Politik und Kirche verurteilen Irans Großangriff auf Israel

"Die meisten Drohnen und Raketen wurden abgefangen"

Irans beispielloser Angriff auf Israel bringt den UN-Sicherheitsrat und die G7 auf den Plan. Stimmen aus Kirche und Politik verurteilen den Angriff. Papst Franziskus warnt vor einer möglichen Gewaltspirale im Nahen Osten.

Das israelische Luftabwehrsystem "Iron Dome" feuert, um vom Iran abgefeuerte Raketen in der Nacht zum 14. April 2024 abzufangen. / © Tomer Neuberg/AP (dpa)
Das israelische Luftabwehrsystem "Iron Dome" feuert, um vom Iran abgefeuerte Raketen in der Nacht zum 14. April 2024 abzufangen. / © Tomer Neuberg/AP ( dpa )

Der Iran hat seine Drohung wahr gemacht und den erklärten Erzfeind Israel erstmals direkt angegriffen. Bei dem nächtlichen Großangriff feuerte der Iran nach Angaben des israelischen Militärs rund 200 Drohnen und Raketen ab. "Die große Mehrheit der Raketen wurde von unserer Raketenabwehr noch außerhalb der Grenzen Israels abgefangen", sagte Armeesprecher Daniel Hagari in der Nacht zum Sonntag. 

Nur eine kleine Anzahl von Raketen sei auf israelischem Gebiet eingeschlagen, Todesopfer oder größere Schäden gab es den Angaben zufolge nicht. Der UN-Sicherheitsrat in New York plant voraussichtlich noch am Sonntag eine Sondersitzung. Der iranische Vergeltungsschlag für einen - mutmaßlich von Israel geführten - Luftangriff auf das iranische Botschaftsgelände in Syriens Hauptstadt Damaskus vor zwei Wochen war seit Tagen erwartet worden.

Iranische Demonstranten skandieren Slogans während einer anti-israelischen Versammlung vor der britischen Botschaft. / © Vahid Salemi/AP (dpa)
Iranische Demonstranten skandieren Slogans während einer anti-israelischen Versammlung vor der britischen Botschaft. / © Vahid Salemi/AP ( dpa )

Entwarnung

In der Nacht zum Sonntag wurde an verschiedenen Orten in Israel Raketenalarm ausgelöst. Nach Angaben der Armee heulten die Warnsirenen unter anderem im Süden, am Toten Meer, im Großraum Jerusalem sowie im Norden des Landes. Hagari zufolge wurde ein Mädchen verletzt. Zudem sei eine Militärbasis im Süden des Landes getroffen und leicht beschädigt worden. 

Nach Angaben des Weißen Hauses konnte Israel auch dank der Mithilfe des US-Militärs "nahezu alle anfliegenden Drohnen und Raketen abfangen". Nach einigen Stunden gab Israels Heimatschutz schließlich vorerst Entwarnung: Einwohner im Norden und Süden des Landes müssten sich nicht mehr in der Nähe von Schutzräumen aufhalten, hieß es.

Biden telefoniert mit Netanjahu 

US-Präsident Joe Biden telefonierte noch in der Nacht mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Wie die israelische Regierung am frühen Sonntagmorgen mitteilte, führten beide ihr Gespräch nach Beratungen des israelischen Sicherheitskabinetts und des Kriegskabinetts. Das Weiße Haus teilte anschließend mit, Biden habe den iranischen Angriff "auf das Schärfste" verurteilt und das "eiserne Bekenntnis" der USA zu Israels Sicherheit bekräftigt.

Für diesen Sonntag kündigte Biden ein Treffen der G7-Gruppe wirtschaftsstarker Demokratien an. Er werde die Staats- und Regierungschefs der G7 zusammenrufen, "um eine gemeinsame diplomatische Reaktion auf den dreisten Angriff des Iran zu koordinieren". 

Auf diesem vom Weißen Haus veröffentlichten Bild trifft sich US-Präsident Joe Biden mit Mitgliedern des Nationalen Sicherheitsteams im Situation Room des Weißen Hauses, um über die bevorstehenden Raketenangriffe des Iran auf Israel zu sprechen. / © Adam Schultz/The White House/AP (dpa)
Auf diesem vom Weißen Haus veröffentlichten Bild trifft sich US-Präsident Joe Biden mit Mitgliedern des Nationalen Sicherheitsteams im Situation Room des Weißen Hauses, um über die bevorstehenden Raketenangriffe des Iran auf Israel zu sprechen. / © Adam Schultz/The White House/AP ( dpa )

Streitkräfte oder Einrichtungen der USA seien von den iranischen Angriffen zwar nicht betroffen gewesen, erklärte der US-Präsident. Man werde aber weiterhin wachsam gegenüber sämtlichen Bedrohungen sein. Der US-Sender CNN berichtete unter Berufung auf einen ranghohen Regierungsvertreter, Biden habe Netanjahu in dem Telefonat gesagt, die USA würden sich ungeachtet ihres militärischen Beitrags zu Israels Selbstverteidigung nicht an "offensiven Operationen gegen den Iran beteiligen".

