Tokios Erzbischof Kikuchi sieht Asiens Kirchen in der Krise

"Wir sehen Europa als Rollenmodell"

Überalterung und eine extreme Minderheitsposition prägen die Kirche in Japan. Tokios Erzbischof Tarcisio Isao Kikuchi blickt im Interview auf das Christentum in Asien, die Weltsynode und die Konflikte bei Caritas Internationalis.

Tarcisio Isao Kikuchi, Erzbischof von Tokio, am 4. Dezember 2018 in Köln. / © Henning Schoon/KNA (KNA)
Tarcisio Isao Kikuchi, Erzbischof von Tokio, am 4. Dezember 2018 in Köln. / © Henning Schoon/KNA ( KNA )

Listen to the interview in English here.

DOMRADIO.DE: Japan ist eine komplett andere Welt als Deutschland und Europa. Wie sieht bei Ihnen das katholische Leben aus?

Erzbischof Tarcisio Isao Kikuchi SVD (Erzbischof von Tokio, Vorsitzender der japanischen Bischofskonferenz, Präsident von "Caritas Internationalis"): Die katholische Kirche in Japan lebt in einer absoluten Minderheitensituation, weniger als ein Prozent der Bevölkerung ist katholisch. Das sind eine halbe Million Japaner und noch mal eine halbe Million eingewanderte Katholiken. Die Erzdiözese Tokio ist das größte Bistum im Land mit 96.000 katholischen Japanern und noch mal 50.000 bis 60.000 Ausländern, die bei uns leben. Im ganzen Land gibt es 15 Diözesen. Tokio, Osaka und Nagasaki sind die Erzbistümer. 

Es gibt eine große Verfolgungsgeschichte der Katholiken in Japan, die in Nagasaki begonnen hat. Dort entstand unsere Kirche und dort haben wir auch die Märtyrer zu beklagen. In der modernen Zeit ist unsere Lage aber relativ stabil mit den rund 500.000 japanischen Katholiken. 

DOMRADIO.DE: Dabei entstand der Katholizismus ja in einem komplett anderen Kulturkreis. Wie haben die Japaner die katholische Kirche für sich angenommen?

Reliquienbüste des Heiligen Franz Xaver  / © Alexander Brüggemann (KNA)
Reliquienbüste des Heiligen Franz Xaver / © Alexander Brüggemann ( KNA )

Kikuchi: Die katholische Kirche in Japan hat schon eine sehr lange Geschichte. 1549 hat der Missionar Franz Xaver den christlichen Glauben zu uns gebracht. Danach lebten wir zwei Jahrhunderte in der Verfolgung. Erst danach hat sich das Land langsam geöffnet und sich der Katholizismus in Japan verbreitet. Seitdem sind wir recht angesehen, vor allem für unsere Bildungs- und Sozialarbeit. Wir betreiben viele Schulen und Sozialeinrichtungen im Land. Dafür sind die Japaner sehr dankbar. 

DOMRADIO.DE: Wie unterscheidet sich denn das katholische Leben in Japan von dem in Europa?

Kikuchi: Das Christentum hat tiefe Wurzeln in der europäischen Kultur, das lässt sich nicht verhehlen. Deshalb spielen die christlichen Werte in den europäischen Ländern schon ganz selbstverständlich eine Rolle. Japan ist da ganz anders aufgestellt. Wir sind ein mehrheitlich buddhistisches Land und das merkt man auch an der Kultur. Diese zwei Kulturen sind komplett verschieden.

DOMRADIO.DE: Wie vertragen sich denn Christen und Buddhisten in Japan?

Kikuchi: Die ehrliche Antwort darauf ist, dass sich die buddhistische Mehrheit gar nicht so wirklich für die christliche Minderheit interessiert. Sie haben dafür aber auch kein Problem mit uns. Die Buddhisten haben kein Problem mit Religionsfreiheit, weil ihr eigener Stand wirklich stark und gefestigt ist. Da spielen Minderheiten keine Rolle.

DOMRADIO.DE: Wie sieht in dieser Lage der Alltag für die katholischen Gemeinden aus?

