlossen. Unterdessen betont der frühere EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber in einem Interview, die evangelische Kirche sei "weniger anfällig für Missbrauch". Er sehe die evangelische Kirche in einer grundsätzlich anderen Situation als die katholische.
November 2019: Die EKD-Synode beschließt, in ihrem Haushalt für 2020 rund 1,3 Millionen Euro für die Aufarbeitung und Prävention von sexuellem Missbrauch einzuplanen. Die heutige Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, die selbst von einem evangelischen Pfarrer missbraucht wurde, berichtet auf der Synode über ihre Erfahrungen mit dem Umgang von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche. Zudem wird eine Ausschreibung für eine wissenschaftliche Studie veröffentlicht. Auch ein Betroffenenrat sei in Planung, heißt es.
November 2020: Ein Betroffenbeirat wird einberufen. Der Braunschweiger Landesbischof Christoph Meyns löst Fehrs als Sprecherin ab. Ein Verbund von acht Forschungsinstitutionen wird im Herbst 2020 mit der Ausarbeitung einer umfangreichen Missbrauchsstudie für EKD und Diakonie beauftragt und beginnt Ende
2020 mit der Arbeit.
Mai 2021: Nach dem Rücktritt von fünf der zwölf Mitglieder des Betroffenenbeirats setzt die EKD die Arbeit des Gremiums aus.
September 2021: Die EKD will die Anerkennungsleistungen für Betroffene sexualisierter Gewalt einheitlich regeln. Dazu veröffentlicht sie eine Musterordnung. Sie sieht vor, dass die Höhe der Leistung grundsätzlich mindestens 5.000 und maximal 50.000 Euro betragen soll. Der scheidende EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm räumt in verschiedenen Interviews Fehler beim Umgang mit Missbrauch ein. Seine Nachfolgerin wird die Präses der westfälischen Landeskirche, Annette Kurschus.
1. Juli 2022: Ein "Beteiligungsforum", das aus früheren Mitgliedern des Betroffenenbeirats und aus weiteren Betroffenen besteht, nimmt seine Arbeit auf. Betroffene sprechen von "der letzten Chance".
20. November 2023: Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus tritt wegen des Vorwurfs der Missbrauch-Vertuschung von allen kirchlichen Ämtern zurück. Die Hamburger Bischöfin Fehrs übernimmt das Amt übergangsweise. Sie unterzeichnet im Dezember eine gemeinsame Erklärung mit der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, in der sich die Kirche zur strukturellen Aufarbeitung von Missbrauch verpflichtet. Bislang sind der EKD rund 900 Missbrauchsopfer bekannt, die teilweise Anerkennungsleistungen beantragt und erhalten haben. Schon jetzt gehen die Verantwortlichen von weit höheren tatsächlichen Zahlen aus.
25. Januar 2024: Forscher stellen die EKD-Missbrauchsstudie in Hannover vor.