Iran warnt die USA

Bei dem Luftangriff auf das iranische Botschaftsgelände in der syrischen Hauptstadt Damaskus am 1. April waren zwei Brigadegeneräle getötet worden. Der Iran stellte die nun erfolgte Operation mit dem Titel "Aufrichtiges Versprechen" als angemessene Vergeltung dar und warnte Israel vor einem neuen Gegenschlag. "Die Angelegenheit kann als abgeschlossen betrachtet werden. Sollte das israelische Regime jedoch einen weiteren Fehler begehen, wird die Reaktion Irans deutlich härter ausfallen", teilte die iranische Vertretung bei den Vereinten Nationen am Samstag (Ortszeit) auf der Plattform X mit. 

Auch Irans Revolutionsgarden richteten eine scharfe Drohung an die USA. "Jede Unterstützung und Beteiligung an der Beeinträchtigung der Interessen Irans" werde eine "entschiedene Reaktion der Streitkräfte der Islamischen Republik Iran nach sich ziehen", hieß es in einer Erklärung, die in der Nacht zu Sonntag im Staatsfernsehen verlesen wurde. 

Reagiert Israel mit Gegenangriff?

Ob Israel auf den massiven iranischen Vergeltungsschlag mit einem Gegenangriff reagieren wird, war zunächst offen. Das Sicherheitskabinett habe Netanjahu sowie Benny Gantz, Minister im Kriegskabinett, und Verteidigungsminister Joav Galant befugt, Entscheidungen über das weitere Vorgehen zu treffen, berichtete der Fernsehsender Channel 12. 

Israels Generalstabschef Herzi Halevi führe im Einsatzzentrum der Luftwaffe eine Lagebeurteilung durch, teilte das Militär in der Nacht mit. "Ein direkter iranischer Angriff wird eine angemessene israelische Antwort gegen den Iran erfordern", hatte Galant am Freitag gewarnt. US-Verteidigungsminister Lloyd J. Austin sicherte Galant in der Nacht zum Sonntag erneut die unerschütterliche Unterstützung der USA zu, wie das Pentagon mitteilte.   

Scholz verurteilt Irans Angriff scharf

Bundeskanzler Olaf Scholz verurteilte die iranischen Angriffe auf Israel "mit aller Schärfe". "Mit dieser unverantwortlichen und durch nichts zu rechtfertigenden Attacke riskiert Iran einen regionalen Flächenbrand", erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit nach Ankunft des Bundeskanzlers in China am Sonntag in dessen Namen. "In diesen schweren Stunden steht Deutschland eng an der Seite Israels. Über weitere Reaktionen werden wir uns nun eng mit unseren G7-Partnern und Verbündeten besprechen." 

Bundeskanzler Olaf Scholz / © Michael Kappeler (dpa)
Bundeskanzler Olaf Scholz / © Michael Kappeler ( dpa )

Auch UN-Generalsekretär António Guterres betonte das Risiko einer katastrophalen Zuspitzung der Lage in Nahost. "Ich bin zutiefst beunruhigt über die sehr reale Gefahr einer verheerenden Eskalation in der gesamten Region", sagte er in New York. Er verurteile den Angriff des Irans "aufs Schärfste" und fordere eine sofortige Einstellung der Feindseligkeiten. EU-Chefdiplomat Josep Borrell schrieb auf X: "Dies ist eine beispiellose Eskalation und eine ernste Bedrohung für die regionale Sicherheit."

Papst warnt vor möglicher Gewaltspirale

Beim Mittagsgebet auf dem Petersplatz in Rom sagte Papst Franziskus am Sonntag, er habe die Nachrichten von der jüngsten Eskalation "aufgrund des iranischen Vorgehens" mit Schmerz und großer Sorge vernommen. "Ich appelliere dringend, jegliche Aktion einzustellen, die dazu geeignet ist, eine Spirale der Gewalt zu fördern und die Gefahr beinhaltet, den Konflikt im Nahen Osten in einen noch größeren militärischen Konflikt hineinzuziehen", so die Mahnung des Papstes.

Papst Franziskus beim Mittagsgebet auf dem Petersplatz / © Gregorio Borgia/AP (dpa)
Papst Franziskus beim Mittagsgebet auf dem Petersplatz / © Gregorio Borgia/AP ( dpa )

Weiter sagte das Kirchenoberhaupt: "Niemand hat das Recht, dem anderen das Existenzrecht abzusprechen. Alle Nationen sollten sich auf die Seite des Friedens stellen und Palästinenser und Israelis dazu ermutigen, in zwei Staaten in Sicherheit nebeneinander zu leben." Dies sei das Recht beider Staaten. 

