DOMRADIO.DE: Das Erdbeben hatte nach Angaben der Behörden eine Stärke von 7,6 auf der Richterskala. Ihre Gemeinde St. Michael liegt im 350 Kilometer entfernten Tokio. Haben Sie das Beben dennoch gespürt?
Mirco Quint (Pfarrer der katholischen Pfarrei St. Michael, Erzbistum Tokio): Ich habe es tatsächlich gespürt. Das Beben ist in Tokio mit einer Stärke von über 4,2 noch angekommen. Ich wohne im achten Stock und das hat deutlich gewackelt. Aber ich habe von keinen Schäden gehört, es ist in Tokio nichts zerbrochen, kein Haus eingestürzt, keine Straße aufgebrochen. Hier ist alles gut.
DOMRADIO.DE: Es gibt zahlreiche Tote und Verletzte zu beklagen. Haben Sie Kontakt zu anderen Gemeinden in den Erdbebengebieten?
Quint: Ja, die deutschsprachigen Gemeinden in Tokio sind sehr gut vernetzt. Wir sprechen mit den Botschaften Deutschland, Österreich und Schweiz. In den drei Botschaften sind Krisenstäbe eingerichtet worden, da sich in den Erdbebengebieten auch deutschsprachige Gemeinden befunden haben. Da war ich heute den ganzen Tag eingebunden, um seelsorglich und psychotherapeutisch mit Deutschsprachigen, die in den Erdbebengebieten sind, in Kontakt zu sein.
DOMRADIO.DE: Wie geht es den Leuten vor Ort?
Quint: Alle sind evakuiert und ich habe nicht mitbekommen, dass ein deutschsprachiger aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz verunglückt ist. Sie konnten alle schnell raus, so dass ihre Körper unversehrt sind. Psychisch ist das nicht so ganz einfach für die Menschen.
DOMRADIO.DE: Wir haben noch die Bilder von März 2011 vor Augen. Da gab es 19.000 Tote durch ein Erdbeben und einen Tsunami. Dieser führte auch zu einer Kernschmelze von Fukushima. Was haben denn die Behörden in Tokio daraus gelernt?
Quint: Die Behörden in Japan lernen aus jeder Katastrophe ganz schnell, zum Beispiel bei der Form der Warnungen. Innerhalb von Sekunden hat man tatsächlich ein Warnsystem aktivieren können, dass die Menschen aufgefordert hat, die Küstenregionen zu verlassen, in höher gelegene Regionen zu fliehen. Dieser Katastrophenschutz war ausgesprochen gut.
DOMRADIO.DE: Japan liegt auf dem pazifischen Feuerring und ist ein extrem gefährdetes Gebiet. Wie lebt es sich vor Ort mit so einer permanent latenten Gefahr von Erdbeben?
Quint: Erdbeben gibt es hier jeden Tag. In Tokio wackelt es immer irgendwie. Das sind aber oft kleine Beben und jeder ist froh, wenn es nur kleine Beben sind, damit eben das ganz Große ausbleibt. Es wird hier Woche für Woche, Monat für Monat in allen unterschiedlichsten Organisationen wie Firmen, Schulen und Kindergärten der Katastrophenfall geübt.
Man weiß, wie man sich zu verhalten hat, wenn ein Beben stattfindet. Wo versteckt man sich unter dem Tisch, wann geht man nach draußen auf die Straße, wo steht man unter Bäumen? Das lernt man von Kindesbeinen an, so dass die Aufregung hier dann ganz gering ist. Ich habe den Eindruck, in dieser geschäftigen Metropole Tokio ist die Lage noch ruhiger, als man sich das vorstellen kann, wenn es ein Erdbeben gibt.
DOMRADIO.DE: Vor wenigen Stunden kam die Meldung aus Japan, dass ein Airbus auf dem Flughafen von Tokio mit einem weiteren Flugzeug kollidierte und in Flammen geriet. Laut letzter Nachrichten (Stand: 14.30 Uhr, 2.1.2023), konnten alle Passagiere die brennende Maschine verlassen. Sind Sie bei solchen Katastrophen auch als katholischer Seelsorger gefragt?
Quint: Spannende Frage. Da bin ich aber nicht eingebunden, da ich der Seelsorger der deutschsprachigen Gemeinde bin. Ich bin dann eingebunden, wenn der Krisenstab der deutschen Botschaft oder der österreichischen oder schweizerischen Botschaft mich anfordert. Die japanisch-sprachige katholische Kirche ist gut vernetzt und hat ein System der Krisenintervention und macht Seelsorge in Krisenfällen und Notsituationen.
Das Interview führte Oliver Kelch.