Kikuchi: Ich kann gar nicht genau sagen, wie viele Katholiken zur Messe gehen, aber ich kann sagen, dass sich das christliche Leben auf den Sonntag konzentriert – Sonntagschulen, Gemeindetreffen, Gottesdienste. Das findet alles am Wochenende statt. In der Woche selbst ist nicht so viel los. 

DOMRADIO.DE: In gewissem Sinne ist die japanische Gesellschaft ganz gut mit der in Deutschland zu vergleichen. Ein Industrieland, hoch technologisiert und säkular, das immer mehr mit Überalterung kämpft. Sehen Sie da eine vergleichbare Entwicklung zwischen den beiden Ländern?

Kikuchi: Das stimmt. Unsere Gesellschaft wird immer älter und gleichzeitig sinkt die Geburtenrate in Japan. Früher war es bei uns so, dass sich das Sozialleben vor allem am Abend abspielte, Bibelstunden, Katechesen. Jetzt, da unsere Gemeinden immer älter werden, wird es mehr und mehr schwierig diese Angebote spät abends bereitzustellen, weil einfach niemand kommen würde. Auch deshalb passiert so viel am Sonntag. 

DOMRADIO.DE: Sie sind gerade auf Deutschlandbesuch um den 70. Jahrestag der Partnerschaft zwischen den Erzbistümern Köln und Tokio zu feiern. Welche Rolle spielt diese Verbindung für Sie?

Die Marienkathedrale in Tokio / © Jan Heysel
Die Marienkathedrale in Tokio / © Jan Heysel

Kikuchi: Seit genau 70 Jahren besteht nun diese Partnerschaft. In den ersten 25 Jahren gab es große finanzielle Unterstützung aus Köln für Tokio. Mit diesem Geld konnten wir viele Kirchen bauen, auch unsere Kathedrale.

Zum 25. Jahrestag der Bistumspartnerschaft haben sich die damaligen Bischöfe, Kardinal Höffner und Kardinal Shirayanagi, entschlossen, doch lieber gemeinsam andere Kirchen zu unterstützen, die in größerer finanzieller Notlage sind. Seitdem gehen die Finanzmittel aus beiden Bistümern nach Myanmar. Das ist eine kleine Kirche, ebenfalls in einer absoluten Minderheitensituation. Mit unserer gemeinsamen Partnerschaft unterstützen wir also andere Christen, die diese Hilfen wirklich benötigen.

DOMRADIO.DE: Sie sind nicht nur Erzbischof von Tokio und Vorsitzender der japanischen Bischofskonferenz, sondern auch Generalsekretär der Föderation der asiatischen Bischofskonferenzen (FABC). Die katholische Kirche in Asien ist sehr unterschiedlich aufgestellt, von katholischen Mehrheitsgesellschaften wie den Philippinen zu Nordkorea, wo es die stärkste Christenverfolgung auf der Welt geben soll. Welche Rolle spielt Japan in diesem größeren asiatischen Kontext?

Kikuchi: Die Philippinen sind die große Ausnahme in Asien. In allen anderen Ländern ist die katholische Kirche eine absolute Minderheit. Genau deshalb braucht sie unsere Unterstützung, nicht nur finanziell, sondern auch spirituell. Ohne diese Hilfe würde die Kirche in vielen Ländern gar nicht mehr existieren. 

Erzbischof Tarcisio Isao Kikuchi SVD

"Wir sind eine Minderheit, aber wir genießen Religionsfreiheit."

In einigen Ländern wie Indien, Sri Lanka oder Pakistan gibt es eine sehr starke Mehrheitsreligion. Da hat die katholische Kirche durchaus Probleme und muss um ihr Überleben kämpfen. Es braucht also die spirituelle Unterstützung. Wir als Kirche in Japan versuchen da so gut zu helfen wie wir können. Wir sind zwar auch eine Minderheit, aber wir genießen Religionsfreiheit und müssen uns keine Gedanken um unsere Existenz machen. Wir haben also ganz andere Möglichkeiten.

DOMRADIO.DE: Dafür stehen Sie auch in direktem Kontakt mit dem Vatikan. Es gibt sogar ein eigene Zentralbehörde, die sich explizit mit der Lage der Christen in Asien befasst, das Dikasterium für die Evangelisierung, dessen Vorsitzender der Papst selber ist. Welche Rolle spielt es für Sie, dass Ihre Weltregion so einen Fokus in der Kurie findet?

