Am Abend des Gründonnerstags ist in der Liturgie vieles anders als sonst. Denn an diesem Abend beginnen die drei Tage des Leidens, Sterbens und der Auferstehung Christi – ein einziger, großer Gottesdienst, der an diesem Abend beginnt und erst mit dem österlichen Segen am Ende der Osternacht abgeschlossen ist.
Diese Einheit zeigt: alle Elemente gehören zusammen. Kein Ostern ohne letztes Abendmahl und ohne Kreuzigung. Nachdem das Gloria die gesamte Fastenzeit hindurch entfallen ist, wird es zudem am Gründonnerstag besonders festlich unter Glockengeläut gesungen – danach schweigen die Orgel und die Glocken als Zeichen der Trauer bis zum Gloria der Osternacht.
"Das ist heute"
Die Bedeutung des letzten Abendmahls in der Feier des Gründonnerstags verdeutlicht einen Einschub, der nur einmal im Jahr, eben in dieser Feier vorgelesen wird. "In der Nacht, in der er ausgeliefert wurde - das ist heute", heißt es da.
"Heute" - obwohl all diese Ereignisse schon gut 2000 Jahre her sind? In jeder Eucharistiefeier steckt die Vorstellung der Vergegenwärtigung des letzten Abendmahles – Gegenwart, kein einfaches "Nachspielen". Das gilt besonders für den Gründonnerstag: dem letzten Abendmahl – als sog. "Einsetzung der Eucharistie" – wird an diesem Abend besonders gedacht.
Deswegen ist es auch üblich, dass am Gründonnerstag die Kommunion unter beiderlei Gestalten an alle Anwesenden auszuteilen. Dieses eingeholte "Heute" setzt sich am Ende der Feier fort: der Altar wird abgedeckt, der Tabernakel bleibt leer, die Feier endet nicht mit dem Schlusssegen, sondern klingt mit Gebeten aus – auch dies ist ein Zeichen der Trauer und soll außerdem an die Nachtwache der Jünger im Garten Getsemani erinnern. Die Liturgie dieser Tage folgt also zeitlich den Geschehnissen der Passionserzählungen.
Chrisammessen am Gründonnerstag
Da das letzte Abendmahl im Zentrum des Gründonnerstags steht, wird auch in vielen Bistümern am Vormittag des Gründonnerstags die sogenannte "Chrisammesse" gefeiert: dort werden nicht nur die Heiligen Öle für das kommende Jahr geweiht, sondern traditionell konzelebrieren zahlreiche Priester aus dem ganzen Bistum.
Im Hintergrund steht die Vorstellung der Verbundenheit der Priester mit dem Bischof, die nach der Theologie des 2. Vatikanischen Konzils so am Priestertum Christi teilhaben. Die Feier dieser Messe an dem Tag, an dem zugleich das letzte Abendmahl in besonderer Weise gefeiert wird, verdeutlicht diese Teilhabe noch einmal.
Die älteste Abendmahlserzählung: Paulus und der neue Bund
Warum dieses letzte Abendmahl für das gesamte Ostergeschehen so zentral ist, verrät ein Blick in die heutige 2. Lesung aus dem 1. Korintherbrief (1 Kor 11, 23-26): es handelt sich um die älteste Abendmahlserzählung überhaupt – sie ist lange vor den Erzählungen der Evangelien entstanden.
Der Apostel Paulus stellt hier das Geschehen des letzten Abendmahls ganz bewusst in den größeren Zusammenhang der Kreuzigung und der Auferstehung Jesu: ein Vorgang, der an sich banal wirkt – das Essen und das Trinken – bekommt dadurch seinen tieferen Sinn, dass Paulus ihn ins Große und Ganze einbindet: in die Nacht, in der Christus ausgeliefert wurde. In der Antike war dies auch in nichtchristlichen Schriften ein gängiges rhetorisches Mittel.
Erst im Zusammenhang mit der Kreuzigung und Auferstehung Jesu zeigt sich also die Bedeutung des letzten Abendmahles: durch die Kreuzigung Jesu wird ein neuer Bund geschlossen; Jesus übernimmt gewissermaßen die Rolle eines Opfertieres. Im Bewusstsein dieses neuen Bundes soll zukünftig dieses Mahl als Erinnerungs- und als Vergegenwärtigungsmahl gefeiert werden.
Paulus hat im Kontext dieser Textstelle nach Ansicht der modernen Exegese auch ein konkrete Überzeugung, worin dieser neue Bund besteht: In der Gemeinde von Korinth scheint es Uneinigkeit darüber gegeben zu haben wie dieses Mahl zu feiern sei. Bei normalen antiken Festmählern war das Zurschaustellen von Rangunterschieden selbstverständlich; da die Korinther Gemeinde aus Armen und Reichen bestand, war es für die Reichen schon ungewöhnlich, dieses Mahl gemeinsam mit den Armen zu feiern. Weil dann jeder nur sein eigenes Essen aß, schlugen sich die einen den Bauch voll und die anderen hungerten.
Paulus kritisiert diese Praxis als unwürdig – er fordert, dass derartige soziale Unterschiede in der christlichen Gemeinde, die im Geist des neuen Bundes leben soll, keinerlei Rolle mehr spielen sollen. Vielleicht hören wir gerade deshalb im heutigen Evangelium vom Rangstreit der Jünger und von Jesus, der ihnen allen die Füße wäscht: er macht sich zum Diener aller und lässt darin schon einen Ausblick auf diesen neuen Bund erahnen.
Dieser Artikel erschien erstmals am 06. April 2023 auf DOMRADIO.DE