Mit Nachdruck forderte der Papst eine Feuerpause im Gazastreifen und ein entschlossenes Verhandeln. Den Menschen, die dort in einer humanitären Katastrophe lebten, müsse geholfen werden, und alle Geiseln sollten sofort freigelassen werden. "Genug mit dem Krieg und der Gewalt, ja zum Dialog, Ja zum Frieden!", so der Papst unter dem Applaus von rund 15.000 Pilgern aus aller Welt.

Zentralrat der Juden fordert harte Position

Der Zentralrat der Juden in Deutschland forderte eine "klare und harte Position" gegenüber dem Regime in Teheran. Deutschland und die EU dürften keinen Zweifel an ihrer Haltung lassen, sagte ein Sprecher des Zentralrats am Sonntag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). 

Bereits seit dem Terrorangriff der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober ziehe der Iran "die Fäden des Terrors gegen Israel und die westliche Welt", so der Zentralratssprecher weiter. "Nun greift das radikale Regime direkt an." Israel befinde sich im Ausnahmezustand. Nun müssten die Sanktionen gegen Teheran "auf ein Maximum erhöht, die iranischen Revolutionsgarden endlich als Terrororganisation gelistet werden".

Bischof Bätzing mahnt vor Eskalation

Eine "dramatische Eskalation der ohnehin furchtbaren Situation im Nahen Osten" sieht der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing. Der Angriff des Iran auf Israel sei "ein Spiel mit dem Feuer, das nachdrücklich verurteilt werden muss", erklärte der Limburger Bischof am Sonntag. In der Nacht hatte der Iran rund 300 ballistische Raketen und Drohnen auf Israel abgefeuert.

Bischof Georg Bätzing / © Harald Oppitz (KNA)
Bischof Georg Bätzing / © Harald Oppitz ( KNA )

Nun müsse alles dafür getan werden, dass der Nahe Osten "nicht in einen regionalen Krieg mit unabschätzbaren Folgen" gerate, mahnte Bätzing: "Dies wäre eine Katastrophe für diese Weltgegend und eine dramatische Gefährdung des Weltfriedens." Er appellierte an alle Verantwortlichen, auch in Israel, eine "Eskalationsdynamik" zu vermeiden. Der Bischof rief zudem zum Gebet für alle Opfer auf, die im Heiligen Land bereits zu beklagen seien.

Bundespräsident sagt Israel Solidarität zu

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier / © Thomas Frey (dpa)
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier / © Thomas Frey ( dpa )

Nach dem iranischen Raketenbeschuss auf Israel hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seinem israelischen Amtskollegen Isaac Herzog Deutschlands Solidarität versichert. Er sei erleichtert über die starke israelische Luftabwehr und hoffe, dass eine großflächige Eskalation vermieden werden könne, sagte Steinmeier laut Mitteilung des Bundespräsidialamtes am Sonntag in einem Telefonat mit Herzog. "Stundenlang mussten die Menschen in Israel vergangene Nacht vor Hunderten iranischen Drohnen und Raketen Zuflucht suchen. Wir verurteilen diesen Angriff aufs Schärfste."

Die deutsche Bundesregierung berief am Morgen einen Krisenstab ein.

London schickt zusätzliche Kampfjets nach Nahost

Israels Regierungschef Netanjahu hatte sich kurz vor dem iranischen Angriff an die Bürger seines Landes gewandt. "Der Staat Israel ist stark. Die IDF (Israels Streitkräfte) sind stark. Wir wissen es zu schätzen, dass die USA an der Seite Israels stehen, ebenso wie die Unterstützung Großbritanniens, Frankreichs und vieler anderer Länder", sagte er. "Wir haben ein klares Prinzip: Wer uns schadet, dem schaden wir auch."

Großbritannien schickt derweil als Reaktion auf Irans Angriffe weitere Kampfflugzeuge in die Region, wie Verteidigungsminister Grant Shapps mitteilte. "Diese Jets werden bei Bedarf alle Luftangriffe innerhalb der Reichweite unserer bestehenden Missionen abfangen", hieß es.

Der Iran bezeichnete den Vergeltungsschlag derweil als erfolgreich. Die militärischen Notfallpläne in Israel sind seitdem verschärft; bis Montagabend sind dort alle Bildungsaktivitäten und Schulveranstaltungen sowie größere Menschenansammlungen verboten. 

Israel

Kinder mit israelischer Flagge (shutterstock)

Israel ist Einwandererland, Schmelztiegel verschiedener Kulturen und Wiege zweier Weltreligionen. Ursprünglich agrarisch geprägt, hat sich das Land zu einer der führenden Hightech-Nationen der Welt entwickelt. Gleichzeitig ist die stark segmentierte Gesellschaft voller Gegensätze. Strengreligiöse treffen auf säkulare Israelis, europäischstämmige Juden auf jüdische Einwanderer aus arabischen Staaten, jüdische auf arabische Israelis.

Quelle:
dpa , KNA