Kikuchi: Wenn Sie sich die komplette Weltkirche in diesem Moment anschauen, dann sind es die Kirchen in Afrika und Asien, die die Berufungen hervorbringen. Wir sind das Zentrum der Evangelisierung. Aus den Ländern Indien, Vietnam und den Philippinen kommen die großen Zahlen an Priestern, Seminaristen oder Ordensleuten. Das ist der wertvolle Beitrag, den wir im Moment in die katholische Welt geben.

DOMRADIO.DE: Wie blicken Sie auf die Reformideen, die im Moment aus der europäischen Kirche kommen, zum Beispiel vom Synodalen Weg in Deutschland? Unsere Kirchen verlieren an Mitgliedern und suchen dringend nach neuen Wegen des Kirche-Seins. Was denken Sie darüber aus dem japanischen Blickwinkel?

Kikuchi: Die europäische Kirche ist das Rollenmodell für unsere Kirche in Asien, und das schon seit vielen Jahren. Ohne die Unterstützung der Missionare aus Europa würde es uns heute nicht geben. Es stimmt, dass die europäischen Kirchen heute an Einfluss und Mitgliedern verlieren, aber gleichzeitig sind sie immer noch sehr stark, zumindest verglichen mit dem Einfluss der katholischen Kirche in Asien. Das liegt vor allem an der starken Verankerung in den europäischen Gesellschaften, die es über Jahrhunderte hinweg gab. Wir blicken also trotz allem nach Europa als Rollenmodell. Und am Ende unterstützen wir uns ja auch gegenseitig. 

Erzbischof Tarcisio Isao Kikuchi SVD

"Die europäische Kirche ist das Rollenmodell für unsere Kirche in Asien."

DOMRADIO.DE: Was können die Christen in Europa von ihren asiatischen Glaubensgeschwistern lernen, wenn gerade eben die Berufungen aus Japan kommen?

Kikuchi: Was ich sagen kann, ist, dass Europa vielleicht ein wenig mehr auf die Universalität der Weltkirche achten sollte. Die katholische Kirche ist keine europäische oder amerikanische Institution, sie ist eine Weltkirche, die alle Völker und Kulturen umfassen soll. Dieser Charakter ist uns als Christen ganz wichtig und sollte uns ein Hoffnungszeichen für die Zukunft sein. 

DOMRADIO.DE: Sie haben gerade mit den japanischen Bischöfen ihren Ad-Limina-Besuch bei Papst Franziskus absolviert, den alle Bischofskonferenzen regelmäßig alle paar Jahre machen müssen. Was war das für ein Treffen und wie haben Sie den Papst erlebt?

Papst Franziskus trifft sich mit Freiwilligen des Italienischen Roten Kreuzes (dpa)
Papst Franziskus trifft sich mit Freiwilligen des Italienischen Roten Kreuzes / ( dpa )

Kikuchi: Wir waren eine ganze Woche in Rom und haben zum Abschluss am Freitag den Heiligen Vater getroffen. Wir waren ein wenig besorgt, da wir viel von seinen Gesundheitsproblemen gelesen haben, er sei sehr schwach und alt. Als wir ihn dann persönlich getroffen haben, waren wir doch überrascht, wie stark er war. Er ist mit Stock gelaufen, hat Witze gemacht und uns im Gespräch sehr beeindruckt.

Ich kann natürlich nichts von den Gesprächsinhalten sagen. Aber eine wichtige Botschaft von ihm war, dass wir trotz aller Probleme nicht unseren Humor und das Lächeln vergessen sollen. Wir dürfen die Hoffnung nicht verlieren und optimistisch in die Zukunft blicken.

DOMRADIO.DE: Seit fast genau einem Jahr sind Sie auch der neue Präsident von Caritas Internationalis, des Zusammenschlusses der weltweiten Caritasverbände. Die Organisation kam vergangenes Jahr wegen großer Interner Konflikte in die Schlagzeilen, weshalb die komplette Führungsriege ausgetauscht wurde. – Jetzt ein Jahr später: Wie ist die Lage in der Organisation und was steckt hinter den Konflikten?

