Die Zahl der Beschuldigten liegt bei 3.497. Rund ein Drittel davon seien Pfarrpersonen, also Pfarrer oder Vikare. Bislang ging die evangelische Kirche von rund 900 Missbrauchsopfern aus. Die Forum-Studie wurde von einem unabhängigen Forscherteam erarbeitet und in Hannover veröffentlicht.
Nach Angaben der Wissenschaftler zeigt die Untersuchung nur die "Spitze der Spitze des Eisbergs". Ausgewertet wurden demnach rund 4.300 Disziplinarakten, 780 Personalakten und rund 1.320 weitere Unterlagen. Zum Vergleich: Bei der MHG-Studie der katholischen Deutschen Bischofskonferenz 2018 wurden rund 38.000 Personalakten durchgesehen.
Beschuldigte fast ausschließlich Männer
Weiter heißt es in der Forum-Studie, dass rund 64,7 Prozent der Opfer männlich und rund 35,3 weiblich waren. Bei den Beschuldigen handelt es sich demnach fast ausschließlich um Männer (99,6 Prozent). Rund drei Viertel von ihnen waren bei der Ersttat laut Studie verheiratet.
Bei der Schwere der Tat gibt es demnach eine große Spannweite: Bei den meisten Taten handelt es sich aber um sogenannte Hands-on-Handlungen, das heißt, es gab einen Körperkontakt mit den Opfern - von nicht notwendigen körperlichen Hilfestellungen im Sportunterricht bis hin zur Penetration.
Die EKD hatte die Studie vor gut drei Jahren für rund 3,6 Millionen Euro in Auftrag gegeben. Die Forscher sollten alle Landeskirchen sowie die Diakonie mit einbeziehen. Die Studie enthält sechs Teilstudien, in denen Ursachen und Besonderheiten von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche untersucht werden. Auch Betroffene waren beteiligt. Ziel ist eine Gesamtanalyse evangelischer Strukturen und systemischer Bedingungen, die sexualisierte Gewalt begünstigen und ihre Aufarbeitung erschweren.
Das Forscherteam arbeitet unter dem Titel "Forum - Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland". Koordiniert wird es von dem Professor für Soziale Arbeit an der Hochschule Hannover, Martin Wazlawik.
Bischöfin Fehrs zeigt sich erschüttert
Die kommissarische Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat sich erschüttert über das Ausmaß des Missbrauchs bei den Protestanten gezeigt. Sie bitte die Missbrauchsbetroffenen um Entschuldigung, sagte Bischöfin Kirsten Fehrs am Freitag in Hannover bei der Vorstellung einer umfangreichen Aufarbeitungsstudie. "Wir haben uns auch als Institution an unzählig vielen Menschen schuldig gemacht."
"Das Gesamtbild hat mich zutiefst erschüttert", sagte Fehrs. Kinder, Jugendliche und Erwachsene hätten im Umfeld von Kirchengemeinden und diakonischen Einrichtungen schwere Verletzungen durch physische und psychische Gewalt mit lebenslangen Folgen erfahren. Betroffenen seien nicht geglaubt worden. "Wir haben täterschützende Strukturen", so Fehrs.