DOMRADIO.DE: Wie haben Sie und Ihre Mitbrüder denn die Nacht des Angriffs erlebt?
Abt Nikodemus Schnabel OSB (Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem): Es war ein Angriff mit Ansage, auf den wir daher vorbereitet waren. Es gibt verschiedenste Apps und WhatsApp-Gruppen. Der Angriff war sehr pünktlich, denn um 1:41 Uhr unserer Ortszeit kamen die Drohnen. Es war sehr laut. Direkt über Jerusalem sind die Raketen, die von Osten, vom Iran her kamen, alle abgefangen worden. Wir haben de facto nicht geschlafen.
Wir haben auch bei uns Schutzräume. Ich war zunächst im Kloster bei meinen Mitbrüdern und bin dann in unser Gästehaus hinüber gegangen. Dort wohnen einige Einzelgäste, aber alle haben das gut und gefasst aufgenommen. Es ist ja Gott sei Dank nichts passiert. Es gibt ein verletztes Beduinenkind, dem ich gute Besserung wünsche und ein bisschen Schaden bei einer Militärbasis. Letztendlich ist alles glimpflich abgelaufen.
DOMRADIO.DE: Es ist das erste Mal, dass der Iran Israel direkt angreift. Wie besorgt sind Sie, dass das tatsächlich zu einem Flächenbrand eskalieren könnte?
Abt Nikodemus: Ich bin ja immer etwas optimistischer. Das liegt auch an meinem Gottvertrauen, da ich ein Beter bin. Ich hoffe, dass sich die Vernunft und die Dialogbereiten durchsetzen. Bemerkenswert fand ich, dass die Hisbollah vom Libanon die Gunst der Stunde nicht genutzt hat und nicht für eine weitere Eskalation gesorgt hat. Man hätte noch eine Unzahl von Raketen vom Libanon aus schießen können. Das hat die Hisbollah nicht getan.
Auch wenn wir hier von teils hochproblematischen Playern in der Region sprechen, so sind dies Zeichen, bei denen ich denke, dass es vielleicht einen Moment der Vernunft gibt und des "Nicht-Willens" zu einer vollständigen Eskalation. Ich glaube nicht, dass die Konfliktlinien zwischen den Ländern verlaufen. Ich glaube vielmehr, dass die Konfliktlinie zwischen denen besteht, die eine echte Vision haben, die im Zusammenleben besteht und denen, die anderen die Existenz absprechen. Es gibt Staaten, die sagen, dass es Israel nicht gibt und nur von einem "zionistischen Gebilde" schwadronieren. Da kommen wir zu keinem Frieden.
Umgekehrt gelingt auch kein Frieden, wenn es Teile in der israelischen Politik gibt, denen das Wort "Palästina" nicht über die Lippen kommt und die immer nur von "Arabern" sprechen und den Palästinensern ihr Existenzrecht und das Recht auf einen eigenen Staat absprechen. Ganz wichtig ist, dass Leute "Ja" zu Israel als Staat und "Ja" zu Palästina als Staat sagen.
DOMRADIO.DE: Seit 50 Jahren können deutsche Theologiestudenten an der Dormitio ein Studienjahr absolvieren. Ziehen Sie nun in Erwägung, diese jungen Leute nach Hause zu schicken? Oder wollen die das vielleicht selbst?
Abt Nikodemus: Die sind alle bereits vor einer Woche abgereist. Wir hatten in der Osteroktav eine wunderbare große Feier, “50 Jahre Theologisches Studienjahr Jerusalem” mit dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, mit dem Präsidenten des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, mit großer kirchlicher Prominenz, mit dem Lateinischen Patriarchen von Jerusalem - und für Deutschland, mit dem neuen Erzbischof von Paderborn, Udo Markus Bentz und dem Evangelischen Landesbischof Ralf Meister von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover.
Aber jetzt sind alle wieder bei sich zu Hause. So gesehen sind wir jetzt sehr reduziert. Es ist die große Sommerpause, es sind nur wir Mönche und einige wenige Einzelpilger da. Ich werde Ende des Monats unsere neuen Studierenden in einem Auswahlverfahren in Bonn aussuchen dürfen. Ich hoffe, dass das neue Theologische Studienjahr ab August unter anderen Vorzeichen stattfinden kann, nämlich unter hoffnungsvolleren und friedlichen.
DOMRADIO.DE: Sie haben gesagt, dass Sie auch deshalb relativ optimistisch auf alles blicken, weil Sie ein Beter sind. Haben Sie ein spezielles spirituelles Angebot für die Menschen, denen es jetzt ein Bedürfnis ist zu beten oder die Trost brauchen?
Abt Nikodemus: Wir beten hier ganz treu, so auch gestern. Wir haben zwar alle nicht geschlafen, waren aber dann ganz tapfer und unausgeschlafen bei der Laudes. Wir beten jeden Mittag ein spezielles Friedensgebet, das man auf unserer Homepage findet. Dem kann man sich gerne im Gebet anschließen.
Auch für alle, die sonst ein Anliegen haben, sind wir erreichbar. Man kann uns schreiben. Wir nehmen immer sehr gerne die Anliegen der Menschen mit in unser Gebet. Das ist unsere Hauptaufgabe und das ist mir auch wichtig.
Es geht einerseits um den Frieden hier, aber viele Menschen haben auch ihre ganz persönlichen Sorgen und ihre Schicksalsschläge. Für die haben wir ein offenes Ohr. Es ist nicht so, dass ich nur noch Platz für die Frage "Krieg und Frieden" hier im Land hätte. Ich bin auch für das ganz Persönliche ansprechbar, was die Menschen beschäftigt.
Wir haben diese zwei wunderbaren Orte hier. Das ist zum einen Tabgha am See Genezareth, der Ort der wunderbaren Brotvermehrung. Und zum anderen den Ort von Pfingsten, der Entschlafung Mariens vom Letzten Abendmahl auf dem Jerusalemer Zionsberg.
Wer ein Flugzeug besteigt und zu uns kommen will, ist herzlich willkommen. Wir bieten auch die Möglichkeit, dass man als Einzelgast bei uns mitleben und einfach auftanken kann. Viele haben gute Erfahrungen auch in dieser Kriegsphase damit gemacht. Es ist möglich, zu uns zu kommen. Wir sind da. Herzlich willkommen!
Das Interview führte Hilde Regeniter.