Flagge von Caritas Internationalis auf dem Petersplatz / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Flagge von Caritas Internationalis auf dem Petersplatz / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Kikuchi: Man sagt, dass Caritas Internationalis die zweitgrößte NGO der Welt ist, nach dem internationalen Roten Kreuz. Das mag zwar stimmen, aber wir betrachten uns nicht als NGO im eigentlichen Sinne. Wir sind ein Zusammenschluss verschiedener nationaler Hilfsorganisationen aus über 160 Ländern. Jede nationale Caritas hat also ihre eigene Identität und ihre eigenen Ziele. Wir koordinieren nur diese Hilfsorganisationen untereinander. Eigene Nationalverbände sind mit großen finanziellen Mitteln ausgestattet, andere sind sehr klein und selbst auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Unsere Hauptaufgabe ist es, diese 160 Verbände zu vernetzen und als gemeinsame Stimme nach außen aufzutreten. 

Wenn es so viele Verbände gibt, die so unterschiedlich aufgestellt sind, kommt es natürlich auch zu Konflikten zwischen denen, die Mittel haben und denen, die keine haben. Das ist der Kern des Konfliktes, der vor zwei Jahren hochgekocht ist. Diejenigen, die größere finanzielle Spielräume haben, würden gerne den Ton angeben und die Richtung der Hilfsorganisation festlegen. Die kleineren Verbände sollen dann still sein und das akzeptieren. Diese Ungleichheit, diese fehlende Balance wirkt sich dann auch auf die Entscheidungsfindung und Politik der Organisation aus. 

Erzbischof Tarcisio Isao Kikuchi SVD

"Diejenigen, die größere finanzielle Spielräume haben, würden gerne den Ton angeben."

Genau das ist bei Caritas Internationalis passiert. Die genauen Details kenne ich persönlich auch nicht. Inzwischen gibt es ein komplett neues Management mit einen neuen Generalsekretär. Deshalb blicken wir zuversichtlich in die Zukunft, da wir auch in gutem Austausch mit dem Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen stehen. Wir hoffen, dass wir Caritas Internationalis neu aufstellen können um auch der Zielsetzung des Heiligen Vaters besser zu entsprechen. 

DOMRADIO.DE: Im Moment blickt die komplette Weltkirche mit großer Spannung auf die Weltsynode. Bei der ersten Runde Versammlungen im vergangenen Herbst waren Sie selbst als Delegierter dabei. Welche Hoffnungen setzen Sie auf den Reformprozess? 

Kikuchi: Ich habe die japanische Kirche bei den Beratungen letzten Herbst repräsentiert und auch an den Pressekonferenzen teilgenommen. Da hat man mich immer wieder nach dem Thema Frauenweihe befragt und nach ganz konkreten Reformentscheidungen der Synode. Dazu kann ich gar nichts wirklich sagen.

Was ich sagen kann: Die Synode ist nicht der Ort, um solche Entscheidungen zu treffen. Wir können darüber reden, aber wir werden keine Veränderungen beschließen oder neue Systeme einführen. Was wir erreichen wollen, ist, mit diesem synodalen Prozess einen gemeinsamen Weg zu gehen und mit Gebet, Unterscheidung und Diskussionen einen Weg der Kirche in die Zukunft zu finden, der dem Willen des Heiligen Geistes entspricht.

Das ist das Ziel der Synode und auch von Synodalität im Allgemeinen, und das müssen die Christen auf der ganzen Welt verstehen und verinnerlichen. 

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Kirche in Japan

Das Christentum spielt in Japan nur eine geringe Rolle. Die Vorstellung eines einzigen, allmächtigen Gottes hat nur wenig Übereinstimmung mit den traditionellen religiösen Vorstellungen des Shinto und des Buddhismus. Derzeit bekennt sich weniger als ein Prozent der rund 127 Millionen japanischen Staatsbürger, also maximal eine Million Menschen, zu einer der christlichen Konfessionen. Von den bislang 62 Ministerpräsidenten Japans waren 7 bekennende Christen, zuletzt der Katholik Taro Aso (2008/09).

Die Statue von Francis Xavier in Yamaguchi, Japan / © N.N. (shutterstock)
Die Statue von Francis Xavier in Yamaguchi, Japan / © N.N. ( shutterstock )

 

Quelle:
DR