DOMRADIO.DE: Was war das Spannende an der Oscar-Nacht?
Alexander Bothe (Referat Bewegtbild und Medienethik der Deutschen Bischofskonferenz): Die deutschen "Berührungen" waren in diesem Jahr besonders stark. Ich denke an den sehr intensiven Wettbewerb um den besten internationalen Film mit drei Filmen mit deutscher Beteiligung. Zum einen ist da der deutsche Regisseur Wim Wenders zu nennen, der allerdings für Japan unterwegs war. Dann gab es den Film "Zone of Interest" mit der wunderbaren Sandra Hüller und schließlich den Film "Das Lehrerzimmer", der aus Deutschland kommt.
Es war ein toller Wettbewerb, aber auch ein starker Wettbewerb, weil es ja die zwei großen, kassenwirksamen Filme mit "Oppenheimer" und "Barbie" gab.
Auf der anderen Seite ist Hollywood auch immer für die eine oder andere Überraschung gut. Es war eine kurze Nacht, eine emotionale Nacht, sicherlich auch mit der ein oder anderen nachdenklichen, politischen Note. Das gehört ja auch dazu und ist wichtig und angebracht.
Schließlich hat das ganz viel Unterhaltungswert und kommt mit einem Charme daher, der dem Medium auch zugehört.
DOMRADIO.DE: Deutschland hat einen Oscar mit nach Hause nehmen können. Sind Sie einverstanden mit den Preisträgern?
Bothe: Ja. Ich finde, dass die Frage, wer gewählt wird, immer von ganz vielen Faktoren abhängig ist. Ich sehe aber gar nicht, dass wir aus deutscher Sicht enttäuscht sein müssten. Vielmehr muss ich sagen, dass die Oscarverleihung selbst noch mal gezeigt hat, wie groß die Anerkennung im Moment für Sandra Hüller ist. Das ist auch völlig zu Recht der Fall.
Diese beiden Filme, in denen sie mitgespielt hat, "Anatomie eines Falles" und "Zone of Interest", sind so starke und wichtige Filme, die auch den Gesamtwettbewerb um den besten Film dominiert haben oder zumindest mitbestimmt haben.
Sandra Hüller war auch immer wieder zu sehen. Sie wurde als Bezug eingebracht. Das war schon eindrücklich und auch für den deutschen Film eine besondere Nacht.
Das ist kein Grund, enttäuscht zu sein. Vielmehr können wir uns eigentlich freuen, dass die Geschichten, die wir erzählen, auch bei der Verleihung eine Rolle gespielt haben.
DOMRADIO.DE: Sie haben ganz besonders Ilker Çatak und seinem Film "Das Lehrerzimmer" die Daumen gedrückt. Warum?
Bothe: Weil wir zum ökumenischen Empfang anlässlich der Berlinale den Produzenten des Films, Ingo Fliess, zu Gast hatten. Wir hatten gemeinsam mit Kardinal Marx ein sehr nachdenkliches und tiefes Gespräch mit ihm. Es ging um die Fragen, die uns im Moment so bewegen, zum Beispiel was eigentlich Wahrheit ist. Wie kann man in dieser Gesellschaft über Wahrheit sprechen? Was bedeutet in diesem Zusammenhang die Frage nach Diskriminierung oder die Frage nach einem Stück Selbstgerechtigkeit. Dieser Mikrokosmos des "Lehrerzimmers", ist schon faszinierend und eindrücklich.
Der Film ist in diesen Fragen einfach grandios umgesetzt, weil er auch unsere Herausforderungen thematisiert. Da geht es um Bildung und um Migration und die Frage nach Integration. Es ist ein Film, der nachdenklich macht.
Ingo Fliess hat an diesem Abend auch beschrieben, was eigentlich los war, als er erzählt hat, dass er auf der Shortlist steht.
DOMRADIO.DE: Finden Sie in "Das Lehrerzimmer" denn Antworten auf die Frage, wie man Wahrheit finden kann?
Bothe: Ich glaube, dass der Film viele Einsatzmöglichkeiten bietet, genau darüber zu diskutieren. Das zeigt sich alleine an dem Punkt, dass es um unterschiedliche Perspektiven bei der Wahrheit geht und dass es immer darum geht, sich zu fragen, wie wir eigentlich zueinander finden. Welche Möglichkeiten hat der jeweils andere, der mir begegnet, überhaupt seine Wahrheit einzubringen? Und welche Möglichkeiten kann ich anbieten, damit wir zusammen einen Diskursraum vorfinden?
Es ist auch eine wichtige Aufgabe für uns als Kirche, dazu beizutragen, dass es genau diese Diskursräume gibt, damit die Frage nach Zusammenhalt in unserer Gesellschaft oder die Möglichkeit, den Zusammenhalt in den Mittelpunkt zu stellen, angegangen werden kann. Dazu trägt "Das Lehrerzimmer" mit seinem Mikrokosmos auf eine besondere Art bei.
Das Interview führte Verena Tröster.